“Tach Leute, ich bin Fritz und fang’ jetzt an” – und dann geht’s los. War ein Erscheinen des Hauptacts auf der Bühne je weniger aufregend und selbstdarstellend? Da muss man wohl länger überlegen, wann man das so zuletzt oder viel mehr jemals gesehen hat. Fritz Kalkbrenner scheint aber genau das für sich als richtigen Einstieg zu empfinden und beginnt mit diesen Worten seinen Gig beim Zeltfestival Ruhr.
Es ist einfach ein gutes Gefühl, endlich wieder die ganzen Events besuchen zu können, die man sonst für selbstverständlich und eben “immer da” wahrnahm, die aber größtenteils erst jetzt zurückkehren. Zwei Jahre lang pausierte auch das besondere Konzept am Kemnader See, der zwischen Bochum, Witten und Hattingen liegt und bis 2019 immer für zweieinhalb Wochen als Sammelstelle für Konzerte- und Comedyliebhaber*innen, Gastrofans sowie Shoppingbegeisterte mit Hang zum Extravaganten galt. Hier tummelten sich Groß und Klein, Familien, Paare, Freundeskreise.
2020 und 2021 war das Bild ein anderes. Einmal absolute Ebbe, bei der zweiten Runde fand man Strandkörbe vor. Die stellten sich bei dem verregneten Sommer im vergangenen Jahr zwar als gute Alternative heraus – nah beisammenstehen, die Acts nur aus wenigen Metern Entfernung beobachten und vorher übers Gelände flanieren, ist aber einfach was anderes. Somit: Danke, dass es eine Ausweichmöglichkeit gab, noch ein viel größerer Dank aber dafür, dass nun alles wieder so ist, wie wir es beim Zeltfestival Ruhr vermisst haben.
Am achten von insgesamt 17 Tagen Programm wartet in dem zweiten, etwas kleineren Zelt ein untypischer Aufbau auf die Ticketinhaber*innen. Instrumente? Sehe ich nicht. Eine komplett leere Bühne, weil womöglich ein Comedyact auftritt, jedoch genauso wenig. Stattdessen befindet sich auf der Stage quasi noch eine weitere. Ein gut drei Meter breites Pult ist bereitgestellt, hier können am 26.8., einem Freitagabend, also auch die in der letzten Reihe besser in die Gesichter der Protagonist*innen blicken als sonst, befinden sie sich eben locker 50 Zentimeter höher präpariert.
Letztendlich stellt sich heraus, dass vorab mehr präpariert wurde, als man zunächst erkennen mag. Rund 50 Lichteffekte über und auf der Bühne, eine große Leinwand im Hintergrund, drei Laptops, Mischpulte, und viel Kabelgedöns. Und dennoch ist, wie eingangs bereits beschrieben, alles sehr unaufgeregt. Es läuft Musik fürs Nebenbei, um 19:58 Uhr wird es dunkler, als es in dem fast ausverkauften Zelt eh schon ist. Dann kommt ein 41-jähriger Typ in kurzer Sommerhose und schwarzem Shirt die Treppen hoch, spricht die paar zitierten Worte ins Mikro und ein Beat erklingt. Fritz Kalkbrenner ist am Start.
Aber irgendwie passt das. Der jüngere Bruder von einem der am meisten gefeierten DJs des Landes, Paul Kalkbrenner, ist kein Mensch, den man groß in den Medien wahrnimmt. Überwiegend ist es nur seine Musik. Die läuft dafür immer dann, wenn man im Electro-Bereich guten Geschmack beweisen möchte. Wurden Übergrößen à la Robin Schulz oder Felix Jaehn durch ihr mainstreamiges Durch-den-Fleischwolf-Gedrehe von sowieso schon totgedudelten Hits immer mehr belächelt, ist Fritz Kalkbrenner ein DJ der alten Schule. Man besticht durch Selbstgemachtes und nicht durch die Inszenierung der eigenen Person. Der kann mit Sicherheit im Discounter einkaufen gehen, ohne mit Fans Selfies machen zu müssen.
Genauso funktioniert die Show. 115 Minuten lang können knapp 1000 Besucher*innen zu live entstehenden Beats tanzen. Fritz kommt beiläufig auf die Bühne, hat in drei Sekunden die Begrüßung hinter sich gebracht, entscheidet sich aber einige Minuten später doch nochmal dafür, durchs Mikro “Hallo” zu sagen. Tatsächlich war es nämlich dermaßen plötzlich, dass viele nicht mal jubeln, als es losgeht. Ist er das jetzt schon? Dauert einige Augenblicke, ums zu realisieren.
Hört man jedoch das, was durch den hervorragend abgemischten Sound durch das zweitgrößte Zelt wummert, sind alle Fragen automatisch beantwortet. Melodic-Dance, authentischer Techno, Minimal-Parts, stimmiger House mit hin und wieder Tropical-Essenzen und eine Spur Dream-Pop verschwimmen ineinander und bringen die Masse zum Bewegen. Übrigens ein schönes Bild, was sich da ergibt: Ein ganzes Zelt voller Menschen tanzt. Manche entspannter, wollen sie dem DJ nämlich zusehen, wie er sich auf sein Equipment konzentriert. Andere drehen Fritz gar dem Rücken zu und machen mit ihren Leuten einen kleinen Kreis wie im Club auf. Hier und da eskalieren manche so richtig und tragen Sonnenbrillen und Beachshirts. Bochum = Ibiza?
