Man spürt es: der Herbst steht mit wehenden Blättern vor der Tür und macht, sobald die Sonne einmal untergegangen ist, ganz schön kalte Luft um die Ohren. Somit ist es nur eine logische Konsequenz, dass die Strandkorb Open Airs ihre letzte Runde einläuten. Lediglich am Bostalsee im Saarland geht das Programm noch bis zum 10.10. weiter, in NRW ist aber in wenigen Tagen Ende im bzw. auf dem Gelände.
Zu den letzten Gigs am Kemnader See in Bochum, der sich im Spätsommer stets mit seinem bunten und wertvollen Zeltfestival Ruhr einen Namen gemacht hat, gehört in diesem Jahr Sasha. Statt in einem gut beheizten und wetterfestem Zelt wird zwar, wie bereits angedeutet, vor den bereits 2020 etablierten Strandkörben aufgetreten, aber immerhin wird überhaupt aufgetreten. Das scheint auch der kultige Sänger aus Soest wertzuschätzen.
Als man damals in einer Zeit vor Corona auf ein Konzert ging, war es quasi Standard, seit März 2020 aber eindeutig eine Ausnahme: die gute, alte Vorband. Aus organisatorischen Gründen und um auch möglichst wenig Leute zu gefährden, wurden sie nahezu gänzlich ausgemerzt. Doch am 19.09., einem Sonntag, ist der Support-Act, bei dem man immer mal was Neues entdecken kann, zurück aus der Quarantänekiste. Loi darf um 19:30 Uhr, somit während des Einlasses und eine halbe Stunde vor dem offiziellen Konzertbeginn, für 20 Minuten auf die Bühne. Die 19-jährige Newcomerin war vor vier Jahren bei „The Voice Kids“ im Finale und hat dieses Jahr ihre drei ersten Singles veröffentlicht, darunter ein Akustik-Cover von „Blinding Lights“ (The Weeknd), dem größten Hit des vergangenen Jahres. Loi singt begleitet von einer Pianistin eine gute Hand voll Pianoballaden, die alle nach sehr generischem, Radio-Depri-Pop klingen und irgendwie sehr unangeeckt und unaufgeregt durchs Ohr flutschen. Ok, mehr nicht.
Die 20 Minuten Pause zwischen Loi und dem Hauptact vergehen fix. Um 20:10 Uhr beginnt schließlich die Show, wegen der das Publikum überhaupt da ist. Und das ist in großer Stückzahl vorhanden, da nur die hintersten Strandkorbreihen unbesetzt bleiben. Achtung, nun ein „Die Zeit vergeht viel zu schnell“-Fact: Sasha wird Anfang Januar 50. Ja, 50. Das ist eine 5 und eine 0. War der nicht gerade noch der deutsche Sunny-Boy mit Schwiegermutter-Liebling-Image? Doch, aber das ist unfassbare 24 (!) Jahre her.
Vor 24 Jahren sah und hörte man den sympathischen Herren das erste Mal im Musikfernsehen. Dort brachte er nach kurzer Zeit an der Seite der Rapperin Young Deenay sehr viele Frauen- und mit Sicherheit einige Männerherzen zum Schmelzen. Das ist knapp ein Vierteljahrhundert später nicht viel anders. Nur, dass eben Sascha Röntgen-Schmitz, wie er bürgerlich heißt, ziemlich graue Haare hat, einen kleinen Bauch und parallel zu ihm auch die Fans keine quiekenden Teenies mehr sind.
Das macht es schließlich auch so herzerwärmend und schön. Mit Sicherheit hatte Sasha in den vielen Jahren seiner Karriere, die immerhin die Hälfte seines Lebens ausmachen, auch ein paar musikalische Durchhänger oder eine Zeit der Abwesenheit, aber im Kern ist der Sänger zweifelsfrei 90s-Kult und nie negativ aufgefallen, sondern ein gerngesehener Gast bei größeren und kleineren Veranstaltungen. Ob im TV, im Radio oder auf Festivals.
Genau diese beständige Beliebtheit macht sich Sasha auch bei dem 110 Minuten langen Konzert zunutze, das punktgenau zur Sperrstunde um 22:00 Uhr endet. Er kokettiert mit seinem Alter, hat aber die Moves aus seiner Dick Brave-Phase, in der er ziemlich catchigen Rock’n’Roll spielte, immer noch drauf und nichts von seiner Lockerheit und Bodenständigkeit verloren. Wie froh er ist, auftreten zu dürfen, betont er gefühlt alle fünf Minuten. Generell hat Sasha einen großen Schluck aus dem Glas voller Schlabberwasser getrunken, denn geredet wird an jenem Abend viel. Vielleicht auch etwas zu viel.
Sasha läuft wild auf der Bühne hin und her, kommt eine Etage tiefer, um seine Fans besser zu sehen. Er erzählt von seinem „Masked Singer“-Gewinn und Anekdoten von bekannten Promi-Freund*innen wie Rea Garvey; er parodiert Rudi Carrell und Florian Silbereisen, macht eine mehrminütige Gospel-Chor-Aktion mit der Crowd und moderiert nonchalant seine Songs an. Das ist einerseits äußerst unterhaltsam und witzig, andererseits aber auch manchmal eine Spur too much. Fällt ihm selbst sogar auf, sodass er im Laufe des Konzerts eingesteht, sehr aufgeregt zu sein. Immerhin ist es der letzte Gig der Saison. Einer sehr besonderen, unwirklichen Saison.
Und diese Authentizität führt final auch dazu, dass man ihm ein wenig Overacting verzeiht. Denn neben der Person Sasha geht es selbstverständlich ganz besonders um den Sänger Sasha, und der ist bis auf wenige Ausnahmen noch 100% am Start. Viele Gesangsparts klingen auch nach den vielen Jahren des Auftretens sehr originalgetreu wie im Studio. Wirklich selten sitzt ein Ton nicht ganz, andere dafür aber umso mehr.
Das Konzert in Bochum ist ein lupenreines, klassisches Pop-Konzert. Ein paar schicke, stilisierte Einspieler auf den Bildschirmen links und rechts, eine wirklich gut eingespielte Band, die auch mal rockigere Soli spielen darf und ein gut aufgelegter Frontmann. Auch die Setlist ist rund. Zwischen etwas unbekannteren, englischsprachigen Titeln und den großen Hits sind einige deutsche Songs von seinem aktuellen und ersten deutschsprachigen Album „Schlüsselkind“ zu finden, die jedoch dank der überfluteten Deutsch-Pop-Welle leider genauso klingen wie sämtliche Lieder der Forster–Oerding–Bourani–Giesinger-Fraktion. On top gibt es dafür ein paar überraschende Coversongs aus Sashas „Masked Singer“-Teilnahme, einen Blues-Block und genügend Classics wie „I Feel Lonely“, „Slowly“, „This Is My Time“, „Lucky Day“, „Rooftop“, „We Can Leave The World“ und zum krönenden Abschluss ein sehr emotionales und berührendes „If You Believe“, was Nostalgie zum Fühlen ist.
Sasha hat auch zwei Jahrzehnte weiter noch Charme und sich nicht in den Trash heruntergewirtschaftet. Stattdessen hat der Jung stets Fahrtwind und eine gehörige Ladung musikalisches Talent, sodass sein letztes Konzert der Strandkorb-Saison auch trotz niedrigen Temperaturen eine Portion Wärme und Zufriedenheit mit nach Hause gibt.
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Bild von Christopher F.
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