Interview mit Leoniden über „Again“ – Teil 2!

Leoniden Interview 2018 "Again" Part 2

Den Titel für die fleißigste und perfektionistischste Band Deutschlands braucht man nicht mehr ausfechten, seitdem die Leoniden aus Kiel 2017 in das Sichtfeld der nationalen Indieszene traten – darüber, dass die fünf Mitglieder alles bis auf’s Letzte in ihre Band stecken und dabei jedes kleinste Detail ausdiskutieren und in die eigene Planung einbeziehen, besteht kaum Diskussionsbedarf. Da sprechen 140 Shows in zwei Jahren, bei denen man unabhängig von der Größenordnung immer seinen eigenen Licht- und Tontechniker dabei hatte, und die vielen dreiminütigen Ohrwürmer auf zwei Alben, denen man jede einzelne noch so geniale Idee anhört und die die verschiedensten Genremischungen heraufbeschwören, eine sehr deutliche Sprache. Dass die Leoniden nicht wirklich die Finger von ihrem Projekt lassen können, zeigt auch der Twitter-Grind, der sogar über die vergangenen Weihnachts-Feiertage auf der Social-Media-Plattform wütete. Nichtmal in seiner Freizeit kann man die Musik und seine Band für einige Tage ruhen lassen.

Gerade dieser klare Fokus auf die kleinen Dinge lässt sich neben dem äußerst durchdachten und eingängigen Indie-Pop, den das Quintett spielt, als einer der Hauptaspekte feststellen, die zu dem Vordringen der Kieler in solche Erfolgssphären beitrugen – die aktuelle Tour vermeldet für fast jede Stadt Ausverkauf. Diese Detailverliebtheit schlägt sich dann auch im langwierigen Songwritingprozess des Quintetts nieder. Alles muss bis auf’s Letzte durchgeplant sein, jede Melodie, jeder Part wird zehnmal durchdacht, bis sich schlussendlich die finalen Versionen anbahnen, die man seinem Publikum in Albumform vorstellt. Wir treffen uns Anfang Dezember mit Sänger Jakob Amr in der Rheinmetropole Köln zum Gespräch, um neben der Entstehungsgeschichte von „Again“, dem zweiten Album seiner Band,über das eigene Songwriting und den häufig thematisierten kollektiven und individuellen Perfektionismus zu sprechen. All dies beeinflusst schlussendlich natürlich auch die Historie von „Again“.

Gesunder Diskurs

Was bringt diese ganz eigene „harte Methode Songs zu schreiben“, der man wegen seines Perfektionismus verfällt, dem eigenen Output? Trotz des oft mühsamen Prozesses gelingt es der Band, durch das viele Diskutieren und Revidieren das Potential eines jeden Songs gänzlich auszuschöpfen. Was als nicht gut genug erachtet wird, bleibt auf der Strecke oder wird erneut umgekrempelt. Das nimmt logischerweise viel Zeit in Anspruch – ein kostbares Gut – und hat damit seinen Preis, der immer größer werdende Erfolg der Kieler spricht jedoch für die aufwändige Methode.

Die Ursprünge dieses zeitfressenden Unterfangens liegen neben der perfektionistischen Veranlagung jedes Bandmitgliedes auch in der Dynamik, die zwischen den einzelnen Individuen herrscht. Vor allem dadurch, dass die verschiedensten musikalischen Backgrounds nebeneinander her existieren, entsteht ein musikalischer Diskurs, der für alle Seiten von Vorteil ist. Keyboarder, Percussionist und heimliches Bühnenshowelement Djamin Izadi kommt beispielsweise aus einer ganz anderen musikalischen Ecke als der Frontmann oder sein Kollege Lennart Eicke (E-Gitarre). Vor allem Amr vereint bereits in seiner Selbst Gegensätze – in der Jugend fühlte sich der 28-Jährige zu den vertrackten Post-Hardcore-Rhythmen von At The Drive-In und sphärischen Achtminütern von Bands wie der britischen Progressive-Rock-Gruppe Oceansize hingezogen, entwickelte im Laufe der Zeit jedoch auch eine tiefe Liebe zu Pop-Musik. So meint man auf „Again“ vor allem in vielen Gesangspassagen auch Einflüsse des „King Of Pop“, Michael Jackson, herauszuhören.

