Fast zwei Jahre haben Mario Radetzky (Gesang, Gitarre), Marcus Schwarzbach (Bass), Michael Dreilich (Schlagzeug) und Moritz Hammrich (Gitarre) – die vier bilden zusammen die Rock-Band Blackout Problems – zurückgezogen an ihrem zweiten Langspieler „Kaos“ gearbeitet. Natürlich präsentierte das Quartett sich ab und an trotzdem auf Festival- und Clubbühnen, hinausposaunt, dass man bereits an neuen Stücken arbeitet, hatte man dennoch nicht. Dem ist nun ein Ende gesetzt. Mitte Juni wird die langersehnte zweite Blackout Problems Platte endlich erscheinen. Auch im zweiten Teil unseres langen Interviews mit Frontmann Mario drangen wir tief in die Entstehung des Albums ein, sprachen über die Soundentwicklung, Fankritik und mögliche Referenzen.
minutenmusik: Für mich fühlt sich die Platte manchmal wie eine elektronische Platte an, obwohl es faktisch keine ist. Dazu tragen zum Beispiel die vielen Stimmeffekte oder einige Drumsamples bei. Wie sah der Ansatz, den ihr mit dem Sound verfolgen wolltet, aus?
Mario: Wir haben alle sehr verschiedene Einflüsse in der Band. Jeder von uns hört verschiedene Dinge. Seit 2016 sind Moderat zum Beispiel eine meiner Lieblingsbands. Michi [Michael Dreilich, Schlagzeuger] ist auf der anderen Seite wahnsinniger Hip-Hop-Fan und spielt mit Beat The Dancefloor Hip-Hop-Beats zu einem DJ. Er ist ein unfassbar talentierter Schlagzeuger, was wir dieses Mal noch mehr fördern wollten. Auf „Holy“ hat er zwar auch schon super Dinger gespielt, seine wirkliche Kreativität hat er da aber aus meinen Augen noch nicht wirklich ausgelebt. Das war so eine Prämisse.
Außerdem haben wir gesagt, dass wir auch kreativ sein und neue Dinge ausprobieren wollen. So haben wir zwar keine Backingtracks in dem Sinne, was ja viele Bands machen – eben auf einem Laptop auf „Play“ drücken und dann läuft nebenbei was mit, sondern wollten flexibel sein und mit Loops arbeiten. Also haben wir Gitarrenloops eingespielt, die Michi von den Drums aus startet. Bei dem Stück „Kaos“ kommt zum Beispiel in dem Sinne nichts vom Band, sondern wir feuern nur alle acht Takte einen Loop ab, können den Song also so lang oder kurz spielen, wie wir wollen.
Dann noch die Sache mit den Stimmeffekten, die einerseits von elektronischen Bands oder Künstlern, die wir in den letzten Jahren gehört haben, andererseits vom Hip-Hop beeinflusst sind. Wir finden diese ganze neue Entwicklung im Rap sehr interessant. Was macht zum Beispiel so ein Trettmann in seinen Songs? Wie funktioniert das? Warum bringt man nicht sowas mal in den Rock rein? Das war eine Art Dinge auszuprobieren, von dem wir der Meinung waren, dass wir das so noch nicht gehört haben. Es gibt bestimmt Bands, die sowas schonmal gemacht haben, das war für uns aber trotzdem das Ziel, diese Dinge zu vereinen und zu probieren, daraus was Ordentliches zu spinnen.
Das ist wirklich schwierig. Man hat am Anfang, wenn man Songs schreibt, so viele Möglichkeiten, dass man gar nicht weiß, wo man anfangen und aufhören soll. Wenn man sich dann mal paar Eckpfeiler rausgesucht hat – Beats, Vocaleffekte, bestimmte Gitarreneffekte, Flächen, Loops – dann fügt sich irgendwann ein bestimmtes Bild zusammen. Bei „Kaos“ hat sich dann nach einem Jahr herausgestellt, dass diese Puzzleteile nun zusammenkommen. Das war aber ein langer Weg!
minutenmusik: Tatsächlich ist mir auch relativ fix eine Referenzplatte einer Band in den Sinn gekommen, die vom Sound und Bandentwicklung Ähnlichkeiten aufweist. Und zwar finde ich, dass ihr einen ähnlichen Weg eingeschlagen habt, wie Enter Shikari mit ihrem letzten Album „The Spark“. Zum einen bezüglich der Soundästhetik – der vielen sphärischen Soundflächen – zum anderen der Entwicklung hin von politischen zu persönlichen Texten. Außerdem habt ihr im Video zu „Follow Me“ bereits den Sänger Rou Reynolds zitiert. Inwieweit war die Band ein Einfluss für euch?
