“Wer war denn von euch schon damals dabei?”, fragt James Morrison in Köln. Zurückgerechnet ist es nämlich schon über 16 Jahre her, dass der Brite sein Debütalbum veröffentlicht hat und schon “damals” direkt auch in der Domstadt auftrat. Viele in den vordersten Reihen heben die Hand. Sie kamen immer wieder und sind auch gegenwärtig noch Fan.
Dabei ist es um den 38-jährigen zunehmend ruhiger geworden. Seine erste LP “Undiscovered” ging in seiner Heimat direkt an die Pole und kassierte Fünffachplatin. Auch bei uns gab es für zwei seiner Alben Gold, ebenso für die Single “I Won’t Let You Go” und gar Platin für den Nummer-1-Hit “Broken Strings” mit Nelly Furtado. Aber das ist alles schon mindestens elf Jahre her. Danach kamen mit “Higher Than Here” (2015) und “You’re Stronger Than You Know” (2019) noch zwei weitere Longplayer, die aber zeigen, dass das ganz große Interesse an dem talentierten Sänger etwas abgeflacht ist. Die im Februar diesen Jahres veröffentlichte Greatest Hits ging nicht mal mehr in unsere Top 100, aber weiterhin in die Top 10 in Großbritannien.
Doch das sind alles nur Zahlen. Zwar scheint James Morrison ein wenig davon überrascht zu sein, dass nach der langen Zeit immer noch die Deutschen ihn hören wollen, was er gleich zwei bis dreimal während seiner Show im Carlswerk Victoria wiederholt, und dazu noch an einem Montag, wo man sonst doch lazy auf der Couch abhängt, wie er scherzt. Aber nur, weil der kommerzielle Erfolg ein wenig ausbleibt, muss die Qualität nicht zwangsläufig schwinden. Die Größe der Venue ist nämlich ähnlich wie die des E-Werks, wo Morrison die Male zuvor auftrat. Zwar ist das Konzert bei Weitem nicht ausverkauft, dennoch verteilt sich eine ordentliche Menge über den ganzen Raum, sodass es angenehm voll aussieht und man beim leichten Hüfte bewegen niemanden anstößt. So mag man’s doch am liebsten. Gut Zweidrittel der Tickets sind geschätzt aber bestimmt weg.
Bevor es um Punkt 21 Uhr mit dem Hauptact aus dem Südosten Englands losgeht, gibt es kurioserweise schon ein Highlight. Es gibt eigentlich keine Diskussion: Casey McQuillen ist zweifellos der beste Supportact des Jahres. Was ein Paket. Die New Yorkerin war 2014 in der 13. Staffel von “American Idol”. Dort gab es zwar nicht den erhofften Gewinn, aber immerhin Aufmerksamkeit. Einige Jahre später tritt sie in der Show von Kelly Clarkson – der ersten “American Idol”-Gewinnerin – auf und eröffnet nun auf der gesamten Tour für James Morrison. Und ohne zu übertreiben, ist es gar nicht so leicht, nach dem Konzert zu sagen, welcher der beiden Acts nun besser war.
Die Sängerin hat Kurven. Sie ist nicht das typische 0815-Model, überzeugt aber bereits in ihrer Anmoderation mit purer Energie, äußerst viel Wortwitz und Charme. Danach überzeugt sie noch viel mehr mit ihrer klassischen Pop-Stimme, die sich irgendwo zwischen der bereits erwähnten Kelly Clarkson – ja, das ist ein verdammt großes Kompliment – Mandy Moore und Delta Goodrem platziert. Casey steht allein mit ihrer Gitarre am Mikro, erzählt vor den Songs sehr persönliche Storys über vermasselte Treffen auf Dating-Apps oder dem wahnsinnig starken Wunsch, schlank zu sein. Selten ist ein Applaus dermaßen euphorisch groß, wenn der Support sagt, dass er geht. 35 Minuten, die wie im Flug verstreichen. Unbedingt bei Spotify reinhören und abonnieren.
Danach dauert es keine halbe Stunde mehr und das Hauptprogramm geht weiter. Das Publikum ist herrlich entspannt. Viele Pärchen stehen leicht kuschelnd nebeneinander, insgesamt ist die Überzahl der Besucher*innen aber wohl weiblich gelesen und in den 30ern. Auf der Bühne sammeln sich schließlich sechs Musiker*innen, zwei Background-Ladies, ein Drummer, ein Bassist, ein Gitarrist und ein Keyboarder, der aber auch viel an der Hammondorgel spielen wird.