Der ehemalige Hamburger, mittlerweile Wahl-Kieler, stieß erst vor einigen Jahren zu der Band. Seine Musikkarriere reicht jedoch noch viel weiter zurück: Bis zur Auflösung im Jahr 2016 rappte und sang Amr als Teil der bei Audiolith Records unter Vertrag stehenden Crossover-Band Trouble Orchestra auf deutsch und spielte nebenbei E-Gitarre – im Video zu „Einself“ parodiert das Sextett den gar nicht so abwegigen Vergleich mit den Indie-Größen Kraftklub. Nebenbei veröffentlicht das Allround-Talent unter dem Synonym Zinnschauer vertrackte Akustik-Gitarren-Songs, die er in furiosen und unkonventionellen Live-Performances auf die Bühne brachte. Auch dieses zweite Projekt ruht seit 2015 aus Zeitgründen. Der musikalische Weg Amrs beruht demnach auch auf der im Laufe der Jahre gesammelten Praxiserfahrung.

Wenn der Bandneuzugang seinen Kollegen nun erklären muss, warum sie Elemente komplexerer Musik in Leoniden-Stücke einbauen sollten, muss er so tief hinter die Kunst blicken, dass er später selber viel besser weiß, warum er endlos lange Songs und nicht nachvollziehbare Melodieführungen so gerne mag. Mit diesem Gesamtkontext im Hinterkopf überrascht es dann gar nicht mehr so sehr, dass sich in den Songs der Kieler nicht selten Akzentverschiebungen und aalglatte Pop-Momente abwechseln und sich immer wieder auch „krumme“ Takte einschleichen.

Dass man gar kein Virtuose an einem Instrument sein muss, um auch nutzbaren und kreativen Inhalt zum Songwriting beitragen zu können, war Amr vor seiner Zeit bei den Leoniden in Kiel ebenfalls nicht bewusst. Man kann also auch immer noch dazulernen. So kann Djamin, auch wenn er gar keine Gitarre spielen kann, eben doch ein Riff summen, dass Lennart oder Jakob dann aufgreifen und auf das Instrument übersetzten können. So entsteht im Zuge der Arbeiten an „Again“ beispielsweise das Gitarrenriff von „Not Enough“. Wirklich umfassend lässt sich die häufig durchwachsene Entstehungsgeschichte eines prototypischen Leoniden-Songs jedoch nur schwerlich beschreiben.

„Das Unperfekte ist quasi unser Perfekt.“

Wer die Gruppe bereits live sehen konnte, weiß, dass sich die fünf Wirbelwinde nicht nur darauf konzentrieren jeden Song der Albumversion möglichst nahe eins zu eins abzurufen, sondern jedes Mitglied sein eigenes kleines, wildes Bühnen-Ungeheuer in sich vereint, das für die 85 Minuten Konzert die Überhand zu gewinnen scheint. Wie lässt sich dieser raue, sich fast dem Punk anbiedernde Vibe mit dem eigenen häufig propagierten Perfektionismus vereinen?

Um zu erklären, warum diese paradoxe Verbindung zwischen spontanen Live-Momenten und perfekter Planung doch nebeneinander her existieren kann, hat sich Amr in einem ruhigen Moment eine kleine Analogie ausgedacht:

„Wir sind (…) gleichzeitig der Kampfhundzüchter selber und der Kampfhund. Vor dem Konzert planen wir auf der einen Seite alles perfekt, gucken also ob ein Loch im Zaun ist, ob genug Futter da ist, ob alles sauber ist, ob der Hund gut gebürstet ist und es ihm gut geht. Wenn es dann auf die Bühne geht, sind wir nur noch der Hund, der rumläuft und im besten Fall alles richtig macht. Es kann aber halt auch sein, dass der über den Zaun springt und irgendwas schief geht.“

Hier scheint auch die stets sympathische humoristische Ader des 28-Jährigen durch, der immer wieder einzelne Melodien oder Gitarrenriffs erfolgreich imitiert und Witze reißt. Der Wert eines Konzertes liegt für den Musiker vor allem in diesem „Spontanen, dem Impulsiven und der Verbindung von Leuten vor und auf der Bühne“. Das klingt nicht immer nur toll und bringt auch mal Geräusche und Sounds hervor, die in den Kompositionen nicht vorgesehen sind – das beste Beispiel für „das Perfekte im Unperfekten“.