Mario: Auf „Holy“ waren sie eher textlich ein Einfluss. Musikalisch haben wir da ja auch komplett auf Synthesizer verzichtet. Übrigens gibt es jetzt bei „Kaos“ auch nur eine einzige Synthesizer-Sache drin, die beim Song „Holly“ sehr weit im Hintergrund ist. Ansonsten ist alles, was man hört, nur Gitarren.
Ich finde „The Spark“ ein wahnsinniges Album. Ich habe lange gebraucht, bis ich da drin war, weil ich das anfangs nicht gecheckt habe. Aber ich glaube diesmal hat uns die Band gar nicht so sehr beeinflusst. Ich könnte dir jetzt auch keine Platte nennen, an der wir uns ein Beispiel dran genommen haben. Das ist bei uns sehr personenspezifisch. Moritz hört andere Sachen als ich, genauso Markus und Michi. Wenn wir zusammenkommen, auch wirklich nur wenn wir zusammenkommen, dann entsteht eine Magie, bei der dann was eigenes rauskommt, weil jeder sein Ding mit rein bringt. Am Schluss ist es jetzt glaube ich auch ganz gut, dass mir jetzt keine spezifische Platte einfällt.
minutenmusik: Ich glaube was mich vor allem an „The Spark“ erinnert ist, dass beide Werke sehr homogen klingen und von Soundflächen getragen werden. Das ist bei der Enter Shikari-Platte aber, wie ich finde, auch der größte Kritikpunkt. Songs, wie „Take My Country Back“ klingen dadurch viel seichter, als sie eigentlich sind. Euch gelingt das, wie ich finde, aber besser, die Ausbrüche auch knallen zu lassen, auch wenn diese etwas gestreuter vorkommen.
Mario: „The Spark“ hat auf jeden Fall seine Momente. Wenn man sich so ein bisschen die Hintergründe in Interviews und so anschaut und dann nochmal die Platte hört, taucht man da noch viel tiefer ein. Das ist schon eine krasse und persönliche Platte.
minutenmusik: Das wäre zum Beispiel noch ein weiterer Punkt. Sowohl ihr, als auch Enter Shikari waren früher sehr politisch, haben dann aber ein sehr persönliches Album geschrieben.
Mario: Das stimmt absolut! In dem Moment, als „The Spark“ rauskam, waren wir aber schon so weit im Songwriting, dass das uns eigentlich nicht mehr beeinflussen konnte. Wir haben schon noch politische Momente auf der Platte, die sind aber versteckter. Das letzte Mal waren das zwölf Songs, von denen zehn rein politisch waren und diesmal sind es zwölf Songs, von denen vielleicht zwei politisch sind. Wenn man ganz genau hört, hört man jedoch ganz klare politische Aspekte drin.
Die politischen Zeiten, die im Moment herrschen, sind mit den Wahlergebnissen, mit Trump, mit Nordkorea teilweise so dermaßen frustrierend und erschreckend. Mit 16 in der Schule dachte ich, dass es niemals wieder einen so großen Schwung an Rechten, eine so große Masse, geben kann – dass sich da sogar öffentlich zu bekannt wird und Leute jubeln. Diese Dinge passieren in den letzten zwei Jahren mit der Pegida, der AFD und co. und machen einen so traurig, dass es in solchen Zeiten irgendwie wieder auch Sinn macht, persönlich zu werden und den Blick nach innen zu wagen.
Diese ganzen politischen Probleme, die aufkommen, sind in meinen Augen auch auf die Verfassung der Menschen zurückzuführen. Wenn es dir gut geht und du zufrieden mit dir bist, dann willst du nicht noch Leuten etwas wegnehmen, die sowieso weniger haben. Dann bist du nicht sauer auf syrische Flüchtlinge, die in dein Dorf kommen und dort Arbeit suchen. Wenn du ausgeglichen bist, passiert dir das nicht. Vielen Leuten, die in den letzten Jahren die AFD gewählt haben, würde es mal gut tun, den Blick nach innen zu werfen und zu schauen, was wirklich ihr Problem ist. Ein politischer Umschwung wird vermutlich nichts an ihrer Unzufriedenheit ändern. Dann gibt es was anderes, über das man sich aufregen kann. Man wird niemals glücklicher, wenn die Grenzen zu sind. Die Welt lebt von Austausch. Das wird auch immer so sein. Dagegen wird auch niemand etwas ändern können. Die Welt ist rund, wird sich weiterdrehen und das ist auch gut so.
minutenmusik: Die Welt ist immer noch keine Scheibe!
