Skunk Anansie – The Painful Truth

skunk anansie the painful truth

Als Skunk Anansie 2010 plötzlich nach über elf Jahren ein neues Album veröffentlichten, glich dies einem kleinen Wunder. Ewigkeiten war es um die britische 90s-Kultband mit der einzigartigen Frontfrau Skin ruhig geworden, mehrere Soloprojekte deuteten an, dass hier womöglich für immer Sense ist. Für das neuste Album The Painful Truth hat es nun auch über neun Jahre gedauert. Der Wirbel ist aber um einiges kleiner geworden.

Das liegt sicherlich einerseits daran, dass zwischen der sechsten LP “Anarchytecture” und dem neuen Werk 2019 ein Live-Album zum 25-jährigen Jubiläum der Band droppte und es fast jährlich immer größere wie kleinere Tourneen gab, andererseits aber auch, weil das Quartett, das Alternative-Rock made in UK mitformte, mit dem neusten Output nie so richtig punkten konnte. Kritiken waren zwar auch nach der Reunion meist solide bis sogar gut, aber am Ende bleibt Skunk Anansie wohl eine Retroband, von denen man den 90s-Stuff so richtig abfeiert und alles ab 2010 halt ganz ok findet.

Sicherlich ändert das auch The Painful Truth, das siebte Album in nun schon 30 Jahren Bandhistorie, nicht so viel. Dabei scheint in den neun Jahren zwischen dem letzten und aktuellen Longplayer irgendwas passiert zu sein. So experimentell und frisch klang seit dem großen Comeback 2010 exakt kein einziges Album. War “Wonderlustre” (2010) zwar ein ziemliches Brett an Nostalgie-Alternative-Rock und reihte sich hervorragend in die Diskographie ein, so schlichen sich schon beim eher druckvollen und düsteren “Black Traffic” (2012) krasse Verschleißspuren ein. “Anarchytecture” (2016) war bis auf die überragende Single “Love Someone Else” und dem gefühlvollen “Death To The Lovers” ein Abziehbild von allem Vorangegangenen.

Umso erstaunlicher, dass sich Skin und ihre drei Männer nach drei ganzen Dekaden trauen, doch nochmal ordentlich umzukrempeln. Kaum eine Band bietet eine dermaßen irrsinnig gute Sängerin, eine so mitreißende Live-Energie und so ein stimmiges Gesamtkunstwerk auf der Bühne, bekommt gleichzeitig aber nur in einer relativ überschaubaren Bubble Props. Doch ewiges Nörgeln wird auch das nicht mehr gerade bügeln. Stattdessen ist es wichtig, The Painful Truth gerade als lange*r Weggefährt*in ein paar Chancen zu geben. Ja, wirklich ein paar. Schon die Singles zeigten auf, dass sich im Sound einiges getan hat – und bevor man “Das ist doch nicht mehr Skunk Anansie” brüllt, müssen die zehn Tracks mit einer Spiellänge von rund 38 Minuten einige Runden rotieren, um dann zu fruchten.

Das treibende “An Artist is an Artist” passt mit seinen aufheizenden Drums als Einstieg ziemlich gut. Vor dem inneren Auge hüpft Skin wie eh und je über die Bühne und wechselt zwischen emotionalem Soul-Gesang in den Versen hin zum rotzigen, dennoch aber immer noch melodischen Zuruf im Chorus. Inhaltlich dreht sich der Song darum, dass am Ende nur die Künstler*innen selbst bestimmen, was sie zum*zur Künstler*in machen, wie sie zu funktionieren haben und ob das Alter eine Grenze setzt oder halt auch nicht. Kleiner Mittelfinger direkt als Opening, kann man machen. In dieselbe Kerbe schlägt das sich schnell im Ohr festsetzende “Cheers”, das ein glasklarer SkunkAnansie-Classic ist. Aufbau, Vocals, Sog.

Doch schon ab “This Is Not Your Life” wird alles anders. Als ob Brit-Pop von Suede, Industrial-Sounds aus den optimistischen Nine Inch Nails-Momenten und groovige Electronica duellieren, wer nun das Sagen hat. Mit Sicherheit ist das im Songwriting nicht das stärkste Stück der neuen Platte, aber in der Produktion eines der interessantesten. Äußerst überraschend. “My Greatest Moment” hat einen ähnlichen Ansatz, kommt nur inhaltlich nicht ganz mit “This Is Not Your Life” mit.

Durften die harten Boys in den 90s aufgrund von Toxic Masculinity nie zugeben, dass sie eigentlich die SkunkAnansie-Balladen immer am meisten liebten, so ist es jetzt an der Zeit mit voller Inbrunst zu sagen, dass man auf Augenblicke wie “Shame” oder dem Raufwurf “Meltdown” immer sehnsüchtig wartet. Erstes dreht sich um Einflüsse der Familie, die man nie mehr loswird – davon sind manche mal positiv, manche aber auch eher wenig förderlich für das Umfeld. In “Meltdown” liegt aufs Skin Gänsehaut-Stimme so viel Hall, dass man denken könnte, sie singt in einer leeren Kirche. Dass es komplett ohne Rockkomponente funktionieren kann und eine straighte Piano-Ballade den Engländer*innen guttut, steht ab sofort außer Frage. Dass eine fast 58 Jahre alte Stimme gefühlt nie (!) altert, ist übrigens insane.

The Painful Truth ist kein Album für diejenigen, die “Selling Jesus” hinterherweinen. Skunk Anansie sind 2025 so poppig wie nie. “Lost And Found” hat zwar einige Takte schrömmelnde Gitarren-Riffs, aber im Kern fühlt man sich eher wie ein fliegend leichter, mit Helium aufgeblasener Ballon. Das ist traurig, aber auch hoffnungsvoll.

“Shoulda Been You” ist der langweiligste Vertreter auf Album Nr. 7. Wenn’s weder groß etwas Neues zu entdecken noch eine durchschlagende Idee hinsichtlich Melodie oder Lyrics gibt, ist das etwas mau. “Animal” ist mit seinem verzerrenden Streicher-Gewitter und dem fast schon hilflosen, selbstzerstörerischen Trauer-Aggro-Feuerwerk im Refrain aber genau richtig. Am meisten aus dem Muster bricht jedoch “Fell In Love” aus – ist das schon Funk? Ja, oder? Das könnte fast in einem coolen Underground-Club laufen, währenddessen man angetrunken zu Stroboskop-Licht rumknutscht.

Ist man kurzzeitig von dem neuen Output enttäuscht? Ja. Ist es wirklich eine Enttäuschung? Nein. Skunk Anansie machen etwas, was sich viele der großen 90s-Bands nicht trauen – sie wiederholen sich nicht selbst, sondern ecken nach neun Jahren ohne LP bewusst an. Wer Nostalgie will, hört weiterhin die wundervollen ersten drei Alben, wer live will, kauft ein Ticket und wer hören möchte, wie sich eine Band nach drei Dekaden doch nochmal fresh anhören kann, gibt The Painful Truth eine verdiente Dreiviertelstunde Aufmerksamkeit.

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