The Book Of Mormon, Musical Dome Köln, 07.11.2019

Ein riesiger Applaus mit lautem Jubel und Pfiffen nach nur einem Song. Nein, im Musical Dome tritt am 7.11. weder Justin Bieber noch Lady GaGa auf. Stattdessen findet die Deutschlandpremiere von The Book Of Mormon statt. Book of was? Die Nicht-Angehörigen des Genres werden die Stirn runzeln und sich fragen, was das nun wieder für eine Band sein soll. Hierbei handelt es sich eben nicht um einen großen neuen Teenieact, sondern um ein Musical – und Musicals schaffen solche Publikumsreaktionen selten.

Dabei ist genau diese emotionale Äußerung im Saal nicht untypisch für die Darsteller. BB Promotion schafft abermals dem Ruf der Gemeinde gerecht zu werden und holt eines der beliebtesten Broadwayhits erstmalig zu uns. Sieben Jahre dauerte die Entwicklung der Show, bis 2011 endlich die Uraufführung in New York gefeiert werden konnte. Das mutige Stück löste ein so großes Medienecho aus, dass fortan die Bude zu platzen drohte. Wochenlang waren die Shows im Voraus ausgebucht. Bei tagsüber durchgeführten Lotterien konnten ein paar glückliche Gewinner Tickets für die Aufführung am Abend gewinnen. Erfolg steht aber bekanntlich nicht immer für Qualität. Dass selbst die stimmt, bewiesen 14 Tony-Nominierungen (Anm.d.Red.: der wichtigste amerikanische Theater-/Musicalpreis) und gleich neun Gewinne. Am West End in London ging es ab 2013 mit ähnlichen Besucherzahlen zu.

Nun sind weitere Teile des europäischen Kontinents an der Reihe. In Schweden wurde bereits eine nicht-englischsprachige Fassung probiert. Norwegen, Dänemark und die Niederlande erwiesen sich als ebenso Mormonen-freudig. Jetzt geht’s nach Deutschland, vielmehr nach Köln. Wer nun schon stark anfängt zu schwitzen und Böses befürchtet, darf sich entspannen: The Book of Mormon läuft in Köln im englischen Original. Viel zu oft fahren deutsche Übersetzungen an die Wand und sind ihre gesamte Mühe nicht wert. Dass die englische Sprache keinesfalls ein Grund für schlechte Kartenverkäufe sein muss, bewiesen die ebenfalls in diesem Jahr durch BB Promotion aufgeführten Produktionen von Miss Saigon und Chicago.

Doch vorerst ein kleiner Dämpfer: The Book of Mormon hat leider keine Übertitel. Bei Miss Saigon und Chicago konnte der Zuschauer, der nur mittelprächtige Englisch-Skills vorweisen kann, mal rechts und links schielen und mitlesen. Dieses Gimmick gibt es bei The Book of Mormon nicht. Wahrscheinlich, weil durch Übersetzungen zu viele Wortwitze verloren gehen. Geschadet hätte es jedoch nicht bei einem Stück, das unzählige Akzente, Dialekte und auch Soziolekte mit sich bringt.

Ansonsten bleibt aber bei dem genau zweistündigen Musical, das in der Mitte durch eine knapp 30-minütige Pause gebrochen wird, kaum etwas zu beanstanden. Wie bereits oben erwähnt, rastet das Publikum bei der ersten Vorführung komplett aus – und das mehrfach. Nach locker sieben oder acht Songs wird frenetisch applaudiert und zugerufen. Selten war ein Stück so mitreißend, so witzig und gleichzeitig so pikant böse. Zimperliche Zuschauer mit schwingender Moralkeule sollten das Geld besser für eine Oper ausgeben – denn The Book of Mormon fasst jedes heiße Eisen an und bringt grenzüberschreitende Witze über Sex, AIDS, Homosexualität, Zoophilie, Behinderungen, Rassismus, sozialschwache Personen und ganz besonders Religion. Skandalös wird es aber trotzdem nie.