Mario: Ebenso!
minutenmusik: Ich würde dich gerne mit einer provokanten Aussage, die nicht meiner Meinung entspricht, konfrontieren.
Mario: Ja, ok!
minutenmusik: Jemand sagt: „Die Blackout Problems sind seichter geworden und wollen nun Pop-Musik machen“. Was sagst du?
Mario: Pf, mir ist sowas völlig latte. Ich habe darauf nichtmal eine Antwort. Ich bin da auch nicht wütend, oder so. Die einzige Prämisse, die wir uns immer setzen, ist, dass das Ergebnis authentisch sein soll. Pop-Musik an sich ist ja nichts schlechtes. Pop-Musik, die nichts zu sagen hat und nur seichter Müll ist, ist scheiße. Wenn man sich lange genug mit unserer Platte beschäftigt, dann wird man merken, dass sie vielleicht poppiger ist, vielleicht ist sie aber auch viel authentischer.
Zurück zu der Aussage: Es soll jeder seine Meinung haben und das ist auch fein. Dann denkt man das halt. Ich sehe das aber ehrlich gesagt so, dass wir uns viel mehr getraut haben – vor allem im Bezug auf Songstrukturen. Ein Song, wie „Gutterfriends“, der fünf Minuten lang ist und sich in unterschiedlichsten Gefilden bewegt, wird niemals im Radio laufen. Der wird niemals Mainstream sein. Also Leute, die sagen, wir würden jetzt Mainstream-Musik machen, müssen sich das vielleicht nochmal richtig anhören.
minutenmusik: Das war jetzt natürlich auch sehr überspitzt ausgedrückt. Wenn dann so eine erste Single herauskommt, spricht man ja schon auch mit Freunden und Bekannten und hört sich um, wie andere den Song auffassen. Da war dann der Konsens, dass die Leute den Eindruck hatten, der Sound sei etwas seichter – was er ja auch ist! Oberflächlich wirkt das dann vielleicht manchmal so.
Mario: Wir wollten diesmal alles anders machen. Deshalb haben wir diesmal auch eine andere Singleauswahl getroffen. Das letzte mal haben wir vor allem sperrige, laute Songs herausgebracht. „Holy“ hatte aber ja auch poppige Songs, wie „The National“ oder „Black Coffee“. Die werden sich live auch immer gewünscht, obwohl wir die nie als Single ausgekoppelt haben. Diesmal bringen wir mal andere Songs raus. Wir haben auf der Platte aber trotzdem „How Are You Doing?“, „Queen“ oder „Gutterfriends“ – Songs, die live abgehen werden. Ich freue mich total die Freiheit zu haben das überhaupt machen zu können und, dass es da überhaupt einen Diskurs gibt und sich Leute dafür interessieren. Das ist völlig cool und legitim.
Der Witz ist ja, dass wir nicht aufhören werden. Nach der Platte wird es wieder eine neue Platte geben, die dann vielleicht wieder ganz anders wird. Bei ganz vielen Bands gibt es ja Platten, die man lieber und nicht so gerne hört.
minutenmusik: Das habe ich tatsächlich relativ selten. Es gibt sehr wenige Bands, von denen ich nur ein oder zwei Alben gerne hab. Die, die ich dann vielleicht mal nicht so mag, sind die Scheiben, bei denen jeder Song anders klingt. Ich mag das nicht, wenn Bands sich nicht einig sind, wie sie klingen wollen. Ich mag homogene Alben.
