Kaos – Ja, mit „K“ und nicht mit „Ch“. So heißt der zweite Langspieler der Münchener Rock-Band Blackout Problems, der Mitte Juni erscheinen wird. Die Band nimmt den Hörer auf diesem auf eine Achterbahnfahrt aus Gefühlen, Trennungsdurcheinander und Trauer mit und gibt sich so persönlich und greifbar wie nie zuvor. Das Ergebnis ist ein intensives Werk, das in neue Soundgefilde vordringt. Im (Ch-/K-)aos rund um die große Supporttour für Jennifer Rostock trafen wir uns, während in der Halle getanzt, geschrien, gejubelt und gesungen wurde, im Open-Air Bereich der riesigen Düsseldorfer Mitsubishi-Electric-Halle mit Mario Radetzky, dem Sänger der Band. In knapp vierzig Minuten sprachen wir sehr detailliert über die neue Platte seiner Gruppe, über das Touren als Vorband einer großen deutschen Pop-Rock-Band, das sich-Nackt-machen und Musikschreiben, das wie eine Therapie wirkt.
minutenmusik: Ihr seid momentan mit Jennifer Rostock unterwegs, für die ihr unglaublich große Shows eröffnen dürft. Heute in die Halle gehen über 7000 Menschen. Wie läuft die Tour so? Die Band zieht ja schon ein etwas anderes Publikum, als ihr normalerweise. Merkt ihr da ein großes Gefälle?
Mario: Mit der Band auf Tour zu sein, ist für uns ein riesiger Spaß, weil Band plus Crew uns gegenüber super nett sind, uns viele Freiheiten lassen und unterstützen. Die haben sich ja aktiv dazu entschlossen uns mitzunehmen. Wir haben weder dieselbe Booking-Agentur, noch teilen wir uns ein Label, das da dahintersteckt. Wir sind einfach dabei, weil die den Sound von uns gut fanden. Deshalb gibt es dann da schon eine Grundsympathie zwischen uns.
Das ist dann die eine Kiste, die andere Kiste sind dann wiederum die Fans, die natürlich bei Jennifer Rostock schon anders sind, als bei den Bands, mit denen wir sonst unterwegs sind. Die sind sehr viel mainstreamiger. Das ist die breite Masse. Da kommt dann ein Vater mit seinem kleinen Kind, eine 18-Jährige mit blauen Haaren oder auch Leute, die sonst gar nicht so häufig auf Konzerte gehen. Das ist also ganz, ganz breit gefächert. Ich finde das spannend, weil man als Musiker theoretisch jedes Publikum entertainen können muss. Das klingt jetzt erstmal ein bisschen dumm und flach, aber meine Vorbilder, die im Rock verwurzelt sind, Bruce Springsteen zum Beispiel, können sich vor jedes Publikum stellen – ob da jetzt eine 80-jährige Oma oder ein 12-jähriges Kind sitzt. Springsteen hat beispielsweise einfach was zu erzählen. Die Reaktionen auf uns sind mal besser und mal schlechter, aber durchweg positiv! Klar sind da auch mal Leute dabei, die sich einfach strikt nicht für die Vorband interessieren. Das ist aber ok so.
Wir haben heute eine Nachricht auf Instagram von einer bekommen, die gesagt hat, dass sie normalerweise immer hofft, dass Vorbands so schnell wie möglich weggehen, wir wären aber geil gewesen. Das sind ja auch wieder positive Sachen. Ich genieße das alles also sehr, weil Fans, sowie Band sehr respektvoll sind.
minutenmusik: Heute hattet ihr ja auch ein wenig mit technischen Problemen zu kämpfen.
Mario: Ja, das war aber jetzt das erste Mal. Wir hatten Funkprobleme. Sowas kommt vor. In dem Moment, in dem ein Konzert gut läuft, sind so technische Probleme aber egal. Das überspielt man einfach. Wenn ein Konzert jedoch schlecht läuft und man schlecht spielt und dann noch Probleme hat, dann hasst man alles. Das war heute aber nicht der Fall. Wir hatten heute wahnsinnig Spaß mit den Leuten.
minutenmusik: Euer neues Album „Kaos“ ist, wie ich finde, ein sehr persönliches Werk geworden. Man taucht da sehr tief in deine Gefühlswelt ein. Fiel es dir schwer dich so zu öffnen?
