Sich auf sich besinnen und bewusst machen, was man wirklich möchte. Dann Neustart, Blick nach vorne. Diesen Rückschritt durchlaufen viele Bands. So auch die Rock-Band Blackout Problems vor einigen Jahren. Das liegt mittlerweile aber weit hinter den Münchenern, die nun ihr zweites Album „Kaos“, ein verzweifeltes Alternative-Rock-Werk aus Emotion, Pop-Appeal und Experiment, vorlegen und sich bereits längst in der deutschen Musikszene verankern konnten – vor allem als Live-Institution. Der letzte Teil unseres großen Interviews mit Mario Radetzky, dem Sänger und Frontmann der Band, dreht sich neben der Methaphorik in den Texten des neuen Albums um diese holprigen Anfangstage, die so manche Band bereits durchlaufen musste.
minutenmusik: Du hattest eben schon die Texte auf „Kaos“ erwähnt. Lass uns da mal kurz drüber sprechen! Es gibt einen Song, der „Holly“ heißt. In dem fällt der Name auch öfters. Hat der für dich eine persönliche Bedeutung oder steht der metaphorisch für etwas?
Mario: Das ist eine Metapher. Der Name stammt von dem Autor Truman Capote, der „Breakfast at Tiffany’s“ geschrieben hat. Das ist ein Buch, das ich oft gelesen habe. Die Hauptperson heißt „Holly Golightly“. Der Protagonist in „Breakfast at Tiffany’s“ verliebt sich unglaublich in diese Frau. Sie ist total verrückt, hat aber eine schöne Persönlichkeit. Ich fand den Namen schön. Der hat mich schon lange begleitet. Deshalb habe ich den sozusagen adoptiert. Viele Musiker, zu denen ich aufsehe, haben so ihre Namen, die immer wieder auftauchen. Bei mir ist es eben „Holly“ geworden.
minutenmusik: Cool! Das Album endet mit den Worten „I’m not scared of the future“, was nach den eher düsteren vierzig Minuten schon einen krassen, positiven Kontrast abgibt. War dieser positive Ausblick gewollt?
Mario: Ja! Auch wenn ich das mir streckenweise selber nicht geglaubt habe, musste ich diesen Funken Hoffnung am Schluss haben. Für eine Zeit war das ein Credo, das ich mir selber gesetzt habe, weil ich weiß, dass man mit einer Platte auch wächst. In dem Moment, in dem ich das geschrieben habe, war ich noch nicht 100%ig an der Stelle, wo ich das wirklich aus mir heraus sagen konnte. Ich wusste aber, dass ich da hin kommen will. Und ich weiß auch, dass mich der Prozess, die Platte zu machen und die jetzt auch live zu spielen, weiter bringt. Deswegen war mir das ein Anliegen, die Platte so enden zu lassen – mit dieser kleinen Rampe vom Boden weg.
minutenmusik: Schön. Dann hoffe ich, dass dir das in der Tat auch helfen wird. Ihr habt im vergangenen Dezember die Single „Off/On“ veröffentlicht, die jetzt nicht auf dem Album ist. Warum?
Mario: Ich weiß es ehrlich gesagt nicht. Gute Frage! Wir machen für das Album eine Special-Edition, bei der eine 7-Inch dabei ist. Eigentlich war es so, dass wir im Studio zwei Songs aufgenommen haben – eben „Off“ und „On“. Das heißt zu dem Track, den wir da veröffentlicht haben, gibt es noch eine zweite Geschichte. Die wird neben dem Track „Off/On“ jetzt auf dieser 7-Inch sein.