Mario: Das ist ein sehr gutes Stichwort! Ich finde auch, dass man zwar gerne ausflippen und verschiedenen Scheiß machen kann, man muss am Schluss aber diese Eckpfeiler haben, damit man das auf einen Nenner bekommt. Vor „Holy“ hatten wir das Problem auch. Da hatten wir akustische Songs, Klaviertracks, harte Tracks, Breakdowns. Am Schluss muss man das alles zusammenbringen. Genau dasselbe ist bei „Kaos“ auch der Fall gewesen. Wir haben uns in alle Richtungen ausgesponnen, dann aber festgestellt, dass es gewisse Elemente gibt, die überall auftauchen. Das passiert auch oft textlich, dass sich dann da ein roter Pfaden durchzieht. Wenn man das dann merkt, dann kommt man zu dem Punkt, an dem das eine schlüssige Platte wird. Das ist essentiell. Ich glaube das hört man jetzt auch, wenn man sich die Zeit nimmt, das im gesamten zu hören.
Da ist zum Beispiel die „Beggars“ von Thrice ein wundervolles Beispiel. Die ist super homogen. Die kann man immer wieder von vorne bis hinten durchhören und man entdeckt immer wieder Verbindungen zwischen allem. Das ist total spannend.
minutenmusik: Stimmt. Mir würde da zum Beispiel auch die „Catch Without Arms“ von Dredg einfallen. Da kommt dann aber noch hinzu, dass die Songs soundmäßig sehr ähnlich aufgenommen sind.
Mario: Dafür haben wir uns auch wieder entschlossen, dass wir den Großteil live einspielen. Die Instrumentals sind weitestgehend live eingespielt. Das hilft natürlich auch, dass das homogener wirkt, wenn die Drums, die Gitarren, der Bass alles im selben Raum aufgenommen wurde und sich auch überlappen. Am Schluss haben wir, aus meiner Sicht, ein schönes, homogenes Bild hingekriegt, ohne dass man sich langweilt. Man taucht da in die Welt ein und entdeckt viel, viel mehr Zimmer, als noch auf „Holy“. Da haben wir uns vorgestellt, man tauche in eine Stadt ein und würde vom Kern aus immer verschiedene Gassen betreten. Jetzt ist das eher ein wirrer Wald, in dem man komplett abkreuzen kann. Da gibt es viel mehr zu entdecken.
Das „Kaos“ als Wald. Was eine schöne Metapher! Hört man Mario über die neue Platte seiner Band sprechen, hat man das Gefühl, er könne sich endlich alles vom Leib quatschen, was er eigentlich seit Monaten schon hinausbrüllen will: Wir sind zurück. Und wir sind verdammt nochmal stolz auf unser neues Album! Das können die Blackout Problems auch sein. Im dritten Teil unseres großen Interviews sprechen wir dann über die Metaphorik hinter den Texten von „Kaos“ und graben tief in der Vergangenheit der Band.
Hier geht es zu Teil drei des großen Interviews.
Hier geht es zu Teil eins.
Das Album “Kaos” kannst du dir hier bestellen.*
Und so hört sich das an:
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Blackout Problems live 2018:
21.05. – Berlin (ausverkauft)
24.05. – München (ausverkauft)
25.05. – Lyss, Moonrock on Tour (CH)
01.06. – Kelheim, Jukuu Festival
02.06. – Darmstadt, Schlossgartenfest
13.06. – Görlitz, Vogtshof Festival
21.06. – Neuhausen ob Eck, Southside
23.06. – Scheeßel, Hurricane
06.–07.07 – Straubenhardt, Happiness Festival
13.07. – Haunetal, Haune Rock
14.07. – Witten, Wiesenviertelfest
20.07. – Düsseldorf, Goldmucke, Unter den Linden
22.07. – Cuxhaven, Deichbrand Festival
27.07. – Bausendorf, Riez Open Air
28.07. – Schrobenhausen, Noisehausen
03.08. – Elend, Rocken am Brocken
04.08. – Borkheide, Baum & Borke Open Air
09.08. – Eschwege, Open Flair Festival
19.08. – Karben, Karben Open Air
24.08. – Wirges, Spack Festival
08.09. – München, BR Startrampe
“Kaos” Tour:
02.11. – Zürich, Dynamo (CH)
10.11. – Hannove, Chez Heinz
14.11. – Leipzig ,Naumanns
16.11. – Wien, Chelsea (AT)
22.11. – Dresden, Groove Station
23.11. – Rostock, Peter Weiss Haus
24.11. – Osnabrück, Bastard Club
26.11. – Dortmund, FZW
01.12. – München, Technikum
Die Rechte für das Foto liegen bei Final Chapter.
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