Diese Fähigkeit auch im weniger Schönen das Gute zu sehen, scheint auch an anderer Stelle durch. Trotz des Hang zum Perfektionismus möchte der Sänger im Nachhinein nichts an dem Debütalbum seiner Band verändern, selbst wenn man einige Songs des Langspielers mittlerweile aus seinen Live-Shows gestrichen hat. Dafür trägt das Album zu sehr den „Stempel der (…) Bandgeschichte“. Als die fünf Kieler sich damals auf ihr Debüt konzentrieren, ist Amr noch gar nicht allzu lange Mitglied der Band, man beschnuppert sich beim Songwriting also noch gegenseitig.

Ein Teil der Stücke des Debüts ist deshalb instrumental bereits fertig, bevor der Herr mit dem markanten Falsett der Gruppe beitritt. Die vier anderen Mitglieder machen dort bereits seit Jahren gemeinsam Musik. Nur vier der zwölf Songs des „Leoniden“-Albums entstehen gemeinsam. Dazu gehören „1990“, „Nevermind“, „The Tired“ und „Sisters“ – ein fünfter gemeinsamer Track schafft es im letzten Moment nicht auf die Platte und bleibt bislang unveröffentlicht. Mit Amr heimst sich bei diesem Kennenlern- und Entwicklungsprozess auch ein weiteres Instrument, das auf „Again“ nun einen noch prominenteren Platz einnimmt, in das Soundrepertoire der Gruppe ein: Das Klavier.

Das Tasteninstrument taucht bereits in allen vier gemeinsamen Stücke des Debüts auf, auf dem Zweitling findet man es dann bereits in fast jedem Song. Einzig „Down The Line“ scheint komplett auf den markanten Sound des wohl mit populärsten Instruments der Menschheitsgeschichte zu verzichten. Der vermehrte Einfluss des Tasteninstruments hat seinen Ursprung nicht darin, dass Amr ein besonders guter Pianist ist, sondern dass die anderen Mitglieder sich vor seinem Beitritt eher auf Synthie-Sounds fokussierten. Während der Songwriting-Sessions von „Again“ rücken die fünf Leoniden dann noch weiter zusammen und gehen die Arbeiten als geschlossene Einheit an. Deshalb ist nun auch das Klavier deutlich prominenter vertreten. Ein Element des einzigartigen Sounds, der sich nach und nach im Laufe der Jahre entwickelt hatte, bleibt dabei erhalten: Die vielen Kuhglocken.

„Kuhglocke: Big love!“

Woher kommt diese tiefe Verbundenheit zu dem sonderbaren Instrument, dem man in populärer Musik so wenig Platz einräumt? Die Frage kann der Sänger laut eigener Aussage gar nicht alleine beantworten. Als er zu seiner ersten Leoniden-Probe kommt, steht das Percussion-Stativ, das Besucher der Konzerte der Band mehr als gut bekannt sein sollte, bereits im Proberaum. Die Kuhglocken (und Woodblocks) waren demnach schon da ein fester Bestandteil des Soundrepertoires und der schwitzigen Live-Shows, in denen sich das zugehörige Stativ nicht selten auch mal auf oder mitten in das Publikum verirrt.

Amr stellt die Vermutung auf, dass diese percussiven Elemente mit Djamin ihren Weg in die Band fanden, der damals Djembé oder Congas gelernt hatte – da ist sich der Frontmann nicht ganz sicher. Laien werden die Unterschiede zwischen den beiden Schlaginstrumenten aber eh kaum bemerken – Trommeln eben. Da Kuhglocken durchaus sehr laut sein können und sich selbst in schlecht abgemischten Soundbrei durchsetzen, fiel die Wahl dann wohl auf dieses „wunderschön simple(…) Instrument“.

