Britpop ist tot. Genauso wie viele andere Musikgenres auch. Leider. Sie spiegeln eine Epoche wider, sind für einige Jahre so Trend, klingen dann irgendwann aber einfach nicht mehr zeitgemäß, sodass das Interesse bei den nachfolgenden Generationen abflacht und schließlich auch der Erfolg. Suede haben den Britpop mitbestimmt, und das ziemlich früh. Sogar einige Jahre, bevor Deutschland überhaupt von dem Genre mitbekam.
Das Kuriose: Trotz maßgeblicher Einflussnahme hat Deutschland bis heute Suede generell kaum mitbekommen. Andere Vertreter*innen wie Blur, Pulp, The Verve und natürlich ganz besonders Oasis schafften den Sprung und liefen zur Primetime auf den Musiksendern im TV heiß, Suede schauten gerade einmal mit drei Singles in den Charts vorbei – beste Platzierung: 92. Sich mal eben ein paar ähnliche Bands anhören, ist halt in den 90s auch nicht so easy wie in 2022. Damit blieb das 1989 gegründete Quintett stets ein wenig unter ferner liefen.
Schade. Sehr schade, lieferte Frontmann und Sänger Brett Anderson mit seinen Männern eine unglaublich große Ladung an eingängigen, berührenden Hits, die es sich stets zwischen Alternative-Rock, Pop, Rock’n’Roll und dem typischen Brit-Sound bequem machten und mit dem richtigen Support problemlos in Deutschland hätten fruchten können. Aber was nicht ist, ist eben nicht. In UK ist die Band seit ihres Debütalbums immer vorne mit dabei und längst Kult. Von den acht Studioalben, die in der ersten Schaffensperiode bis 2002 und in der zweiten seit 2010 entstanden, gingen drei auf Platz 1 und sieben in die Top 10. Aber eben in Großbritannien. Bei uns ist die Fanschar hartnäckig, aber auch überschaubar.
Im September 2022 steht mit Autofiction nach vier Jahren kreativer Pause die neunte LP in über drei Dekaden an. Das ist nicht unglaublich viel, aber dennoch ein recht regelmäßiger Output. Das Gute: Suede waren, sind, bleiben Brit-Pop. Das Schlechte: Brit-Pop hat sich nicht allzu stark weiterentwickelt.
Wer somit auf trendige Beats, nicht mehr wegzudenkende Autotune-Effekte und gerappte Lyrics hofft, wird Gott sei Dank gnadenlos enttäuscht. Stattdessen ist Autofiction einfach Suede, wie Suede zu sein hat – melodisch, manchmal einen Hauch kitschig, metaphorisch deep und Gitarren-lastig. Spielereien und Überraschungen in guter Dosis, Erwartetes und Etabliertes im Überdruss. Schon das ganz, ganz wundervolle Opening “She Still Leads Me” klingt nach Nostalgie und knallt mit seinem hymnenartigen Refrain unmittelbar in Kopf, Ohr und Herz.
Keiner der 11 Songs mit einer Spielzeit von satten 45 Minuten – eine wahre Seltenheit anno 2022 – ist als ein Ausfall zu verzeichnen. Stattdessen hält sich die Waage zwischen Zweidrittel “ziemlich gelungen” und einem Drittel “och joa, kann man laufen lassen”. Weitere Highlights neben der gnadenlos guten Vorabsingle und der nicht altern wollenden, eindringlichen Stimme Bretts ist das melancholisch zurückblickende “15 Again”, bei dem sich in pubertäre Momente gebeamt wird, in “The Only Way I Can Love You” streiten laute Gitarrenriffs mit Streichereinsätzen um die Wette und in dem Balladenmeer “Drive Myself Home” wird auf sehr beeindruckende Art und Weise Spannung erzeugt, ohne sie wirklich zu entladen, sondern viel mehr einfach plötzlich verschwinden zu lassen. Das mystische “It’s Always The Quiet Ones” erinnert an unzählige schöne Suede-Momente und klingt wie ein wohliger, tongewordener Flickenteppich. Interessant.
Etwas weniger spannend ist das schleppende “Black Ice”, das zu wenig zum Punkt kommt und sich auch bei einer Spielzeit von unter drei Minuten ohne nennenswerte Details dahinschleppt. Auch “Shadow Self” hat kaum etwas zu erzählen. Umso epischer wird der 12 minütige Rauswurf bei dem traurigen “What Am I Without You” und dem etwas apokalyptisch-, desillusioniert-großem “Turn Off Your Brain And Yell”. Hätten in der Reihenfolge besser getauscht werden sollen, sind aber auch so nah am unsicheren, anherrschenden Zeitgeist.
Möge UK wieder die Plattenläden stürmen – mit Sicherheit ist der Großteil der Fans so Old-School und investiert Geld in Musik, die sie mögen -, mögen die deutschen Fans aber auch Autofiction so oft hören, dass sie die Band bei den zwei Gigs in Köln und Hamburg im Oktober gebührend feiern können.
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