Wir haben damals dafür sogar auch ein Video gedreht. Eigentlich sollte dieses „Off/On“-Video acht Minuten lang sein und das alles als Doppel-Single erscheinen. Wir haben uns dann aber dagegen entschlossen, weil wir den Track „On“ nicht releasen wollten. Zu dem Zeitpunkt waren wir nicht 100%ig mit dem zufrieden. Die Freiheit wollen wir uns auch immer behalten, dass wir, wenn wir mit etwas nicht zufrieden sind, das auch einfach nicht veröffentlichen können. Jetzt haben wir aber gemerkt, dass es viele Leute gibt, die darin interessiert sind, wie die Story weiter geht. Für die haben wir das jetzt auf die Deluxe-Edition der Platte gepackt, auf der man dann den unveröffentlichten „On“ hören kann.
minutenmusik: Tolle Idee! Jetzt haben wir sehr viel über die Zukunft gequatscht. Lass uns zum Abschluss mal etwas über die Vergangenheit reden! Wenn man in eurer Bandhistorie wühlt, findet man ein Album aus dem Jahr 2012, das den Titel „Life“ trägt. Damals klangt ihr noch ein bisschen wie die deutschen Taking Back Sunday.
Mario: (lacht) Das ist nett ausgedrückt!
minutenmusik: Damals wart ihr – zumindest gibt das Internet das vor – auch gar nicht so unerfolgreich damit. Ich habe da was von Platz eins in den Visions-Lesercharts gelesen und einige Rezensionen gefunden. „Holy“ habt ihr trotzdem als euer Debütalbum vermarktet. Warum dieser Neustart?
Mario: Diese erste Platte war praktisch wie eine Ansammlung von Demos, an denen wir auch sehr viel selber produziert haben. Markus [Schwarzbach, Bass] und ich haben damals noch mit einem anderen Schlagzeuger zusammengespielt. Wir waren nicht 100%ig zufrieden mit unserer Situation und der Band. Als das Album fertig war, ist der Drummer auch ausgestiegen. Wir haben dann viel ausprobiert und versucht, einen neuen Drummer zu finden. Das war einfach nicht das Wahre. Wir haben uns da nicht wohl gefühlt. Als die Platte rauskam, standen wir nur zu zweit da und hatten nichtmal einen Schlagzeuger. Wir haben uns da nicht wohl in unserer Haut gefühlt. Dann haben wir 2012 Michi [Michael Dreilich, Schlagzeuger] kennengelernt.
Das war lustigerweise auf einem Konzert der Band Cashless. Er kam zu uns und meinte, dass er ein T-Shirt bei uns im Online-Shop bestellt und die falsche Größe bekommen habe. (lacht) Ich meinte dann, dass ich ihm ein neues zuschicke. Ich hab ihn dann gefragt, was er eigentlich macht und er meinte er spiele Schlagzeug. Da wusste ich direkt, dass ich mit ihm in einer Band spielen möchte. Das erste Mal, als ich ihn getroffen habe, wusste ich, dass ich mit ihm zusammen spielen möchte. Dann haben wir ihn angerufen, uns getroffen und gespielt. Das hat so gut zusammengepasst, dass sich das so angefühlt hat, als seien wir jetzt erst komplett. Deswegen war „Holy“ für uns unser gefühltes Debüt, weil wir erst dann die Band waren, die wir jetzt sind.
„Kaos“ ist in irgendeiner Weise auch ein Debüt für uns, weil Mo [Moritz Hammrich] jetzt in der Band ist. Der war früher unser Mercher und spielt jetzt Gitarre für uns. Er hat sich super in die Band eingefügt. Wir sind auf Tour immer eine kleine Familie. Da ist egal, ob du jetzt in der Band bist oder nicht, du gehörst dazu. Das hat sich total gut angefühlt, ihn in die Band aufzunehmen.
Um nochmal auf deine Frage zurückzukommen. Weil wir erst mit Michi gefühlt haben, dass wir komplett sind, war „Holy“ ein Debüt für uns. Deswegen haben wir „Life“ auch auf Bitten nicht mehr nachgepresst. Man muss die Vergangenheit auch mal Vergangenheit sein lassen.
minutenmusik: Gebraucht kriegt man die glaube ich noch auf Amazon.
Mario: Echt? Ja, ich habe auch noch ein paar, fünf Stück oder so, in meinem Zimmer. Ich habe das aber auch ewig nicht mehr gehört.
