Über den eigenen Herzschlag denkt man circa so oft bewusst nach wie über das automatisierte Snoozen am Montagmorgen. Wer zu einem Brutus-Konzert geht, legt die Kontrolle über diesen körperlichen Prozess für circa 75 Minuten in die Hände von Schlagzeugerin Stefanie Mannaerts. Danach ist nichts mehr wie vorher.
Die Hürden der kleinen Hallen
Bevor dieses Experiment startet, soll an diesem Sonntag aber Siem Reap für die richtige Ausgangslage sorgen. Dieses Solo-Projekt von Gilles Demolder, der bei seinen Bands Oathbreaker und Wiegedood eigentlich für die schwarze Farbe an den Wänden zuständig ist, setzt alle Karten auf Atmosphäre. Und das klappt an diesem Abend stellenweise auch echt gut – wenn Demolder denn auch wirklich zuende spielt. Auf Grund von technischer und anderer nicht definierbarer Problematiken bricht der Musiker Songs plötzlich ab, lässt Stille walten und hadert sichtlich. Gepaart mit dem nicht sonderlich hochwertigen Sound erwartet das Publikum hier hauptsächlich ein Melancholie-Soundbrei und viele Fragezeichen. Schade – da wäre mehr gegangen. Und das gilt auch teils für den Hauptact des Abends.
Mit Naturgewalten spielt man nicht
Punkt 21 Uhr betreten drei Belgier*innen die Bühne des seit Wochen ausverkauften Junkyards und lassen ab dann neue Regeln gelten. Besser gesagt lässt das Stefanie Mannaerts, die sowohl für Gesang als auch für Drums zuständig ist. Irgendwo zwischen Uhrwerk und Emotionstransformateurin gibt Mannaerts den Takt an, auf dem Gitarrist Stijn Vanhoegaerden und Bassist Peter Mulders ganze Welten entstehen lassen. Natürlich wird dabei gerne mit irren Polyrhythmen und breitbeinigem Zorn geflext, aber vor allem sind Brutus die Meister*innen der Atmosphäre. So sind die Math-Rock-Riffs und Beats doch vor allem Ausgangspunkt für Prog-Rock-Sphären, die selbst großen Hallen das Dach wegblasen müssten – im Junkyard ist die Intensität schlicht überwältigend.
Das gilt leider auch für den Sound-Mix, der gerade in den tosenden Passagen in die Ecke getrieben wird. Mannaerts’ Stimme wird fast gänzlich verschluckt und auch sonst ist die Lautstärke ein echtes Hindernis für den Genuss. Gerade für derart versierte Musiker*innen ein echter Wermutstropfen. Dennoch – die richtige Stimmung bekommt das Trio verlässlich durchgeboxt. Gerade Songs wie “What Have We Done”, die das Spiel mit der Klimax verstanden haben, sind schlicht beeindruckend. Und auch die heutigen Publikumslieblinge “War” und “Victoria” sind in all dem Sound-Chaos trotzdem die Hits, die in ihnen stecken.
Erst beim ausladenden Jam zu “Sugar Dragon” und dem abschließenden Verbeugen der Band fällt auf: Publikumsinteraktion gab es heute nicht. Aber wie sagt man so schön: Mit Naturgewalten spielt man nicht. Und Brutus lassen eben Sound statt Worte sprechen. Der Rest hat andächtig zuzuhören und den Herzschlag kurz mehr sein zu lassen als sonst.
Und so hört sich das an:
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Beitragsbild von Julia.
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