Sie ist die Erfinderin der Unangepasstheit. Die Erfinderin der kreativen Videoclipästhetik. Die Erfinderin des Avantgarde im Pop. Die Erfinderin des multimedialen Erlebnisses. Sie ist alles, nur nicht das, was du erwartest. Sie ist Björk.
Ohne Zweifel gehört die bereits 56-jährige Künstlerin immer noch zu den bekanntesten Persönlichkeiten Islands. Dem sagenumwobenen Land, das viele magisch anzieht, man aber doch so wenig greifen kann, weil es irgendwo im Nirgendwo liegt. Nächstes Jahr ist ihr Debütalbum auf einem Majorlabel, das ganz logisch und simpel “Debut” hieß, 30 Jahre alt. Die Frau, die immer locker zehn Jahre jünger aussieht, als sie eigentlich ist, hat in den drei Dekaden gefühlt in jedes Genre geschaut, das existiert, hat jedes Instrument in mindestens einen Track eingebaut. Sie ist für Musikvideos teils extreme Wege gegangen und hat Risiken in Kauf genommen. Sie hat mit außergewöhnlichen Special Effects und Verfremdungen gearbeitet und genauso gar keine verwendet.
All das muss man grundsätzlich immer im Kopf behalten, wenn man sich an ein Release von Björk heranwagt. An Musik, die immer zunächst ein wenig aneckt, wenn man sie das erste Mal hört. Musik, für die man offen und interessiert sein muss. Möchte man diese Herausforderung nicht in Kauf nehmen, landet man auf der Nase. Björk war immer schon einige Schritte voraus. Natürlich sind mehrere ihrer Alben heutzutage nicht mehr so edgy und special wie damals. Aber damals waren sie es uneingeschränkt. Und sie waren so unglaublich gut.
Und obwohl man all diese Dinge präsent hat und mit Offenheit an Fossora, dem ersten Album nach fast fünf Jahren Pause – die längste ihrer bisherigen Karriere – herantritt, ist das Album eine Enttäuschung, fast schon ein Ärgernis. Die 54 Minuten, aufgeteilt auf 13 Tracks, sind nicht greifbar. Zum wiederholten Male.
Björk muss niemandem etwas beweisen. Björk muss keinen Chart-Pop machen. Dass ihre Musik in den Charts landete, war ihr mit Sicherheit oft gar nicht so wichtig. Dennoch muss man mit Musik Erfolg haben, um davon leben zu können. Erfolg bedeutet, dass man genug Menschen damit erreicht. Damit man Menschen erreicht, muss Musik zugänglich sein. Oder besonders. Oder unterhaltsam. Im Gegenzug darf sie schlussfolgernd nicht langweilen. Fossora wirkt im Vergleich zu sehr vielen alten Björk-Platten, nämlich den erfolgreichen, wie von einem anderen Act. Zum wiederholten Male.
Wie eingangs beschrieben, konnte man sich bei Björk stets darauf verlassen, überrascht zu werden. Immer gab es ein paar Songs, die schneller fruchteten, weil sie entweder total abgefahrene Beats parat hielten oder auch mal mit richtig großen Refrains zu begeistern wussten. Auf manchen Alben waren die Lieder mit leicht verständlichen Elementen in der Überzahl, auf anderen in der Unterzahl, aber es gab sie immer. Zumindest bis zum sechsten Album “Volta” aus 2007, das unter anderem von dem damals überragend erfolgreichen Timbaland produziert wurde. Auf jedem der ersten sechs von nun insgesamt zehn Alben kann man Titel aussuchen, die wegen ihrer Kreativität oder wegen ihrer Eindringlichkeit oder im Optimalfall beidem hervorstachen. Unter den sechs Alben gab es sehr leises (“Vespertine”, 2001), sehr großes (“Homogenic”, 1997), sehr eingängiges (“Post”, 1995), sehr elektronisches (“Debut”, 1993), sehr rhythmisches (“Volta”, 2007) oder auch sehr konzeptionell-experimentelles (“Medúlla”, 2004) zu hören. Alles davon war gut, so wie es war, weil man wusste, beim nächsten Mal ist es eben wieder anders. Aber Fossora ist nichts davon. Zum wiederholten Male.
Nach 2007 – also exakt auf der Hälfte der Karriere – war Feierabend. Seitdem macht Björk, etwas übertrieben gesagt, immer dasselbe. Bei “Biophilia” (2011) konnte man noch denken: “OK, ist jetzt nicht so meins, weil irgendwie etwas dröge und spacig”, aber man wusste ja, in der nächsten Runde wird’s anders. Aber nein, eben nicht. Natürlich heißen die Songs immer anders, sind kein hundertprozentiges Copy and Paste, aber ob man nun “Biophilia”, “Vulnicura” (2015), “Utopia” (2017) oder eben das neue Fossora hört: Es. Klingt. Alles. So. Un. Fass. Bar. Gleich.
