Vier Jahre ist es her, dass die britische Girlband Little Mix eine vorübergehende musikalische Pause verkündete. Nach zehn Jahren Bandgeschichte, die 2011 bei der Castingshow The X-Factor begann, schlugen Leigh-Anne Pinnock, Jade Thirlwall und Perrie Edwards erstmals Solo-Pfade ein. Nachdem Jade eine Woche zuvor bereits ihr Debütalbum veröffentlicht hat, legt nun auch Perrie mit ihrem Debüt „Perrie“ nach, auf dem sie eindrucksvoll ihre Stimme in Szene setzt.
Anders als bei Jade und Leigh-Anne knüpft Perrie musikalisch am ehesten an den altbekannten Little-Mix-Sound an. Die sechzehn Tracks des Albums sind deutlich poppiger als die ihrer ehemaligen Bandkolleginnen und weniger experimentell. Die Sängerin verkündete jüngst, dass sie ihr fertiges Album einmal komplett verworfen und ein völlig neues Konzept mit neuen Songs kreiert habe. Während sie in der ersten Version keine Writing-Credits hatte, ist sie in der finalen Fassung an den meisten Songs selbst beteiligt.
Unterstützung hat sie sich dabei von hochkarätigen Singer-Songwritern geholt. An ihrer ersten Singleauskopplung „Forget About Us“ hat Ed Sheeran mitgeschrieben, ebenso bei „Pushing Up Daisies“. An mehreren Liedern, unter anderem „If He Wanted He Would“, war Sängerin Nina Nesbitt beteiligt. Auch altbekannte Little Mix-Songwriter waren am Werk: Ed Drewett, aus dessen Federn bereits „Black Magic“ von Little Mix oder „Steal My Girl“ von One Direction stammen, hat beim Song „Cute Aggression“ mitgearbeitet. Ebenso Produzent und Songwriter MNEK, der bereits in der Vergangenheit des Öfteren Musik für die Girlband produziert hat (unter anderem „Sweet Melody“ oder „Wasabi“).
Bereits die Opener „Forget About Us“ und „If He Wanted He Would“ entpuppen sich als großartige Pop-Hymnen, die catchy daherkommen und großes Ohrwurmpotenzial besitzen. In der Band wurde Perrie stimmlich immer wieder hervorgehoben – nicht zu Unrecht. Ihre Stimme gehört zu den besten unserer Zeit, vor allem bei hohen Tönen und Belting-Momenten ist sie unschlagbar. Besonders gut kommt das bei „Rocket Scientist“ zur Geltung, das wie gemacht für ihre Stimme scheint. Ein Highlight des Langspielers ist definitiv „Bonnie and Clyde“. Vom Aufbau und von den Harmonien her ist dieser Song gigantisch konzipiert. Mit „Miss You“ hat es eine der wenigen Balladen auf die Tracklist geschafft, die gerade deshalb umso stärker wirkt. Auch die Harmonien in „Absofuckinglutely“, das Snippets von der Stimme ihres Sohnes Axel beinhaltet, und „Where You Are“ sind große Klasse und genau das, was ein Pop-Album benötigt.
Das eigentliche Herzstück des Albums mag aber „Same Place Different View“ sein. Ein sehr emotionaler Song, in dem es um eine zerbrochene Freundschaft geht („We’re on different pages, so there’s nothing I can do“). Viele Fans sind sich hier einig, dass das Lied über Jesy Nelson handelt, die Little Mix im Dezember 2020 verlassen hat. Aber auch „Goodbye My Friend“, eine Hommage an Jade und Leigh-Anne, zählt zu den besten Momenten des Albums. Besonders Zeilen wie „You know I’ll be here for you when you come back again“ lassen Fans auf ein Comeback der Girlband hoffen.
Trotz dieser Highlights befinden sich auf dem Album aber leider auch einige Tracks, die nicht gänzlich mithalten können. Etwa „Sand Dancer“, das bei weitem nicht schlecht ist, aber leider melodisch nur so vor sich herdümpelt. Ebenso „Baby Steps“, das einen fantastischen Einstieg hat, aber nach hinten raus zu sehr auf Radio-Pop getrimmt wurde. Auch „Pushing Up Daisies“, „Cute Aggression“, „Put You First“ und „You Go Your Way“ sind solide Pop-Nummern, aber irgendwie auch nicht mehr. Es fehlen der Wiedererkennungswert, das Ohrwurmpotenzial und teilweise auch der Wow-Effekt. Es scheint bei einigen Songs so, als wäre Perrie damit zu sehr auf Nummer sicher gegangen.
Und genau das scheint am Ende das Problem zu sein. „Perrie“ ist ein tolles Album, das schöne Pop-Momente enthält und ihre unfassbare Stimme gekonnt in Szene setzt. Was fehlt, ist ein wenig die Seele dahinter. Wer ist Perrie? Was macht sie aus? Und was hebt sie von anderen ab? Man sucht teils vergeblich nach der eigenen Stimme der Sängerin, nach ein wenig tiefergehenden Lyrics. Dem Album hätten definitiv ein, zwei Balladen mehr gutgetan und weniger Radio-Pop. Songs wie „If He Wanted He Would“ sind grandios, aber es fehlen die Gegenstücke, bei denen Perrie wirklich in ihre Gefühlswelt blicken lässt. Umso bedauerlicher, dass Songs wie „Me, Myself & You“, in dem sie offen über ihre Angststörung singt, nicht auf dem Album gelandet sind.
Und so hört sich das an:
Die Rechte des Covers liegen bei Sony Music.
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