Die Geschichte zeigt eine Gruppe junger Männer, die dem Mormonenstamm angehören, sich darauf freuen, ihre zweijährige Mission in einem weitentfernten Land anzugehen und neue Mitglieder akquirieren zu können. Der hübsch-geleckte Elder Price ist mehr als nur von sich überzeugt und wünscht sich nach Orlando zu dürfen, an das er besonders schöne Kindheitserinnerungen hat – Außenseiter Elder Cunningham hingegen wünscht sich einfach nur, nicht mehr gehänselt zu werden und einen besten Freund zu finden. Während der Rest der Gruppe in spannende Ecken wie Norwegen oder Japan geschickt wird, dürfen gerade Elder Price und Elder Cummingham als das wohl unpassendste Team überhaupt ihr Können in Uganda unter Beweis stellen. Dazu noch in einem Dorf, das von Armut, Hunger, einschüchternden Autoritäten mit Waffen und AIDS geprägt ist. Ganz komisch, dass die Bewohner mit der Art der Neuankömmlinge und dem Inhalt ihrer Mission so gar nichts anfangen können.

Eine völlig absurde Ausgangslage, die allein beim bloßen Erzählen für Lacher sorgt. Was aber Robert Lopez (Musical Avenue Q, Songschreiber von „Let It Go“ aus Disney’s Frozen), Trey Parker (Schöpfer von South Park) und Matt Stone (ebenfalls South Park) daraus gezaubert haben, ist wirklich sensationell. Der Wortwitz und die Situationskomik kommen rasend schnell, das Bühnenbild und die Kostüme sind Broadway-typisch detailliert und hübsch, die Choreografien durch Jazz- und Steppeinlagen gekennzeichnet und wesentlich aufwendiger, als man zunächst glaubt und die Musik ein Hit-auf-Hit-Feuerwerk. „Hello“, „You And Me (But Mostly Me)“, „Turn It Off“, „I Believe“, „Baptize Me“ und „Sal Tlay Ka Siti“ funktionieren bereits ohne Bild gut, werden jedoch durch das Zuschauen zu beeindruckenden Titeln. Hier wurde eben nicht nur auf Humor gesetzt, sondern auch auf anderen Ebenen geliefert, zum Beispiel in der Komposition. „Hasa Diga Eebowai“ (was übersetzt „Fuck You, God“ heißt) ist schon jetzt ein Evergreen der Szene und so stark inszeniert, dass man förmlich aufspringen und mittanzen will. Der Ohrwurm verfolgt einen bis zum Einschlafen.

Um dem Ganzen gerecht zu werden, liefert die Inszenierung in Köln eben das Original aus London und gleichzeitig hochkarätige Darsteller, die alle ausnahmslos voll auffahren, richtig Gas geben und in allen drei Kategorien – Gesang, Tanz und Schauspiel – komplett überzeugen. Allen voran selbstverständlich die drei Hauptdarsteller Kevin Clay, Conner Peirson und Nicole-Lily Baisden, die einen grandiosen Job machen und zeigen, dass es eben auch Darsteller mit Allroundtalent gibt. Der Sound ist gut. Ein paar Mal setzt die Technik bei den Mikrofonen und Spots zu spät ein, was aber nur für wenige Sekunden stört.

The Book of Mormon spielt sich von Null auf Hundert in die Herzen sämtlicher Musicalfans und sollte ohne zu zögern in jeder Top 5-Liste der „Besten Musicals aller Zeiten“ aufgeführt werden. Eine Comedyshow der besonderen Art, die noch nie von politischer Korrektheit gehört hat, aber es klug und schlüssig gestaltet und sich deswegen auch diese Form des Humors erlauben darf. Die einzige Schwierigkeit: das Mormonentum ist mit geringen 40.000 Mitgliedern in Deutschland einfach kein großes Thema. Somit hat es das Stück durch seinen bloßen Namen vorerst wahrscheinlich schwer und muss sich erst etablieren. Da sich nun aber zurecht die Pressestimmen überschlagen werden und auch die Nicht-Hardcore-Anhänger aufhorchen lassen, sind die noch bis zum 17.11. stattfindenden Shows hoffentlich fast alle ausverkauft und das grandiose Musical bald wieder zurück.

Tickets für die restlichen Aufführungen in Köln gibt es hier.*

Und so sieht das aus:

Internationale Website des Musicals / Website der Veranstalter

Die Rechte fürs Bild liegen bei PAUL COLTAS.

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