Das zweite und damit letzte Semifinale des Eurovision Song Contest 2019 ist vorbei. Damit steht das morgen stattfindende Finale fest. Abermals musste sich von Teilnehmern verabschiedet werden – diesmal hatten gleich acht Länder zu gehen. Wir haben sieben von zehn richtig vorhergesagt. Den Abschluss findet der Wettbewerb am Sonnabend um 21h deutscher Zeit auf eurovision.de und im Fernsehen in der ARD.
Komplettiert wird die bunte Runde unter dem diesjährigen Motto Dare to Dream von folgenden Gewinnern:
Schweiz – „She Got Me“, Luca Hänni
Dänemark – „Love Is Forever“, Leonora
Schweden – „Too Late For Love“, John Lundvik
Malta – „Chameleon“, Michela
Russland – „Scream“, Sergey Lazarev
Albanien – „Ktheju tokes“, Jonida Maliqi
Norwegen – „Spirit in the Sky“, KEiiNO
Niederlande – „Arcade“, Duncan Laurence
Nordmazedonien – „Proud“, Tamara Todevska
Aserbaidschan – „Truth“, Chingiz
Schluss ist hingegen für:
Armenien – „Walking Out“, Srbuk
Irland – „22“, Sarah McTernan
Moldau – „Stay“, Anna Odobescu
Lettland – „That Night“, Carousel
Rumänien – „On a Sunday“, Ester Peony
Österreich – „Limits“, Paenda
Kroatien – „The Dream“, Roko
Litauen – „Run with the Lions“, Jurij Veklenko
Die Startreihenfolge lautet morgen:
- Malta
- Albanien
- Tschechien
- Deutschland
- Russland
- Dänemark
- San Marino
- Nordmazedonien
- Schweden
- Slowenien
- Zypern
- Niederlande
- Griechenland
- Israel
- Norwegen
- Großbritannien
- Island
- Estland
- Weißrussland
- Aserbaidschan
- Frankreich
- Italien
- Serbien
- Schweiz
- Australien
- Spanien
NACHLESE ZUR SHOW:
In aller Munde galt das zweite Semifinale beim diesjährigen ESC als das bessere. Das bestätigte sich so auch in den sozialen Netzwerken. Wobei man dazu sagen muss: beim ersten Schauen ist man meist etwas unvorbereitet, kennt die Messlatte der Qualität nicht und hat vielleicht falsche Erwartungen. So wirklich schlecht war das erste nämlich auch nicht. Aber wenn man dann einmal in der richtigen Eurovision-Emotion angekommen ist, gefallen einem die Songs auch schneller.
Genau dieses Phänomen zeigte sich in der Endauswertung der letzten Vorrunde, bei der diesmal auch Deutschland mitwirken konnte. 18 Teilnehmer, zehn durften weiter. Sechs Plätze und damit mehr als die Hälfte gingen an Startnummer 13 bis 18 und somit an die sechs letzten Teilnehmer. Zufall? Wohl kaum. Gerade als Zuschauer auf dem Sofa braucht man eben seine Zeit zum Warmlaufen.
Im Vergleich zur Show am Dienstag gab es zwar keine Rohrkrepierer wie Georgien oder Montenegro, dafür aber mehr Beliebigkeit. 0815-Nummern wie der zwar hübsch vorgetragene, aber inhaltlich völlig belanglose R’n’B-Pop aus Litauen, ließ wenig aufhorchen und heißt somit, dass die Fahrt nach Hause angetreten werden darf.
Ein schöner Jazz-Indie-Folk irgendwo zwischen Norah Jones und Zaz ist zwar im Radio auf einer langen Autofahrt ein wenig Entspannung fürs Ohr, schafft aber bei einem fulminanten Tamtam a la ESC keinen Anklang zu finden. Deswegen bleibt auch für Lettland und die Band Carousel die Kirmes am Samstagabend dicht.
