Systemkritik kann auf die unterschiedlichste Art ausgelebt werden. Sie kann im Falle von Lizzo oder Janelle Monáe mit empowernden Tänzen den oftmals sexistischen R’n’B revolutionieren, sie kann wie bei den Idles auf den positiven Umgang miteinander pochen, sie kann aber auch stinksauer herausgebrüllt werden. So geschieht es nicht nur bei den kantigen Crossover-Größen Rage Against The Machine und deren jüngsten Nachkommen Fever 333 oder den Nova Twins, sondern auch im klassischen Punk und dessen Riot-Grrrl-Zweig. Dass sich bei systematischer Benachteiligung ganze Berge von Aggressionen auftürmen, zweifelt wohlt niemand an. All diese Emotionen nun herauszulassen, wird aber erneut nur den ohnehin schon Priviligiertesten der Gesellschaft ermöglicht. Marginalisierte Gruppen sollten sich hingegen bestmöglich im Zaum halten, damit sie im Optimalfall irgendeine Quote erfüllen können. Die Mittelschicht frohlockt: Unsere Gesellschaft ist so gleichberechtigt! Davon lassen sich die Cable Ties aber gar nicht beirren und poltern hingegen voller Inbrunst gegen Patriarchat, Kolonialismus und sexueller Gewalt an. Ihre größte Kraft liegt aber woanders: Aggression und Depression laufen hier im Zickzack, nehmen selten den geraden Weg. Ein Statement, das man abkönnen muss.
“Anger’s Not Enough”
Ein Songtitel, der gemeinsam mit dem Collagen-artigen Albumcover sinnbildlich für den fragmentarischen Sound der Cable Ties steht. Denn immer wenn die Australier*innen einen ihrer acht Songs über die gängige Vier-Minutengrenze schleppen, zerfasern die teils sehr geradlinigen Arrangements ins Ungewisse. Das geschieht so im knapp siebenminütigen Opener “Hope”, der als zerbrechlicher Akkustik-Song einsteigt, sich in einen losgelöstem Indie-Punk auflöst, um anschließend in einem Schwall instrumentaler Verzweiflung gegen die Wand zu fahren. Ganz so hochdramatisch geht es aber doch nicht auf ganzer Albumlänge zu, denn gerade knackige Hits wie der Riot-Grrrl-meets-Post-Punk-Hit “Sandcastles” oder das wummernde “Tell Them Where To Go”, das schon im “Tote Mädchen lügen nicht”-Soundtrack für Furore sorgte, kommen auch ohne umständliches Herumgeschwafel an.
“Not My Story”
…heißt nicht nur ein weiterer Track, der sich mit Gangshouts gegen die Definierung des Selbst durch andere wehrt, gleichzeitig wäre dies auch der Titel des Albumleitfadens. Zwar folgen Songs wie “Self-Made-Man” einem allseits bekannten Formular: Mit sarkastischem Unterton werden dem alleine agierenden, Gott gleichen Karrieremann die Hosen runtergezogen. Die oftmals aggressiven Prozesse hinter schier endlosem Kapitalismus im Patriarchat passen in das Lehrbuch jeder Feministin, der Sound stimmt ebenfalls. Aber ganz so einfach machen es Cable Ties den Zuhörer*innen dann eben doch nicht. Ähnlich wie Genre-Heldinnen wie die Slits oder Le Tigre strapaziert das australische Trio gerne mal die Hörmuscheln. So wird Frontfrau Jenny McKechnie in “Lani” von bedrängenden Soundwänden überrannt, die einen eigenen Narrativ zu verfolgen scheinen, von arhythmischen Strukturen zerstört bleibt schließlich nur Musik gewordene Melancholie zurück. Auch das von wirbelnden Trommeln und wütendem Gesang eingeleitete “Anger’s Not Enough” atmet minutenlang Instrumentalgetöse ein und der Closer “Pillow” thematisiert die eigene psychische Isolation in ausbrechendem Lärm.
Keine Überraschung also, dass sich die Cable Ties für non-profit Organisationen wie Girls Rock! einsetzen und integrative Shows für non-binary Personen und Frauen veranstalten. Weniger hätte man von diesem hochmodernen Sound, der so viel mehr kann als direkte Konfrontation, auch nicht erwartet. Für ihre Systemkritik wäre der einfachste Weg wohl auch einfach zu vorhersehbar und eindimensional. Die Cable Ties suchen sich ihr Sprachrohr lieber selbst aus.
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Rechte am Albumcover liegen bei Merge.
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