„Home Video“ von Lucy Dacus ist in Albumform geschnittenes Rohmaterial der Nostalgie.
Im Gegensatz zu so vielen verbitterten Rückblicken wagt die US-Amerikanerin mit ihrem dritten Studioalbum eine unaufgeregt verträumte Rekapitulation von Vergangenem. Ihre Musik transportiert das ebenfalls. „Partner In Crime“ etwa arbeitet zwar mit Autotune und fuzziger Soli-Gitarre, ist ansonsten jedoch unbeschwerter Indie in Reinform. Und selbst wenn in „Thumbs“ über flächige Keys nur Dacus kraftvolle Stimme ertönt und mit Zeilen wie „I would kill him if you let me“ eigentlich spitze Ansagen an eine Uni-Freundin gerichtet werden, deren Vater offensichtlich nicht weiß, wie man mit seinem Kind respektvoll umzugehen hat, so bleibt die 26-Jährige die Ruhe selbst. Die Intonation: Klar. Die Stimme: Kontrolliert.
An anderer Stelle spannt Dacus größere Bögen. „Hot & Heavy“ erprobt up-beatigere Arrangements und beschließt sich selbst schlussendlich mit einem ausgedehnten Instrumentalpart, der Gedanken schweifen lässt. Und auch „Triple Dog Dare“ schichtet sich vor allem gegen Schluss majestätisch auf und beschließt die Platte damit gebührend. Zwar weniger dynamisch, dafür aber nicht minder einnehmend, stachelt der Stolper-Groove von „First Time“ zudem Muskelpartien an, die in den vergangenen Monaten viel zu wenig beansprucht worden. Let’s dance!
Fernab dieser zwar nicht unmodernen, doch geerdeten Produktionen blickt „Home Video“ vor allem in der textlichen Auseinandersetzung auf alte Zeiten zurück. Der bereits angesprochene Albumeröffner „Hot & Heavy“ etwa vertont das eindrucksstarke Gefühl, das die Rückkehr an bedeutsame Orte der eigenen Sozialisation weckt. „VBS“ wirft den Blick noch weiter zurück und reflektiert in christlichen Jugendcamps gesammelten Erfahrungen – und Liebschaften. Das niedliche „Going Going Gone“ wiederum ist in gleich zweifacher Weise nostalgisch: In der Thematisierung einer frühen Jugendliebe zum einen, und im Chorus-Choral mit den Boygenius-Kolleginnen zum anderen. Und auch im klaviergetragenen „Please Stay“ findet sich der Baker–Bridgers-Choral zusammen.
„Home Video“ also nährt sich aus vielen alten Energien. Gerade in solch unspektakulären Zeiten wie diesen verschaffen derartige Perspektiven jedoch neue Hoffnung: Es gibt sie noch, die unbeschwerten Zeiten, in denen das größte Problem ist, sich nicht sicher zu sein, ob das Treffen gerade nun ein Date ist oder nicht. Danke Lucy Dacus, dass du diese Erinnerungen in uns weckst!
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