La Dispute, Schlachthof Wiesbaden, 08.07.2019

La Dispute, Schlachthof Wiesbaden, 08.07.2019

Der große Raum des Wiesbadener Schlachthofes ist heute bis auf die Hälfte seiner Ursprungskapazität verkleinert. An seiner angenehm weitläufigen Struktur ändert das nichts. Die Fläche, die man für das Publikum freigehalten hat, ist um 21.30 Uhr gut gefüllt. Es dröhnt elektronischer Indie aus den Boxen, während sich das Hallenlicht langsam dimmt. Das Bühnenbild ist schlicht: lediglich zwei große weiße Laken hängen hinter den Verstärkern, auf den Amps thronen drei leuchtende Kristalllampen. Nun ertönt „Rose Quartz“, das rein instrumentale Intro des aktuellen Albums von La Dispute, die nun die Bühne übernehmen werden. Gemächlich stolzieren die fünf Instrumentalisten – ein Freund der Band sorgt während einiger Songs für zusätzliche Schlag- und Soundelemente – auf die weiträumige Bühne, greifen zu ihren Gitarren, Bässen, Schlagzeugstöcken. Ihnen folgt Jordan Dreyer, der entspannt und zurückhaltend, die Hände locker in den Hosentaschen vergraben, gen Bühnenmitte schlendert. In den folgenden 80 Minuten folgt: die schönste Tanzeinlage, die Wiesbaden bislang zu Gesicht bekommen hat.

Am Anfang steht die Frauen-Power

Knapp anderthalb Stunden zuvor stehen erstmal die Petrol Girls vor der zu der Zeit noch etwas spärlicher gefüllten Halle. Im Laufe des gut 30-minütigen Gigs drängen sich aber zunehmend immer mehr Menschen vor die Bühne – und das zurecht: Das Quartett beherrscht sein unkonventionelles Handwerk perfekt und zieht die Zuhörer mit seinen vertrackten Songs und stets leicht plakativen, stets gesellschaftskritischen Texten in den Bann. Außerdem ist da noch die charismatische Frontfrau Ren Aldridge. Die springt in kurzer Glitzerhose umher, trifft zwischen den Songs mit ihrer sympathischen Art immer die richtigen Worte und weiß ihre Wut innerhalb der Stücke in die Performance zu kanalisieren. 

Milk Teeth fahren später ebenfalls eindrucksvolle Frauen-Power auf, auch wenn Sängerin und Bassistin Becky Blomfield neben ihren zwei Kollegen etwas in den Hintergrund rückt. Das mag daran liegen, dass Gitarrist Em Foster sich neben der Musik um die humorvollen Ansagen kümmert und Schlagzeuger Oli Holbrook seiner eindringlichen Art wegen mit seiner alleinigen Anwesenheit schon einen großen Teil der Aufmerksamkeit auf sich zieht. Trotzdem: auch Blomfield trägt ihren Anteil zu dem Auftritt der Band routiniert bei und darf auch auf ihre Kappe schreiben, dass die Menge die drei zum Schluss mit überdurchschnittlich lautem Applaus in die Umbaupause schickt.

Ausdruckstanz

Zurück zu der Band, wegen der heute alle da sind – La Dispute. Nachdem die Musiker ihre Instrumente ergriffen haben, ertönen die ersten Töne des „Fulton Street“-Zweiers. Noch kehrt Dreyer den Fans den Rücken zu. Es scheint fast, als müsse er ein letztes Mal in sich gehen, um sich selber mental für die nun folgende Stunde vorzubereiten. Langsam und behutsam wendet sich der 31-Jährige der Menge zu, greift in Richtung Mikrofon-Ständer. Es wird nur wenige Sekunden brauchen, bis erst seine Beine, dann seine Arme nicht mehr still stehen. Während sich der Song immer weiter in Richtung Höhepunkt steigert, verliert sich der ansonsten so schüchterne Frontmann immer mehr in der Musik. Schlussendlich landet der Mikroständer an der Seite und Dreyer tänzelt und springt frei über die Bühne, schwingt die Arme um seinen Körper, dreht sich um die eigene Achse und reckt die Faust gen Himmel. Dieser scheinbar nie enden wollende Tanz, diese zusätzlich zu den Texten und der Musik lebende dritte körperliche Ebene schwindet erst wieder, als der Frontmann fast anderthalb Stunden später im Schlusspart des Setclosers „You And I In Unison“ in Richtung Backstage spaziert.

Nach einigen Minuten begibt sich der Blondschopf dann das erste Mal direkt vor den Wellenbrecher und bricht damit mit der Distanz, die in solch großen Konzerthallen vorherrschen kann. Immer wieder zieht es Dreyer nun auch von der Bühne vor die textsichere erste Reihe. Im Mittelpunkt dieses beeindruckenden Schauspiels „La Dispute live“ steht eindeutig der geschichtenerzählende Anführer Dreyer. Seine Bandkollegen treten in diesem Zuge etwas in den Hintergrund, auch wenn diese mit ihrer sauberen Darbietung die Grundlage für dessen Performance bieten. Die Band spielt stets mehrere Songs in kleineren Rutschen, während der die Stücke fast nahtlos ineinander übergehen. Eine dieser Songabfolgen setzt sich aus drei Songs des nun bereits fast elf Jahre alten Debüts der Band zusammen.

Ansonsten liegt der Fokus des Sets auf dem Zweitling „Wildlife“, von dem man zwar den unangenehmen Übersong „King Park“ misst, dafür aber alle vier Monolog-Versätzstücke („a Departure“, „a Letter“, „a Poem“, „a Broken Jar“) spielt. Neben dem älteren Material bietet die Band sechs von zehn Songs der aktuellen Platte „Panorama“ dar, die im vergangenen März erschien. Dreyer vollführt währenddessen beständig seinen scheinbar niemals endenden Tanz und bricht erst wieder zum Schluss aus seinem künstlerischen Tunnel aus. Für einige Sekunden verweilt Gitarrist Chad Morgan-Sterenberg noch alleine mit seinem Instrument vor den Zuhörern, zögert den Schluss des Setclosers heraus. Dann bricht der Spannungsbogen und die letzten Töne erklingen. Der Musiker wendet sich vom Zuschauerraum ab, stellt seine Gitarre vor dem Verstärker ab und lässt die Fans mit den vielen neugewonnenen Eindrücken zurück. Zu verarbeiten gibt es nämlich vieles.

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Foto von Jonas Horn.

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