Plattenkrach: Bosse – Kraniche

Bosse Kraniche Plattenkrach

Nachdem es letzte Woche in der ersten Ausgabe um Girlie-Pop ging, begibt sich der Plattenkrach in Runde 2 auf deutsche Pfade. Bosse-Fan Emilia huldigt dem 2013 erschienenen Album „Kraniche“ und stößt damit bei unserer Kollegin Anna auf Granit…

„Ich such nicht mehr und finde nur. Kommt sowieso an den Start, was kommen mag.“ – Mit dieser und noch vielen weiteren Zeilen sprüht der Sänger regelrecht vor Optimismus. Manch einer mag hier sagen, dass selbiger viel zu aufgesetzt oder unglaubwürdig wirkt, ich aber finde sämtliche Songs dieses Albums unfassbar authentisch und ehrlich. Die Rede ist von Bosse und seiner Platte „Kraniche“, die 2013 erschien und dem deutschen Sänger mit dem Song „Schönste Zeit“ den Durchbruch, unter anderem auch in den Charts sowie im Radio, bescherte. Fünf Jahre, ein weiteres Album, einige Singles und Konzertbesuche später, gehört „Kraniche“ immer noch zu meinen Lieblingsplatten, die ich mir einfach immer und immer wieder anhören kann. Aber warum?

Zum einen strahlen seine Songs, gerade auf diesem Album, für mich eine solche Ruhe und Harmonie aus, dass es mir einfach immer wieder Spaß macht, die Platte zu hören. Und zwar ohne bei einzelnen Liedern weiter zu skippen. Das ist definitiv nicht bei vielen Alben der Fall. Bosses Art und seine Stimme, die ihn schon nur beim Zuhören sympathisch macht, begeistern mich einfach immer wieder auf’s Neue.

Zum anderen ist es die Vielseitigkeit der Songs: Schwelgte man bei „Schönste Zeit“ noch leicht melancholisch in Erinnerungen, lädt der optimistische Gute-Laune-Song „So oder So“ zum Tanzen ein, bevor auf „Istanbul“ orientalische Klänge erklingen und beim gemütlichen „Müßiggang“ der Titel Programm ist. Dennoch passen wirklich alle Titel perfekt zusammen. Und sie bilden das, was heutzutage tatsächlich nur noch selten der Fall ist: Ein wirkliches Album zum Am-Stück-hören. Eins, bei dem alle Lieder musikalisch aufeinander abgestimmt sind.

Das heißt aber trotzdem nicht, dass es musikalisch langweilig oder eintönig wirkt. Eher im Gegenteil: Werden zum Beispiel „Konfetti“ und „Vier Leben“ von sanftem Piano begleitet, kann man im Intro von „Familienfest“ Streichern lauschen, während „Müßiggang“ eher auf Bläser sowie perkussive Elemente setzt. Hintergrundchöre wie in „Vive La Danse“ bieten eine schöne Abwechslung, ebenso wie einzelne gesprochene Passagen.

Thematisch bietet die Platte zwar einen ähnlichen Rundumschlag, durch immer wiederkehrende Motive wie Optimismus, Melancholie, Liebe oder die Freude am Leben zieht sich aber trotzdem ein roter Faden durch das ganze Album. Auch hier findet Bosse die richtige Mischung zwischen dem Erzählen von Geschichten, in Erinnerungen schwelgen, zum Nachdenken anregen und einfach gute Laune machen.

Dazu kommen treffende und ehrliche Texte direkt aus dem Leben mit, zugegebenermaßen manchmal etwas kitschigen Metaphern, Bilder und Umschreibungen. Davon könnte ich hier nun einige aufzählen, aber gelesen würden sie nicht mal halb so viel erzielen wie von Bosse gesungen.

Wie zu erwarten, macht also vor allem das stimmige Gesamtpaket aus harmonischen Klängen, treffenden Texten, schöner Instrumentierung und guter gesanglicher Umsetzung verbunden mit persönlichem Bezug diese Platte zu etwas ganz Besonderem für mich. Von Optimismus und Lebensfreude kann man schließlich nie genug bekommen. Oder um es mit den Worten von Bosse zu sagen: „Denn das Leben ist zu kurz und viel mehr als in Ordnung.“

Und Annas Meinung dazu:

Bosse. Das impliziert für mich das Wort „Boss“ in der Mehrzahl. Also, mehrere Bosse. Doch singen tut hier nur einer: Der Boss der Musikwelt? (Ich muss an dieser Stelle etwas Glucksen.) Wohl kaum … Gut, Aki Bosse – wie der Frontmann der Band bürgerlich heißt – kann für seinen Nachnamen, der den Bandnamen stellt, nichts. Wow, was eine tiefgründige Einleitung! Zugegeben: mit deutscher Singer-Songwriter Indie-Pop-Musik kann man mich ohnehin selten fesseln. Clueso, Philipp Poisel, Joris – sie alle hören sich in meinen Ohren gleich an: Ein analoges, immanent-wehleidiges, dann wieder glückliches, aber trotzdem nach wie vor wehleidiges Gejammer, das sich auf einem Album über zwölf Tracks streckt.

Insbesondere bei Bosses Hits, die bei den hiesigen deutschen Radiosendern im Tagesprogramm quasi rauf und runter laufen, schalte ich zumeist sofort weg. So fiel es mir durchaus schwer, das gesamte „Kraniche“-Album in voller Länge durchzuhören, ohne dabei meine Kopfhörer wütend in die Ecke zu pfeffern: Tiefgründige Texte mit „deepen“ Botschaften und wahnsinnig-kreativen Wortspielereien, ein Traum!

Fast ausschließlich sind die Songs des „Kraniche“-Albums nach dem wohl einfachsten Popsong-Schema à la Tonika, Subdominante, Dominante, Tonika aufgebaut. Sprich: Langweilig. Stets auf einer etwa dreiminütigen, radiotauglichen Länge versuchen Bosse Song für Song eine vertraute, tiefgründige Atmosphäre aufkommen zu lassen. Jedoch – ohne jegliche musikalischen Überraschungen. Gefühlt die gleichen, langsamen Beats mit konstanten Beats per minute je Song lassen wenig Abwechslung zu. Tempowechsel? Fehlanzeige. Gerne würde ich die Songs als „Rausschmeißermusik“ – das „Wonderwall“ der Deutschen Popmusik – deklarieren, aber das wäre wohl eine Beleidigung an all die grandiosen Robbie Williams, Fools Garden oder Oasis-Songs da draußen. Die Sujets der Songs sind jedenfalls schnell zusammengefasst: Eigentlich geht es immer um irgendeine tolle Frau oder eine wunderschöntastischtollgrandiose Erinnerung, in welcher der Sänger schwelgt.

Die ständig sich wiederholenden Wort-Phrasen im lyrischen Teil der Musik lassen in mir einen Hauch von Aggressivität aufkochen. Dazu die eigentlich gesprochenen Worte, die aber dennoch – größtenteils gehaucht – in eine Melodie gebracht werden, lösen in mir ein Gefühl von völligem Unverständnis aus. Hatte ich bei „Familienfest“, was mit einer kurzen Streicherensemble-Einleitung beginnt, schon große Hoffnungen gehegt, dass Frontsänger Bosse mal einen Song in seiner durchaus angenehmen Erzählstimme präsentiert, werde ich nach stolzen 40 Sekunden wieder enttäuscht, wenn der junge Braunschweiger – wie auf allen weiten Songs des Albums – euphorisch zu krächzen beginnt. Darüber hinaus werden in den Songtexten Metaphern miteinander verbunden, die für mich in keinster Weise Sinn ergeben. Ein Trauerspiel.

Passagen wie „Deine Augen leuchten wie Istanbul“ oder „Dein Vater war kein Vater, eher Fata Morgana“ sind es, bei denen ich den inständigen Wunsch hege, meinen Kopf gegen eine Wand zu hämmern. Sei es drum: Meinungen und Empfindungen bleiben stets subjektiv. Die wunderbare Emilia, die ich sehr schätze, sieht, fühlt und hört in Bosse etwas, was meine Gefühlsrezeptoren kaltlässt. Und auch die große Anhängerschaft von Bosse bestätigt: Einigen Menschen da draußen geht seine Musik sehr nahe, sodass diese beim Hören des „Kraniche“-Albums ihre „Schönste Zeit“ erleben. Geschmäcker sind bekanntlich verschieden. Auch wenn Bosse meinen individuellen Geschmack nicht trifft, sei ihm sein Erfolg gegönnt. Ich für meinen Teil werde beim Autofahren jedoch weiterhin den Radiosender bei einem Bosse-Song wechseln.

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Und so hört sich das an:

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Die Rechte für das Albumcover liegen bei Vertigo Berlin/Universal.

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