Gleiches galt für die mutigen und intimen Klänge aus Österreich. „Limits“ ist kein schlechter Song und kann mit den passenden Bildern als schöner Soundtrack für einen Film Noir herhalten. Wenn man aber so in sich gekehrt bleibt, außer ein paar Sternen auf Leinwand keine Special Effects bietet und dazu noch schief singt, haben unsere deutschsprachigen Nachbarn auch keine Chance, in so einem ESC-Klanggewitter zu brillieren. Schade für den Song, aber das war abzusehen.
Kommen wir doch stattdessen zum anderen Ende des Kontinuums: sobald man einen sehr gut komponierten Song hat, einen Text mit Tiefgang und einen wirklich guten Sänger, benötigt es ansonsten nicht viel. Ein paar Lichteffekte auf der Leinwand und fertig ist der Auftritt, der mit großer Sicherheit morgen zum Sieg führen wird. Die Niederlande gewann zuletzt 1975. Heißt das also Amsterdam 2020? Sehr wahrscheinlich. Duncan Laurence hat mit „Arcade“ einfach alle Register gezogen und hätte den Sieg mehr als verdient. Gänsehaut der Meisterklasse.
Einen trüben Beigeschmack hinterlässt das Ausscheiden von Moldau. Die klischeehafte ESC-Bombastballade „Stay“ hatte zwar von Anfang an nicht die besten Chancen, bekam aber in den Proben einiges an positiver Aufmerksamkeit. Mit einer Sandmalerin wurde probiert über die Schwächen in den Lyrics hinwegzutäuschen. Gesanglich hat Anna Odobescu überzeugt. Insgesamt hat aber auch das nicht gereicht.
Dafür lassen sich die Zuschauer dieses Jahr anscheinend gerne auf Kindermelodien ein. Erlangte schon am Dienstag San Marino mit seinem Billo-Refrain in „Say Na Na Na“ eine finale Eintrittskarte, schaffte das gestern auch Dänemark. „Love is Forever“ klingt nicht nur furchteinflößend, sondern ist es auch. Ein überdimensionaler Stuhl auf dem Hin- und Hergewippt wird, Songzeilen in mehreren Sprachen und Liebe an die Welt. Kalter Schauer und morgen der perfekte Moment, um kurz eine rauchen zu gehen oder eine Toilettenpause einzulegen.
Kroatien hat unfreiwillig für den Fremdschamauftritt des Abends gesorgt. Roko hat sehr gut gesungen, das steht außer Frage. Wenn aber Männer in Goldfarben angesprüht sind und mit Engelsflügeln über die Bühne schweben, ist einfach vorbei. Wäre schön gewesen, wenn so viele Millionen Menschen das hätten morgen Abend sehen dürfen – aber ernsthaft hat das offensichtlich niemandem gefallen.
Das zwielichtige Verhalten von Russland hat gerade in den letzten Jahren für Eklats gesorgt. Teilnehmer Sergey Lazarev probierte 2016 mit einer der größten Effektshows ever den Sieg zu holen – und wurde „nur“ Platz 3. Den wird er dieses Mal auch nicht übertrumpfen, aber immerhin setzt das Land auf einen großen Musicalsong mit gutem Gesang, Hologramm- und Spiegeleffekten und steht damit zurecht am Ende wahrscheinlich in der Top 10.
Seit 1998 darf jedes Land auf einer frei wählbaren Sprache singen. Nach der Einführung gab es für Irland, die mit sieben Siegen weiterhin den Rekord halten, keinen ersten Platz mehr. Kein Wunder, wenn jährlich ein Schnulli-Radiopop nach dem nächsten gastiert. Auch das Colbie Caillat-artige „22“ mag kein schlechter Song sein, wurde aber durch Sarah McTernan schlecht vorgetragen. Luftprobleme, sodass viele Töne nicht ausgesungen wurden, dazu ein sehr tussiges Auftreten und ein Setting in einem von Zuckerguss nur so triefenden Diner. Auch hier war selbstverständlich Sense.
Platz 2 der statistisch erfolgreichsten ESC-Länder ist Schweden. Die nehmen im Vergleich zu den Iren den Wettbewerb äußerst ernst und präsentieren mit „Too Late for Love“ zum wiederholten Male chartstauglichen und richtig gut produzierten Pop – diesmal mit Hang zum Soul. Gospelchor, starke Stimme, mitreißender Aufbau. Allerdings wurde für den Auftritt die Tonart im Vergleich zur Studio Version nach unten verändert. Frech!
