Die Fernsehnation bekommt einfach nicht genug. Selbst 20 Jahre nach der ersten Staffel Popstars – das Format, welches oft als die Mutter der Castingshows deklariert wird – haben genügend Menschen den Hals immer noch nicht voll und schauen weiterhin mit Vergnügen Deutschland sucht den Superstar, Das Supertalent oder The Voice of Germany. Einige Sendungen haben die zwei Dekaden nicht überlebt. Wer erinnert sich noch an Star Search, Fame Academy oder X Factor?
Die letztgenannte Talentschmiede kam auf vier Staffeln. Nachdem Edita Abdieski (wer?) und David Pfeffer (wer?) die ersten beiden Runden für sich entscheiden durften, gab es 2012 erstmalig eine Band, die gewinnen konnte. Mrs. Greenbird, bestehend aus dem mittlerweile verheirateten Paar Sarah und Steffen, verzückten mit ihrem emotionalen und rührenden Singer/Songwriter-Folk-Pop und stachen sämtliche Konkurrenten aus. Erstmalig kletterte ein Gewinner aus X Factor an die deutsche Albumcharts-Spitze. Das Debüt, welches als Titel den Namen der Band trägt, hielt sich fast ein halbes Jahr in den Charts und strich inklusive Live-LP eine Goldveredelung ein.
Das ist mittlerweile ein paar Jährchen her. X Factor wurde ad acta gelegt, die Liebe zwischen den beiden Wahl-Kölnern glücklicherweise nicht. Das Musizieren wurde genauso wenig sein gelesen, stattdessen eher die regulären Jobs an den Nagel gehängt. Mittlerweile besitzen Mrs. Greenbird ein eigenes Label und haben darauf 2019 erstmalig auch eine Platte veröffentlicht. Mit „Dark Waters“ steht der dritte Longplayer in den Läden, wofür sich gute viereinhalb Jahre Zeit genommen wurde. Kam mit Album Nr. 2 „Postcards“ Ende 2014 schnell weitere Kost an den Fan, dauerte es nun eben etwas länger. Man will ja auch was zu erzählen haben und nicht sich inhaltlich wie soundtechnisch wiederholen.
2020 sollte ein Jahr voller Auftritte werden. Sollte. Es benötigt keiner vielen Worte mehr, was da wie wohl nicht geklappt haben könnte. Umso erfreulicher, dass sich dank des Vereins „Kultur erhalten“ und einiger anderer kreativer Köpfe doch immer wieder Gelegenheiten ergeben, um Konzerte spielen zu können und zu zeigen, was grade außer entspannten Urlaub noch fehlt. Und ja, Konzerte, Musicals, Theaterstücke und andere Shows fehlen wirklich. Mrs. Greenbird klappern nun in knapp einem Monat acht Locations ab, die genügend Platz bieten, um den Abstand zu gewähren und gleichzeitig Charme besitzen, um für Atmosphäre sorgen zu können. Der zweite Gig findet in Dortmund statt. Genauer gesagt im rustikal-schicken Hopfen & Salz, einem regionalbekannten Lokal, das äußerst großen Wert auf qualitativ gutes Essen und unzählbare Biersorten setzt. Aber auch hier soll wohl alles nicht so sein, wie es eigentlich sein sollte. Anwohner nörgeln über die Lautstärke – damit wird das als Open Air im Biergarten angedachte Konzert spontan nach innen verlegt. Was eine Freude, dass das Umverlegen überhaupt funktioniert.
Der hübsche Saal, in dem gehäuft Hochzeitsfeiern stattfinden, bietet große Tische, an denen gespeist werden kann. Das Gefühl, das bei Pop-Konzerten gesessen und üppig gegessen wird, ist arg seltsam. Aber man nimmt, was man kriegen kann. Spielten Mrs. Greenbird auf ihrer ersten großen Tour 2013 noch in ausverkauften Clubs, die gut 500 Leute beherbergen konnten, sind es heute zwar nur 50, aber selbst die bekommen von Seiten der beiden Musiker viel Anerkennung – es ist nun mal keine Selbstverständlichkeit, dass bei der aktuell heiklen und risikofreudigen Lage überhaupt jemand ein Konzert besuchen mag.