Man muss als Band irgendwann anfangen. Viele Bands hören dann unter ihrem alten Namen auf und denken sich einen neuen aus. Wir sind immer bei dem Namen geblieben. Wir haben immer gesagt, dass wir einfach weitermachen wollen, bis sich das besser anfühlt, was es sich irgendwann hat. Diese Zeit muss man sich geben und nehmen. Wenn man dann mit einem Werk nicht mehr 100 Prozent zufrieden ist, dann muss man sich selber auch mal die Möglichkeit geben das eben nicht mehr nachzupressen. Das haben wir bei „Life“ so gemacht.
minutenmusik: Mutige Entscheidung auf jeden Fall! Das wird bestimmt auch von Fans öfter gefragt, oder?
Mario: Es gibt schon manche Leute, die sich dafür interessieren. Die sich fragen, warum wir „Holy“ als unser Debüt empfinden. Die ehrlichste Antwort ist einfach die, die ich dir eben gegeben haben. Das ist auch ein guter Grund, finde ich. Er [Michael] hatte mit dem Songwriting früher überhaupt nichts zu tun.
minutenmusik: Das ist ja auch soundmäßig was ganz anderes.
Mario: Absolut! Man muss sich als Band ja auch die Zeit nehmen sich selbst zu finden. Erst wenn man das getan hat, kann man zu sich selbst sagen, dass man weiß, wie das alles funktioniert. Das wir uns da für unser Debüt so viel Zeit gelassen haben, war gut. Wer weiß, wie das Album sonst geklungen hätte. Wir haben mittlerweile bei „Holy“ tausend Dinge, die wir anders machen wollen – wenn wir jetzt ins Detail gehen. Man muss aber auch einfach mal einen Deckel drauf machen und mit etwas zufrieden sein.
Wenn wir jetzt auch wieder alte Songs spielen, das macht total Spaß zu sehen, dass sich Leute darüber freuen. Das fühlt sich einfach gut an. Jetzt den nächsten Schritt zu gehen und eine neue Show machen, darauf haben wir unfassbar Bock.
minutenmusik: Super. Wir freuen uns auch drauf! Vielen Dank für das Interview!
Jeder Anfang ist schwer. Dafür ist es umso schöner, dass die Band nun in Fülle zu sich gefunden hat und uns mit „Kaos” beschenkt. Wie die neuen Songs dann live funktionieren, wird die Zeit oder spätestens die ausgedehnte Tour im November und Dezember zeigen. Bis dahin heißt es erstmal: abwarten und Tee trinken.
Hier geht es zu Teil eins.
Hier zu Teil zwei.
Das Album “Kaos” kannst du dir hier bestellen.*
Und so hört sich das an:
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Blackout Problems live 2018:
21.05. – Berlin (ausverkauft)
24.05. – München (ausverkauft)
25.05. – Lyss, Moonrock on Tour (CH)
01.06. – Kelheim, Jukuu Festival
02.06. – Darmstadt, Schlossgartenfest
13.06. – Görlitz, Vogtshof Festival
21.06. – Neuhausen ob Eck, Southside
23.06. – Scheeßel, Hurricane
06.–07.07 – Straubenhardt, Happiness Festival
13.07. – Haunetal, Haune Rock
14.07. – Witten, Wiesenviertelfest
20.07. – Düsseldorf, Goldmucke, Unter den Linden
22.07. – Cuxhaven, Deichbrand Festival
27.07. – Bausendorf, Riez Open Air
28.07. – Schrobenhausen, Noisehausen
03.08. – Elend, Rocken am Brocken
04.08. – Borkheide, Baum & Borke Open Air
09.08. – Eschwege, Open Flair Festival
19.08. – Karben, Karben Open Air
24.08. – Wirges, Spack Festival
08.09. – München, BR Startrampe
“Kaos” Tour:
02.11. – Zürich, Dynamo (CH)
10.11. – Hannove, Chez Heinz
14.11. – Leipzig ,Naumanns
16.11. – Wien, Chelsea (AT)
22.11. – Dresden, Groove Station
23.11. – Rostock, Peter Weiss Haus
24.11. – Osnabrück, Bastard Club
26.11. – Dortmund, FZW
01.12. – München, Technikum
Die Rechte für das Foto liegen bei Final Chapter.
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