So recht möchte der Spätsommer nicht zu der Musik von Lucy Dacus passen. Gefärbt ist die eher in einem herbstlichen Braunton. Abhalten tut das die 27-Jährige nicht, gerade in den Ausläufern des Augusts im Kölner Luxor ein Konzert zu spielen. Eigentlich sollte das bereits im März stattfinden, wurde der Pandemie wegen erst zeitlich, dann wegen Ausverkauf auch räumlich hierhin geschoben. Und trotzdem: Eine Abendkasse gibt es auch heute nicht.
Einmal im niedrig-deckigen Luxor angelangt, ist vom blauen Himmel über der Luxemburger Straße nichts mehr zu spüren. Begrüßt wird man stattdessen von Din-A4-Zetteln, die die Wände des Clubs zieren und freundlich dazu auffordern eine Mund-Nasen-Bedeckung zu tragen. Später, zehn Minuten bevor Dacus die Bühne betritt, läuft außerdem eine Ansage vom Band, die zu ebenjenem auffordert. Vor dem Hintergrund abnehmender Pandemiemaßnahmen ist das eine ungewöhnliche, aber doch nachvollziehbare Bitte. Die Ausfallkosten im Falle einzelner Covid-Infektionen in der Crew eben sind utopisch. Im Anschluss reicht das Team der Musikerin medizinische Masken in die Menge. Eine Entschuldigung keine zu tragen, gibt es also nicht. Und tatsächlich: Münder und Nasen gibt es im Club nur wenige zu sehen. Generell: Das oft als anstrengend empfundene Luxor ist dank des lockeren Gemüts der bunten Menge – viele Arme schießen nach oben als Dacus fragt, wer im Raum homosexuell sei – ein bisschen weniger schlimm als sonst.
Doch das alles passiert erst später. Zunächst einmal braucht es ein wenig Geduld. Emperor X, der den Abend eröffnet, rattert mit der loosen Lüftungsabdeckung um die Wette – Luxor: wunderbar – und deutschelt sich sympathisch durch ein Set voll Punk-inspiriertem Lofi-Songwriter-Material. Im Anschluss lässt er die Stimmung im Raum darüber entscheiden, welchen Song er als nächstes anspielt. Schon lange bereist der 43-Jährige mit seinen Songs die Welt, diese Routine jedenfalls ist spürbar. Dann, nach Dacus Ansage, aber sind alle im Raum bereit, die Masken zurecht gerückt: Das eigentlich finale „Triple Dog Dare“ setzt den druckvollen Anfang, baut minutenlang Spannung auf bis es schlussendlich zum ersehnten Ausbruch kommt, nein, kommen darf. Es sind im Konzertverlauf immer wieder kleinste Dynamiken, die Dacus zusammen mit ihren Mitmusiker*innen ausschlachtet. Besonders geeignet für solche Spielchen sind die Stücke ihres aktuellen Albums „Home Video“, das mit zehn von 18 Songs auch den Löwenanteil stellt. All das klingt fantastisch.
Dynamisch ist auch die Kommunikation zwischen Dacus und Fans. Bei „Going Going Gone“ winden sich hunderte Arme in Richtung klappernder Lüftung, in den Händen halten sie gebastelte Papiersternchen. Die Fanaktion wird freudig aufgenommen, flott in Foto und Video festgehalten, man bedankt sich höflich. Einige Songs später möchte sich eine Gitarre nicht stimmen lassen. „Das klingt nicht toll“, kommentiert Dacus. „Du bist immer toll“, wiederum ruft einer aus dem Publikum. „Oh, mein Therapeut ist hier“, kontert es von der Bühne. Kollektives Gelächter. Außerdem: Das Autotune-Gerät ist für das träumerische „Partner In Crime“ zuerst im falschen Key (cool weggelächelt) und die Kölner*innen bekommen das Label „koordiniert“ aufgedrückt (der Zugabe-Chor).
Es sind schlussendlich solche kleinen Momente, Gesten, Blicke, die entgegen des sonnigen Klimas vor der Tür ebenjene wohlige, herbstliche Tee-Atmosphäre samt Gemeinschaftsgefühl schaffen, die Dacus Musik gerecht wird. Die vielen Masken jedenfalls rücken dabei komplett in den Hintergrund. Schön.
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Foto von Jonas Horn.
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