Und das ist ernüchternd, traurig, schade, verärgernd. Denn, wie gesagt: Hätte Björk mit diesen vier Alben ihre Karriere begonnen, hätte sie mit sehr, sehr großer Sicherheit niemals die Mittel erwirtschaften können, um zehn Alben machen zu können. Leute hätten es gekauft, aber eine ganz andere Bubble, die einen minimalen Bruchteil von der ursprünglichen ausmacht. Und das ist schwierig.
Fossora ist laut Björk selbst ein Konzeptalbum, das ihre wiederentdeckte Liebe zu Island zeigen soll, wo sie sich während der Pandemie so lang aufhielt, wie schon ewig nicht mehr. Außerdem möchte sie ihre Vorliebe für die wundersame Welt der Pilze vertonen. Viele denken jetzt bestimmt “Oh Gott, psychedelische Experimente also…” – das wäre ja noch aufregend. Aber nein. Stattdessen ist Fossora ein fast komplett orchestrales Album, das viele Töne aus Instrumenten verwendet, die man ansonsten nie hört. Dazu dosierte elektronische Einschübe aus dem Drumcomputer. Cool, wenn erstmalig. Aber ist eben nicht so. Denn auch das passiert, ihr ahnt es: Zum wiederholten Male.
Ganz objektiv betrachtet: Klickt einfach mal willkürlich auf die 13 Tracks und hört euch jeweils nur die ersten 20 Sekunden an. Es gibt exakt zwei Arten von Intros: Flöten und Bläser oder mehrstimmiger A-cappella-Gesang. Manche ersten Takte klingen so unverschämt gleich, dass man irgendwann, wenn es einmal aufgefallen ist, schon anfangen muss zu lachen. Klickt danach willkürlich durch die Tracks aller letzten vier Björk-Alben, und das Spiel geht weiter.
Selbstredend ist Fossora kein schlechtes Album, weil Björk keine schlechten Alben macht. Das ist keine Musik, die man mal eben hinrotzt, die an einem Tag im Kasten ist. Eher das Gegenteil. Immer gut sind die Spielereien mit Raumklängen, sodass bei einer guten Anlage aus unterschiedlichen Boxen stets unterschiedliche Sounds hörbar werden und so durch das gesamte Zimmer gleiten. Aber es ist eben auch Musik, die klingt, wie eine Kunstperformance im Museum. Nur, dass man nicht im Museum ist und die Kunstperformance nicht sieht, lediglich die akustische Untermalung vernimmt. Es fehlen Reize, es fehlt Verständnis, es fehlt eine Anleitung. Und selbst wenn man die Anleitung hätte – möchte man die immer lesen oder einfach auch mal was intuitiv probieren?
Denn irgendwo war Björk halt auch mal Pop. Dass man sich weiterentwickelt, ist super und hält bei Laune. Aber dass man mehrfach über Jahre so sehr seine Wurzeln verleugnet und einfach so sehr darauf scheißt, dass Leute die Musik nun mögen oder nicht, führt früher oder später zu einer Trotzhaltung. Denn tatsächlich ist Björk das, was sie nie war: Berechenbar und schrecklich langweilig.
Möchte man trotzdem der LP, die man auch fünf Mal hören und trotzdem zu kaum einem Song eine Verbindung aufbauen kann, eine Chance geben, stechen drei Tracks hervor. Das isländische Interlude “Fagurt Er í Fjörðum” beweist wieder, dass man eine Sprache nicht können muss, um dennoch durch emotional vorgetragenen Gesang berührt zu werden. Allerdings sind die 44 Sekunden – oh Wunder – arg schnell vorbei. Besser macht es das hypnotische, mehrschichtige “Sorrowful Soil”, das die Kraft von Björks Stimme im Chorgeflecht perfekt nutzt, sich nur leider nach überraschtem Aufhorchen nicht mehr groß steigert. Einziges wirkliches Highlight: Der Titeltrack “Fossora” zeigt, dass Mittelwege aus Avantgarde, klar erkennbarer Hook, stampfenden Beats und Orchester möglich sind. Das ist auch weit weg von kommerziell, aber immerhin verarbeitbar ohne vorher eine Diplomarbeit geschrieben zu haben.
Wer immer noch auf Björks Seite ist und sie seit Jahrzehnten abfeiert, ist womöglich bis auf den Tod solidarisch. Fossora ist nicht extremer als das, was man die paar Male davor schon von der Isländerin gehört hat. Aber es ist eben wieder ein Album mit einem mini-minimalen Anteil von Leichtigkeit, Unterhaltung und Pop. Zum wiederholten Male. Wir haben es nun alle verstanden. Wirklich.
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