Willkommen im Madhouse. Willkommen also in einem kulturell mit verschiedenen Ebenen verknüpften Konzept: zum einen dem der Psychiatrie, zum anderen dem eines Horrorfilm-Schauplatzes. Und häufig eben auch irgendwas dazwischen. Dass gerade die häufig sehr schrille Person Toni Watson für das Debütalbum ihres Alter Egos Tones and I diese Szenerie als Titel und Cover auswählt, bietet Spielraum für jede Menge Konzeptarbeit. Theoretisch zumindest. Wenn “Welcome to the Madhouse” nämlich für leicht exzentrisch, immer etwas gegen den Status Quo laufende Pop-Musik stehen sollte, dann ist das Experiment gescheitert. Soll das Madhouse hingegen ein offenes Zuhause für die Außenseiter*innen sein, dann ist Tones and I eine hervorragende Gastgeberin.
Zu wenig von zu viel
Als vor knapp zwei Jahren “Dance Monkey” zum Welthit avancierte, war der Tenor bei vielen Hörer*innen: Was zur Hölle? Denn Watsons Stimme ist hier so exzentrisch und vermutlich auch bewusst so zentral im Mix, dass die Wahl mal wieder lautete: liebt es oder hasst es. Aber genau dieser Edge macht schließlich oft auch Musiker*innen aus, die die Massen auf der Welt bewegen. Beim Köln-Konzert zur ersten EP durften wir Tones and I dann als kleines DIY-Feuerwerk erleben, das vor Ideen und Talent nur so übersprudelte. Erst über ein Jahr später erscheint nun die erste Platte und vielleicht ist das auch einfach schon zu spät. Der “Dance Monkey”-Hype ist abgeflacht und so wirklich lässt sich noch kein Nachfolger erkennen. Mit 14 Songs mangelt es “Welcome to the Madhouse” dabei aber nicht an Material. Allerdings lassen nur knapp 2-3 Songs die Reibung des Übersongs und seiner EP-Kollegen zu. Die Produktion bleibt ansonsten sehr glatt gebügelt und Hörer*innen-freundlich. Schade. Aber!
Umarmung in Etappen
Der Opener und Titeltrack verspricht noch genau die abgedrehte Reise, die man sich vom Cover erhofft. Hier spielen sich bizarre Soundtrack-Vibes ab, die in der Empowerment-Hymne “Lonely” aber direkt in Feel Good-Pop umschlagen. Vorbei der etwas finster grinsende Groove. Da kann “Won’t Sleep” noch so sehr von Party mit den aderen “Freaks” sprechen und eine Stimmverzerrung nutzen – das hier ist Radio Pop at its best (definitiv nicht worst!) Auf Albumlänge macht sich Tones and I frei vom “Dance Monkey”-Image, die Stimmfarbe weniger dick aufgetragen, Harmonien und Introspektive im Vordergrund. Zu hören auf den bereits bekannten Songs wie “Cloudy Day” mit schicken Gospel-Vibes und “Fly Away” als weit geöffneter Hit. Aber eben auch in den immer wieder dramatisch melancholischen Schlusssequenzen der Lieder, wie bei “Just A Mess”, dessen dezentes Klavier am Ende groß aufbricht. Dass Toni Watson eben kein zurechtgebogener Popstar ist, zeigen bemerkenswerte Songwriting-Taten wie “Dark Waters” (diese Synthies!) und “Child’s Play” (diese Stimme!), auf die andere Künstler*innen ein paar Jahre warten müssten.
Alles in allem ist “Welcome to the Madhouse” ein Album mit einem klaren Fingerabdruck: Weg vom textlichen Einerlei, hin zu einer neuen Größe in den Arrangements und der Stimmlage. Im Drama einer umherziehenden Künstlerin, die ihren Platz noch sucht, werden sich viele wiederfinden, und so stiftet Tones and I Identifikationspotential für all jene, die nicht wissen, wohin mit sich. Das “Madhouse” als Refugium. Geht also doch!
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