Die Schweiz gehörte früher auch dank der Möglichkeit auf Französisch zu singen stets zu den Topfavoriten. Das ist schon äußerst lange her. So reichte es in den letzten vier Jahren nicht mal für den Einstieg ins Finale. Diesem Fluch hat der aus DSDS bekannte Luca Hänni nun ein Ende gesetzt und schickt mit ordentlich Dancemoves und seinem Tropical-Reggaeton-Pop „She Got Me“ unsere Nachbarn womöglich sogar morgen in die Top 10. Das hat geknallt und Laune gemacht.
Einen akustischen Bruch verspricht „Chameleon“ aus Malta mit Michela, das optisch etwas übertrieben, aber dennoch gut inszeniert war. Wände, die einer Wohnung ähneln, und ständig ihre Farben und Projektionen ändern. Dazu auffordernde Beats. Malta war das zehnte und damit letzte Land, das ins Finale einziehen durfte.
Ein wahrer Fanfavorit ist Norwegen. Auch von uns wird „Spirit in the Sky“ richtig gefeiert. Unzählige YouTube-Kommentare sprechen von dem „typischsten Eurovision-Song seit Jahren“. Und tatsächlich macht der Überohrwurm von KEiiNO so viel Laune, dass alles andere als Finale eine Schandtat gewesen wäre. Gesang auf dem Punkt – und Fred mit seinem samischen Joik mit Feuereffekt macht das Ganze zum Highlight. Wird beim Televoting morgen in die Top 5 kommen. Viel zu gut.
„Truth“ aus Azerbaidschan ist ein Hit mit internationaler Qualität, Chingiz obendrauf ein ansprechender Interpret. Das reichte so schon für die letzte Runde. Warum man dann Maschinen benötigt, die mit Lasern sein Herz bearbeiten, bleibt ungeklärt. Eine Show, die etwas ablenkt. Song treibt trotzdem gut.
Nordmazedonien und Albanien zogen beide eher überraschend das Glückslos. Zwei Solistinnen, die mit übertriebenen Gesten und Drama fast schon aufdringlich wirkten. Albanien blieb immerhin noch bei Landessprache und haucht dem Finale orientalische Klänge ein. Da am Dienstag kein Song in dem Stil weiterkam, ist das wohl ok. Nordmazedonien braucht hingegen niemand. Ein weiterer Anwärter für die Top 5 – aber von hinten.
Last but not least zwei Verlierer: Rumänien und Armenien. Beide Rockballaden. Aufwendige Schnitte, besonders bei Rumänien auch spannende Gothicinszenierungen. Leider stark überambitioniert und mit zu wenig Substanz in der Melodielinie. Viel fürs Auge, wenig fürs Ohr, nichts fürs Finale.
Auf Moderationsseite passierte erneut nichts Nennenswertes. Auffälligkeiten neben den eigentlichen Teilnehmern: ein kurzes Interview mit einer optisch pompösen Conchita Wurst, die im Finale noch auftreten wird. Dazu ein emotionales Cover von „A Million Dreams“ aus „Greatest Showman“ der Band Shalva, bei der alle Bandmitglieder ein Handicap besitzen und trotzdem musikalisch ordentlich aufgetrumpft haben. Kommentator Peter Urban wie gewohnt lustig und erfrischend. Und: drei der sechs qualifizierten Länder im Interview plus Ausschnitt aus den Proben. Italien geht als einer der Favoriten ins Rennen, Großbritannien ist nicht von Belangen wie eh und je – und Deutschland hat es mit den S!sters nicht ganz einfach. Ein Song, der mehrmals gehört werden muss. Trotzdem geben sich die Ladies musikalisch Mühe und wirken sympathisch. Eine Platzierung im schlechten Mittelfeld wäre wünschenswert.
Ob das funktioniert? Das sehen wir morgen und lesen es am Sonntag auf minutenmusik.de!
Stay tuned.
Zum Abschluss der sensationelle Auftritt der Niederlande:
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