Die Begeisterung für das vielseitige Klangspektrum und den variablen Einsatzbereich der Kuhglocken hört man nicht nur den Songs der Leoniden an. Auch wenn Amr darüber spricht, wie unterbesetzt die trapezförmigen Gebilde doch seien, merkt man ihm die mittlerweile enge Beziehung zu dem Instrument an. Wer bereits in den Genuss kam ein Konzert der Band erlebt zu haben, der weiß: auch hier schlummert ein einzigartiger Bestandteil des Leoniden-Sounds.

Songs schreiben die Leoniden meistens Schritt für Schritt, Part für Part. Da entscheidet sich dann häufig bereits, ob man Kuhglocken zur Unterstützung einer Melodie oder des Schlagzeugs verwenden möchte oder nicht. Eine Ausnahme bildet da „One Hundred Twenty-Three“, dessen Schluss Platz für einen langen improvisierten Jam-Teil lässt, der bis zum Studioaufenthalt noch nicht stand. Take für Take liefern Amr und Izadi dort verschiedene Varianten des Outros ab, bis schlussendlich die ganze Band mit der Performance zufrieden ist – wessen Take nun schlussendlich auf „Again“ gelandet ist, weiß Amr jedoch nicht.

Keine Grenzen / Grenzen

Obwohl die fünf sich auf „Again“ nicht neu zu erfinden, sondern das auf dem Debüt aufgezogene Gesamtbild in noch besser weiterzufahren wollen, finden doch einige ungewohnte Elemente Einzug in die Songs. Das ist vor allem dem geschuldet, dass das Quintett beschließt sich nicht durch das eigene Instrumentarium einschränken zu lassen. Wie bereits anderthalb Jahre zuvor schafft es ein Chor in mehrere neue Stücke, außerdem nimmt man im Studio einen imposanten Streicher- und Bläsersatz auf. Diese orchestralen Ansätze verstecken sich beispielsweise in „Why“, sowie dem Albumcloser „Slow“. Wenn es dann an die Konzerte geht, muss Alleskönner Djamin diese Parts irgendwie auf die vielen im Live-Setup versteckten Synthesizer umarrangieren.

Auch für die Zukunft sieht Jakob Amr musikalisch keinen Wandel auf unbekannten Pfaden für die Leoniden, auch wenn die Band sich neuen Einflüssen auf keinen Fall verschließen will. Diese plant man aber sehr schlüssig mit dem bereits entwickelten, tanzbaren Sound verfließen zu lassen. Ähnlich wie die Kanadier Billy Talent, die ihre ersten drei Langspieler einfach durchnummerierten, kann sich der Frontmann durchaus vorstellen die Nachfolger auch konsequent einfach nur noch „Again I“ bis „Again X“ zu nennen. Der Kern der Musik nämlich wohl immer erhalten: „Selbstgemachte, echte Musik von Herzen für die Leute da draußen“.

Für Bands, die sich schon ein gewisses Soundkorsett, einen bestimmten Bandsound, angespielt haben und sich an einem komplett neuen Stil versuchen, sieht Amr auch gewisse Gefahren. Experimente werden dann von den Fans belächelt, Songs, die sehr nah an dem Ursprungssound sind, werden zwar gemocht, die alten Stücke jedoch zumeist lieber gehört. Die an sich notwendige Weiterentwicklung für Musiker ist also nicht umsonst ein sensibles Thema. Ob die von Amr geplante Stilwiederholung ausreichend ist, um das Wachstum der Leoniden weiterhin antreiben zu können, werden die kommenden Jahre zeigen.

Bevor die Kieler jedoch – abgesehen von Interviews – an ihren langfristigen Soundwandel denken müssen, geht vermutlich noch einige Zeit ins Land. Zunächst steht in der ersten Jahreshälfte 2019 nämlich der zweite Teil der bislang größten Tour der Bandgeschichte an, bevor die Gruppe im Sommer das dritte Mal in Folge von Festival zu Festival hopsen wird. Dort können die Leoniden dann weiterhin ihre eigene Form des Live-Perfektionismus ausleben, sowie ihren Ruf als fleißige Bienchen verteidigen. Wir freuen uns drauf.