Mario: Für mich ging das nicht anders. Ich musste das alles so schreiben, wie das ist. In dem Moment, in dem wir das geschrieben haben, haben wir nie darüber nachgedacht, was Leute denken könnten. Wir versuchen uns immer davon freizumachen. Wir spielen so lange für uns alleine, bis dieser Gedanke, dass es auch Leute gibt, die das hören könnten, weg ist. Dann sind wir komplett frei und machen eigene, freie Musik. Das hört man auch. Das Album klingt anders, als die alten Sachen. Wir haben da keine Erwartungen zu erfüllen.
Was die textliche Ebene betrifft, habe ich einfach so geschrieben, wie ich mich fühle – ganz ehrlich und authentisch. Wie jetzt die Reaktionen darauf sein könnten, darüber habe ich gar nicht nachgedacht. Wenn sowas angesprochen wird, wird einem das natürlich bewusst. Klar, die Platte kommt jetzt raus, also mache ich mich jetzt mal nackt. Ich hoffe, dass damit respektvoll umgegangen wird. Ich habe das jetzt aber ja nicht mehr in der Hand. Das ist jetzt schwarz auf weiß.
minutenmusik: Im Pressetext heißt es: „Das Album zu schreiben hat uns an manchen Tagen innerlich zerfetzt.“ Gibt euch die Arbeit an der Band, sei das Dauertouren, Interviews führen und und und, persönlich mehr positives oder mehr negatives?
Mario: Auf jeden Fall mehr positives! Was wir damit eher meinten, war, dass wir uns während der Arbeiten mit ganz dunklen Seiten und schwierigen persönlichen Dingen von uns auseinandergesetzt haben. Das war streckenweise wirklich schlimm.
Ich erinnere mich an eine Woche, in der ich mich fünf Tage bei uns im Proberaum verbarrikadiert habe, da auf der Couch gepennt und mich mit Songs und Texten auseinandergesetzt habe. Das war für mich so schwierig, dass ich mich streckenweise gefragt habe, wie ich damit fertig werden soll. Letzten Endes war es jedoch gut für mich, bestimmte Dinge aus meinem System herauszubekommen und die mal abzuschließen. Für mich war das ein bisschen wie Therapie.
minutenmusik: Ihr habt euch für die Arbeiten auch an etwas abgelegenere Orte begeben, um dort erstmals an neue Musik zu arbeiten – zum Beispiel in ein einsames Hostel. Habt ihr das getan, weil ihr möglichst frei von Außeneinflüssen sein wolltet oder warum habt ihr da diesen Rückzug gebraucht?
Mario: Genau. Wir wollten da komplett frei sein. Wir haben nicht nur in dem Hostel geschrieben, sondern auch mal eine Session in Berlin gemacht und auch vieles bei uns im Proberaum in München geschrieben. Da hat man keinen Handyempfang, da gibt es keine Heizung – also ist es arschkalt – und man ist sehr für sich. In der Umgebung können wir dann kreativ ausflippen.
Wir hatten auch keine Lust über das Album zu sprechen, bevor es fertig ist, weil wir nicht wussten, in welche Richtung das gehen wird. Wir haben irgendwann angefangen zu schreiben und das hat sich immer weiterentwickelt bis es irgendwann fertig war. Diesen Prozess wollten wir für uns privat erleben und nicht öffentlich im Internet teilen.
Erst als die erste Single rauskam, haben wir den Leuten mitgeteilt, dass wir ein Album aufgenommen haben. Wir haben kurz vorher noch über unseren Whatsapp-Newsletter 50 Leute in eine Location in Ulm eingeladen. Die dachten dann sie kämen zu einer Live-Probe. Als die dann alle da waren, haben wir aber berichtet, dass wir ein Album geschrieben haben und ihnen das komplett live vorgespielt. Das waren somit die ersten Leute, die das gehört haben. Damit hat für uns dann die ganze Maschinerie begonnen. Ab da konnten wir dann zu uns selber sagen, dass wir fertig und zufrieden mit dem Ergebnis sind. Und natürlich stolz!
minutenmusik: Coole Aktion auf jeden Fall! Du hast jetzt bereits über die Produktion gesprochen. Die erste Single, die auch „Kaos“ heißt, hat Philipp Koch produziert, der in der Szene mittlerweile ja recht viel macht [unter anderem: Fjørt, Van Holzen und Smile And Burn]. Hat er das ganze Album produziert?