Ein Konzert der etwas anderen Art eben. Singt man ansonsten bei seinen Bands und Künstler*innen lauthals mit oder lauscht den Gesangsperformances, schweigt man hier viel mehr. Passiert das Tanzen bei regulären Konzerten nebenbei, wird es hier zum Kern. Zusätzlich bleibt das Anhimmeln der Person, die oben steht, aus. Nur gelegentlich werden Fotos gemacht oder kurze Clips, um die Insta-Story zu füllen.
Und trotzdem ist ein Fritz–Kalkbrenner-Gig eben nicht einfach nur ein fast zweistündiges Workout, sondern mehr. Damit der Sehnerv sich nicht langweilt, ist jeder Song mit einer hervorragend abgestimmten Lichtshow untermalt, die manchmal selbst im dunkelsten Raum jede Ecke hellwerden lässt. Da kneift man reflexartig doch mal beide Augen zusammen, so grell ist es. Zusätzlich werden auf der großen sowie auf der kleineren Leinwand, die vorn am Pult angebracht wurde, Visuals gespielt, die etwas Puristisches haben. Oft sind es nur Formen, manchmal ein paar Gebäude, jedoch nie wirkliche Filme, die ablenken würden. Das beste Gimmick ist aber auditiv, nämlich die Stimme Fritz Kalkbrenners.
Gute 50% des Showcases kommen instrumental aus. Die anderen 50% werden mit der schaurig warmen, eindringlichen und schönen Stimmfarbe des DJs versehen, der fast alle Vocalpassagen live einsingt. Das sorgt für Jubelstürme, ganz besonders bei großen Hits wie “Back Home” oder “Kings & Queens”. Das Publikum stimmt im Chor ein oder lauscht gespannt dem zweiten Talent des Berliners. Zugegeben: Es ist nicht seine absolute Stärke. Besitzt seine Stimme zwar einen wunderbaren Sound, ist er gleichzeitig tonal nicht ganz sicher und trotz des überschaubaren Tonregisters der Titel manchmal etwas daneben. Zum Glück aber nicht so, dass es stark stört. Vielleicht kann daran noch etwas Finetuning betrieben werden, aber dass es überhaupt so wohligen Gesang gibt, macht ein DJ-Konzert eben zu einem atmosphärischen Special.
Wenn Fritz zum Mikro greift, singt er auch meist. Nur einige Male hält er kurze Ansprachen. Die sind in erster Linie dafür da, die Leute zum Mitklatschen zu animieren. Einmal darf sogar auf jede Viertel geklatscht werden. Das, was laut ihm nebenan im Zelt die ganze Zeit passiert – da spielen nämlich Silbermond – darf nun nur einen Track lang gemacht werden, bevor’s zu cheesy wird. Das Adjektiv “cheesy” wählt er auch, wenn er bei “Back Home” für rund eine halbe Minute ein Saxophonsolo spielen lässt. Dazu erzählt er die interessante Geschichte, dass er bei vielen Produktionen echte Musiker*innen ins Studio einlädt, die ihm Parts auf ihren Instrumenten einspielen. So eben auch das Saxophon, das es zwar nicht in die finale Version schaffte, aber live in dosierter Menge gut kommt.
Mit Sicherheit sind knappe zwei Stunden, in denen man eben in erster Linie tanzt und die Musik permanent bei 128 BPM bleibt – ein beeindruckender Fakt, den Fritz hier beiläufig preisgibt. Was alles so hinter einem DJ-Set stecken kann… – wahrscheinlich nicht jedermanns Sache. Soll es aber auch nicht sein. Es gleicht einem stilvollen Clubbesuch, einer Art Love Parade ohne Gedränge. Electro, wie er sein kann, wenn sich Mühe gegeben wird, der Bass richtig ballert und man in den besten Momenten den Kopf abschaltet und seinen Körper verlassen kann. Doch beim Finale “Sky and Sand” ist alles wieder 2022. Die Handys gehen nach oben, jeder kennt die Lyrics. Kein Wunder, zählt der Song nun mal zu den sechs Liedern, die am längsten in den deutschen Charts vertreten waren. In Zahlen sind das übrigens irrsinnige 129 Wochen. Rund zweieinhalb Jahre. Ein guter Moment, so einen modernen Klassiker des Genres mal live miterleben zu können.
Mit dem Drücken einer Taste endet der letzte Ton. Fritz Kalkbrenner verlässt nach einem kurzen “Danke” die Bühne. Eben so kurz und knackig, wie er sie betrat. Aufgrund lautstarker “Zugabe”-Rufe kommt er für einen weiteren fast zehnminütigen Track zurück. Abschließend bedankt er sich ausführlicher und verbeugt sich vor dem Pult. Fans kommen wieder, weil es das ist, was sie wollen und wiederkriegen werden. Neugierige, für die DJ-Konzerte bisher fremd sind, dürfen aber es gern mal ausprobieren. Anders, aber gut.
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Bild von Christopher.
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