Zum ersten Teil des Interviews geht es hier. Weiter unten gibt es den zweiten Teil des Interviewtranskripts.

Das Album „Again“ kannst du dir hier kaufen.*

Tickets für die Tour gibt es hier.*

Und so hört sich das an:

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Leoniden live 2019:

05.02.2019 – Köln, Gloria (ausverkauft!)
06.02.2019 – Koblenz, Circus Maximus (ausverkauft!)
07.02.2019 – Saarbrücken, Garage (Hochverlegt)
08.02.2019 – Tübingen, Sudhaus
09.02.2019 – Offenbach, Hafen 2 (ausverkauft!)
11.02.2019 – Würzburg, Cairo (ausverkauft!)
12.02.2019 – Würzburg, Cairo (ausverkauft!)
13.02.2019 – Berlin, SO36 (ausverkauft!)
14.02.2019 – Berlin, SO36 (ausverkauft!)
15.02.2019 – Leipzig, Conne Island (ausverkauft!)
16.02.2019 – Dresden, Beatpol
20.02.2019 – Regensburg, Alte Mälzerei (ausverkauft!)
21.02.2019 – Ulm, Cabaret Eden
22.02.2019 – Innsbruck (AT), PMK
23.02.2019 – Sankt Peter am Wimberg, Mezzanine Club (AT)
24.02.2019 – München, Technikum (ausverkauft!)
26.02.2019 – Konstanz, Kulturladen
27.02.2019 – Baden (CH), Werk
28.02.2019 – Basel (CH), Sommercasino
01.03.2019 – Karlsruhe, Substage
02.03.2019 – Jena, Kassablanca (ausverkauft!)
05.03.2019 – Dortmund, FZW Halle (Hochverlegt!)
06.03.2019 – Oldenburg, Amadeus (Ausverkauft)
07.03.2019 – Bielefeld, Forum (ausverkauft!)
08.03.2019 – Hamburg, Große Freiheit 36 (ausverkauft!)
27.03.2019 – Brno (CZ), Eleven Club
28.03.2019 – Prag (CZ), Cafe v Lese
14.12.2019 – Kiel, Halle400 (Jahresabschlusskonzert)

Foto von Maximilian König.

Transkription des zweiten Interviewteils:

minutenmusik: Zur Veröffentlichung meintest du eben, dass du bei dem „Leoniden“-Album nichts anders gemacht hättest. Trotzdem ist „Again“ jetzt doch ein wenig anders erschienen, nämlich über Irsinn Tonträger, die über das Major Universal Music vertreiben. 

Jakob: Genau, die sind ein Sublabel von Vertigo Records und Vertigo ist ein Sub von Universal. Man kann also sagen, dass wir bei Universal sind, man kann aber auch sagen, dass wir mit Carlo (Schenk), Fred (Anmerkung: Frederik Boutahar) und Johannes (Scholz) von Irsinn Tonträger zusammenarbeiten und die täglich anrufen.

minutenmusik: In dem Gespräch von uns, das ich jetzt schon einige Male erwähnt habe, ging es unter anderem auch um einige schlechte Eigenschaften der Musikindustrie. Mit der Zusammenarbeit seid ihr einen Major-Label nun zumindest näher gerückt. Wie kam es zu dieser Zusammenarbeit und dieser Entscheidung?

Jakob: Das erste entscheidende Argument dafür, das zu tun, war, dass die Leute cool sind. Die haben wir witzigerweise genau da kennengelernt, wo wir heute Abend spielen und zwar bei den Cardinal Sessions (Anmerkung: im Oktober 2016 im Kölner Gebäude 9). Da haben wir Carlo und Fred kennengelernt und haben uns sofort auch gut mit denen verstanden. Zu dem Zeitpunkt wussten die selber noch gar nicht, dass die mal ein Label machen wollen. Die machen eigentlich das Management von Faber, AnnenMayKantereit und Von Wegen Lisbeth. Wir sind quasi deren erstes Labelsigning.