Keine Leinwand, kein Konfettiregen, kein gar nix. Musik und Licht. Auch nicht so viele Worte. James Morrison macht nach gut drei bis vier Songs klar, dass hier ausschließlich seine Titel, seine Stimme und eben die Band wirken sollen. Alles andere ist unnötige Ablenkung. Der Sound klingt eigentlich ziemlich gut, nur sein Mikro bleibt die gesamten 85 Minuten über einen Ticken zu leise.
Die Show besticht genau durch das Detail, was man sich erhofft, wenn man zu einem Konzert von James Morrison geht: exzellenten Gesang. Ja, da muss man schon genauer überlegen, um ähnlich gute Sänger zu finden. Eine Kategorie mit Sam Smith oder Adam Lambert, eben mit den richtig, richtig guten. Die sehr rauchige Stimmfarbe ist in Kombination mit der Tenorlage, die dazu noch einige schwindelerregende Höhen in der Kopfstimme erreicht, einfach unschlagbar. Morrison singt fast anderthalb Stunden lang nahezu fehlerfrei. Wenn fünf, sechs Tönchen nicht ganz mittig platziert sind, sind das viele. Ansonsten könnte man das so unbearbeitet auf einer Platte veröffentlichen. Gänsehaut und beeindruckendes Nicken parallel.
Damit ist das Wichtigste geschafft. Um alles andere scheint sich der sehr authentisch wirkende Herr auch keinen so großen Kopf zu machen. Eine richtige Rampensau ist er nicht. Seine Ansprachen sind meist kurz, aber freundlich und locker. Er ist dafür mit vollster Anstrengung dabei, groovt mehrfach mit der Band und schwitzt sich kaputt, sodass sein hellgraues Shirt schon nach gut 20 Minuten durchtränkt ist. Natürlich sind 85 Minuten Spielzeit nicht viel und vergleichsweise auch etwas unterdurchschnittlich, diese sind dafür aber qualitativ echt hochwertig.
Auf der Setlist gibt es 17 Songs, wovon sich elf auf der aktuellen Greatest Hits befinden, zu der es die Tour gibt. Die beiden UK-Top-10-Hits “You Make It Real” und “Please Don’t Stop The Rain” fehlen jedoch bei der Show. Die restlichen sechs Songs setzen sich aus seinen vorangegangenen Alben zusammen, lediglich “Higher Than Here” bleibt unbeachtet. Genauso wie auf der Compilation sind alle seine Erfolgstitel neu eingespielt und teilweise auch anders arrangiert. Besonders auffällig ist hier das reduzierte, heruntergefahrene und dadurch komplett neu wirkende “Broken Strings”, das in 2022 ohne Nelly Furtado stattfindet. James Morrison singt selbst die weiblichen Parts und wechselt gleich mehrfach zwischen seiner Stimme, der von Nelly Furtado sowie einigen Tönen, die sich in der Tonart befinden, aber so im Song nicht vorkommen. Das ist wahnsinnig musikalisch und verdient besondere Erwähnung.
Man muss dennoch für die Musik ein gewisses Faible haben. Zwar ist der Soul-Funk-Blues-Singer/Songwriter-Pop auf einer fachlichen Ebene extrem gut, aber dennoch ein bisschen Easy Listening und nicht immer herausfordernd. Da bekommen manche Tracks nur das Siegel “Ganz nett”. Umso schöner, dass es manchmal auch ein wenig rockiger zugeht und die vierköpfige männliche Band, die genauso wie Morrison den Fokus auf ihr Können und nicht auf ihr optisches Wirken legt, einfach wirklich toll spielt. Die Chemie zwischen allen Beteiligten stimmt. Auch eine der Backgroundsängerinnen, die für die nicht anwesende Joss Stone den Part in “My Love Goes On” übernimmt, liefert ab, ohne dass man etwas bemäkeln kann.
Absolute Moments to Shine sind neben dem überraschend anders klingenden “Broken Strings” das immer wieder berührende “You Give Me Something” und die wahnsinnige Gesangsleistung in “The Pieces Don’t Fit Anymore”. Bei dem zweitgrößten Hit “I Won’t Let You Go” wird an der einen oder anderen Stelle zwar ein bisschen gemogelt und manche anspruchsvollen Runs nicht ganz so gesungen, wie sie sollten, aber dafür gibt es wirklich unzählige andere Momente, in denen einen die Vocals richtig kicken.
Ob nur 15 Minuten oder mehr als 15 Jahre – James Morrison hat Qualitativ nicht einen Hauch an Technik eingebüßt und gehört zur Oberliga. Auch wenn die Kompositionen manchmal ein wenig mehr wagen könnten, fällt auf, dass das Talent aus UK auch ohne irgendwelche Showeffekte tragen kann. Und das in Köln offensichtlich zum wiederholten und bestimmt auch nicht letzten Male.
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Bild von Christopher.
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