Mario: Nein. Wir haben zwar wieder mit Phil zusammengearbeitet, diesmal war er aber nur streckenweise dabei. Es gibt Songs, da hat er mehr gemacht und welche, da hat er weniger gemacht. Am Schluss war er auf jeden Fall beteiligt und eine ganz, ganz wichtige Person für uns. Wenn wir nicht weiterwissen, fragen wir gerne Philipp. Er ist einfach super abgebrüht und kann einem genau sagen, was er gut und was er scheiße findet. Er lässt einem trotzdem immer die Wahl noch selber zu entscheiden, ob etwas wirklich scheiße ist oder ob es sich noch lohnt weiter dran zu arbeiten. Er ist für uns eine wichtige Bezugsperson.
minutenmusik: Abgesehen von der zeitlichen Komponente, wie hat sich die Arbeit mit Phil zwischen eurem ersten Album „Holy“ und „Kaos“ sonst unterschieden?
Mario: Bei „Holy“ hatten wir bereits das komplette Album fertiggeschrieben, als wir uns bei Phil gemeldet haben. Da brauchten wir jemanden, der mit uns ins Studio geht, in der Regie sitzt und uns sagt, wann wir den richtigen Take gespielt haben – wir haben live eingespielt – und uns bei der Soundfindung hilft. Er sollte uns da unter die Arme greifen und uns begleiten.
Bei „Kaos“ war das nun anders. Da haben wir ihn früher angerufen, ihm von unserem Plan erzählt ein neues Album zu machen und auch mal gemeinsam zu schreiben und zu jammen. Somit hat er bei „Holy“ nicht in das Songwriting eingegriffen, was bei „Kaos“ jetzt anders war. Wir haben uns getroffen und einfach mal geguckt, was dabei raus kommt. Das war total spannend. Wir haben fünf Songs von Null auf geschrieben – jeweils einen Song an einem Tag – und nebenbei Texte gemacht und eingesungen. Lustigerweise sind alle diese Songs auch auf dem Album gelandet.
minutenmusik: Kriegst du die Titel zusammen?
Mario: Ja! Das sind „Kaos“, „911“, „Limit“, „Sorrow“ und „Difference“.
Die Band hat diesmal also ziemlich viel selbst in die Hand genommen. Auch im Hinblick auf die Veröffentlichung greifen die Blackout Problems auf ihr eigenes Label Munich Warehouse zurück. Auf die Musik scheint das nur positive Effekte zu haben. „Kaos” ist der wohl stimmigste Release der Bandhistorie. Auch der zweite Teil unseres ausführlichen Interviews mit Radetzky dreht sich vollkommen um ebendiese Platte. Dann Thema: Sound, Politik, Trettmann und Enter Shikari.
Hier geht es zu Teil zwei des Interviews.
Hier geht es zu Teil drei.
Das Album “Kaos” kannst du dir hier bestellen.*
Und so hört sich das an:
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Blackout Problems live 2018:
21.05. – Berlin (ausverkauft)
24.05. – München (ausverkauft)
25.05. – Lyss, Moonrock on Tour (CH)
01.06. – Kelheim, Jukuu Festival
02.06. – Darmstadt, Schlossgartenfest
13.06. – Görlitz, Vogtshof Festival
21.06. – Neuhausen ob Eck, Southside
23.06. – Scheeßel, Hurricane
06.–07.07 – Straubenhardt, Happiness Festival
13.07. – Haunetal, Haune Rock
14.07. – Witten, Wiesenviertelfest
20.07. – Düsseldorf, Goldmucke, Unter den Linden
22.07. – Cuxhaven, Deichbrand Festival
27.07. – Bausendorf, Riez Open Air
28.07. – Schrobenhausen, Noisehausen
03.08. – Elend, Rocken am Brocken
04.08. – Borkheide, Baum & Borke Open Air
09.08. – Eschwege, Open Flair Festival
19.08. – Karben, Karben Open Air
24.08. – Wirges, Spack Festival
08.09. – München, BR Startrampe
“Kaos” Tour:
02.11. – Zürich, Dynamo (CH)
10.11. – Hannove, Chez Heinz
14.11. – Leipzig ,Naumanns
16.11. – Wien, Chelsea (AT)
22.11. – Dresden, Groove Station
23.11. – Rostock, Peter Weiss Haus
24.11. – Osnabrück, Bastard Club
26.11. – Dortmund, FZW
01.12. – München, Technikum
Die Rechte für das Foto liegen bei Final Chapter.
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