Wir haben bei der Schreibphase schon gemerkt, dass wir, wenn wir „Again“ in dem Ausmaß rausbringen wollen, wie wir das wollen, bereits aufhören müssten zu schreiben oder weniger auf Tour gehen könnten, weil das so krass viel Arbeit ist, von der wir dann doch nicht so viel Ahnung haben. Da haben wir dann ähnlich wie beim Booking – das machen wir ja auch nicht selber – beschlossen, dass wir wen brauchen, der da Profi ist.

Hätten wir die Wahl gehabt zu Universal Music oder zu Irrsinn Tonträger zu gehen, wenn Irrsinn kein Sub von Universal gewesen wäre, hätten wir uns eine Millionen Mal für Irrsinn entschieden. Das war für uns nicht an die Bedingungen geknüpft. Wir wussten einfach nur, dass das gute Leute sind, die gute Strukturen haben, die sie nutzen können, aber wir nicht sieben Leute um Ecken anrufen müssen, um jemanden zu finden, der wirklich für uns verantwortlich ist, wenn wir was wollen. Den Vertrag haben wir glaube ich auch über ein Jahr lang ausgefochten. Obwohl das unsere Freunde sind, haben wir trotzdem um jeden Punkt gekämpft. Ich weiß nicht, ob eine Band schonmal einen so guten Vertrag hatte. Wenn ihr einen Anwalt braucht: Ruft Lennart an, der verteidigt euch.

minutenmusik: Leoniden – die Band mit dem besten Vertrag Deutschlands.

Jakob: Genau! Nein, wir haben nicht den besten Vertrag der Welt. Wir gucken uns aber auf unsere eigenen Füße. Das ist für uns entscheidend. Die haben wirklich sehr schnell klargemacht, was deren Job ist und was nicht. Alles kreative bleibt zu 100 Prozent unsere Entscheidung. Wir wollen darüber nicht mal mit denen Gespräche führen. Ich mein – die sitzen zurecht da, wo sie sitzen, und ich höre mir die Meinung von den Leuten genauso gerne an wie die von irgendjemand anderen, aber die gehören nicht zum kreativen Team. Die Entscheidung, was wir mit Songs machen oder mit welchen Produzenten wir zusammenarbeiten bleibt komplett bei uns.

minutenmusik: So sollte es optimalerweise ja immer sein. So, wenn du hier schon über das Kreative sprichst, können wir ja auch mal ein bisschen über die Musik auf „Again“ sprechen. Und zwar sind mir da ein paar Sachen aufgefallen.

Jakob: Oh, yes! „Du singst ganz schön oft „something“!“. Stimmt. Ist dir das schon aufgefallen?

minutenmusik: Tatsächlich nicht.

Jakob: Musst du mal drauf achten.

minutenmusik: Mit Absicht?

Jakob: Ja, extra. 

minutenmusik: Warum heißt das Album dann nicht „Something“?

Jakob: Öhhhhhhhhhhhh, nächste Frage! (lacht) Vielleicht heißt das nächste Album „Something“.

minutenmusik: Genau, so Bilderbuch-Like Song- und Albumtitel und Motive einstreuen.

Jakob: Boaaaah, ja! So, jetzt die Frage.

minutenmusik: Genau. Ihr habt nämlich zu einem Instrument eine doch besondere Beziehung und zwar sind das die Kuhglocken. Wie kam es zu dieser tiefen Verbundenheit mit diesem doch recht ungewöhnlichen Instrument?

Jakob: Das ist eine gute Frage! Ich glaube das kann ich gar nicht zu 100% richtig beantworten. Dieses Percussion-Stativ, das wir haben – aus zwei Kuhglocken und zwei Woodblocks – und das die Leute am meisten wahrnehmen, weil Djamin und ich da drauf rumhauen, stand nämlich schon im Proberaum, als ich zur ersten Leoniden-Probe kam. Das haben die schon seit Jahren mit dabei. 