Steffen, Sarah und ihr Gitarrist Edin lassen sich zu keiner Sekunde irgendeine Enttäuschung anmerken. Im Gegenteil. Unzählige Male betont die Band während ihres genau zweistündigen Auftritts, dass sie sich äußerst darüber freuen, wer alles am Start ist. Das Publikum, das sich durchschnittlich wahrscheinlich schon bei 40 Jahren einpendelt, darf zwar nicht mitsingen – man könnte seine Corona-Viren verteilen –, dafür aber immerhin mitsummen. Steffen witzelt mit so viel Charme durch die Show, dass auch heruntergeraffte interaktive Aktionen im Sitzen Spaß machen.
2012 besaß Mrs. Greenbird quasi ein Alleinstellungsmerkmal in Deutschland. Zu dem Zeitpunkt gab es nahezu niemanden aus unseren Regionen, der im Mainstream Singer/Songwriter-Pop machte. Heutzutage fast unvorstellbar, ist das Genre in den vergangenen Jahren nicht nur gewachsen, sondern völlig überfrachtet worden. Das führt dazu, dass die Verkaufszahlen bei den Beiden natürlich geschrumpft sind, Konzerte kleiner wurden – aber egal! Hübsche Musik bleibt hübsche Musik. So präsentiert das extrem sympathische, kluge, lustige und unterhaltsame Duo 15 Songs inklusive drei Zugaben, die dazu anregen, die Augen zu schließen oder mit einem mitfühlenden Grinsen auf die mit Blumen dekorierte Bühne zu schauen.
Das Programm bietet neben handgemachten Stücken vor allen Dingen sehr viele persönliche Geschichten. Es wird über die beiden Hunde geredet, die während der Tour bei Steffens Eltern Urlaub machen, über seltsame Schlafenszeiten berichtet, welche bei beiden selten vor 5 Uhr morgens beginnen und von Liebe gesprochen, die bei Streits auf die Probe gestellt wird, aber immer noch entfachen sollte. Nach diversen authentischen Anmoderationen schütteln die Zwei den passenden Titel aus den Saiten und Tasten.
Ob „Insomniac“ und „Midnight Rose“, die sich mit der Leidenschaft zum nächtlichen Aufbleiben beschäftigen oder „Learn How To Love You“ als Hochzeitsgeschenk an den Partner – Mrs. Greenbird berühren, erwecken stets einen leichten Cuteness-Overkill beim Zuschauer, überzuckern es aber nicht. Mit „Blitzkrieg Bop“ gibt es das bekannte Ramones-Cover, das bereits bei X Factor zu begeistern wusste. Weitere kleine Songs von großen Künstlern wie den Rolling Stones werden ebenfalls ausgeliehen, wie sie es nennen. Ansonsten gibt’s von dem Debütwerk jedoch lediglich „It Will Never Rain Roses“, „One Little Heart“ und selbstverständlich den Top 15-Hit „Shooting Stars & Fairy Tales“, der mit Sicherheit noch vielen im Ohr sein dürfte. Die Songs sind fair jeweils zu einem Drittel aus jedem der drei Alben entnommen. Der stimmige Sound in dem überschaubaren Raum sorgt dafür, dass sowohl Sarahs prägnante Vögelchen-Stimme gut zur Geltung kommt, als auch die diversen Gitarren und das Piano, an dem sich die Sängerin einige Male setzt, angenehm abgenommen klingen.
Die Sitzplatzsituation schränkt die Möglichkeit zwar etwas ein und gerade die umherlaufenden Kellner lenken doch einige Male von der Intimität ab, die die Songs aufbauen sollen. Beim nächsten Mal darf die Instrumentierung auch gerne wieder mehr werden, sodass sich dazu bewegt werden kann und mag. Final bleibt dennoch ein wirklich netter Abend mit den auch nach so langer Zeit immer noch liebenswerten Mrs. Greenbird aus Köln, der demonstriert, was gerade fehlt und schnell zurückkommen muss. Vielleicht nutzen ein Paar von euch die Gelegenheit bei den noch anstehenden acht Auftritten.
Und so hört sich das an:
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Bild von Christopher.
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Mrs.Greenbird haben immer noch ein Alleistellungsmerkmal in Bezug auf Qualität…und wer hört sich schon wie aus einer anderen Zeit und Welt an-für mich sind sie die Diamanten in der deutschen Musikszene
Hallo Christine!
Danke für dein Feedback.
Schön, dass dir die Band so gut gefällt. Wir waren von dem Konzert auch angetan!
Vlg Christopher