Ich weiß, dass das einzige Instrument, was Djamin gelernt hat, entweder Djembé oder Congas waren. Conga sind diese zwei Trommeln, die man nicht mit Bongos verwechseln sollte. Das eine ist groß, das andere klein – ich weiß gerade aber nicht… (fängt an zu nuscheln). Das hat er auf jeden Fall gelernt. Ich glaube, dieses Percussive kommt in den Kuhglocken am besten durch. Womit will man die Musik sonst unterstützen? Die sind laut und setzen sich auch im schlecht gemischtesten Club der Stadt immer durch, sodass man die hört. Kuhglocken sind ein so wunderschön simples Instrument! Du haust drauf und es macht „dongh“. Das wars! Man kann damit so viel schöne Sachen machen.

Kuhglocken sind aber echt unterbesetzt. Die findet man immer auf dem einen Rock-Song eines Albums, weil eine Rock-Band gedacht hat, sie mache da mal etwas besonderes. Außerdem findet man die ab und an bei den Red Hot Chili Peppers oder so krassem Latin-Kram. Aber bei Pop? Also Kuhglocke: Big love!

minutenmusik: Jetzt hier der Bezug zum Songwriting – ich stelle mir das ein bisschen so vor: Ihr habt einen neuen Song geschrieben, dann beschließt ihr das was fehlt und entscheidet euch das mal wieder mit Kuhglocken anzureichern. Dann unterlegt ihr diesen ganzen Song mit Kuhglocken. Wie läuft das in der Realität wirklich ab?

Jakob: Wir schreiben ganz viel auch Part für Part und entscheiden dann schon, ob eine Kuhglocke reinkommt oder nicht. Es kann aber auch sein, dass wir beim Schreiben des letzten Parts eines Songs eine Figur finden, die uns besser gefällt. sodass wir alles andere nochmal austauschen. Aber so jamige Parts, von denen man behaupten könnte, dass in denen Platz für Kuhglocken sei, gibt es ganz selten. Das Ende von „One Hundred Twenty-Three“ wäre da ein Beispiel. Da wussten wir bis zum Studio noch nicht genau, wie die Kuhglockenfigur aussieht. Djamin und ich haben dann einfach abwechselnd immer wieder gejamt. Ich weiß jetzt auch gar nicht, von wem der Take ist, der auf dem Album gelandet ist. Da war uns wichtig, dass der Song dieses Jamige, Spontane hat.

minutenmusik: Nach den ersten Hördurchgängen sind mir dann noch einige weitere Sachen an „Again“ aufgefallen. Ihr arbeitet nämlich viel mehr als auf dem ersten Album mit Klavier-Sounds und greift immer wieder auch auf orchestrale Elemente zurück. Was waren außer, dass ihr euch eben auf „Again“ musikalisch nicht neu erfinden wolltet, wie das jetzt in Interviews ja auch schon relativ häufig thematisiert wurde, noch eure musikalischen Ansätze?

Jakob: Irgendwann haben wir die Entscheidung getroffen, dass wir uns durch das Instrumentarium, das wir haben, nicht einschränken lassen wollen. Deshalb gibt es bei „Why“ eben einen Streicher- und Bläser-Satz und einen Chor. Das haben wir alles live nicht. Djamin muss das alles irgendwie auf den Keyboards ausbaden, was wir uns da ausgedacht haben. Das kriegt der aber schon auch hin. Das war die eine Sache.

Ich glaube tatsächlich, dass das Klavier mit mir in die Band kam. Das nicht, weil ich ein krasser Pianist bin, sondern weil Djamin immer eher Synthie-Sounds gespielt hat. Wir finden natürlich aber alle Klaviersound gut. Beim ersten Album bemerkt man nämlich die Songs, die schon vor mir da waren, und die Songs, die mit mir geschrieben wurden.

minutenmusik: Welche Songs gab es vor deiner Zeit schon? Ich würde direkt die ersten beiden, also „1990“ und „Nevermind“ vermuten, weil das doch die typischsten Indie-Hits sind.

Jakob: Die Theorie bestätigt sich gerade. „1990“ gab es vor mir schon als Instrumental ohne den Piano-Part in der zweiten Strophe. Da ist mein Einfluss also spürbar. „Nevermind“ war neu – da gibt es in der Strophe auch ein Piano. Bei „Sisters“ gibt es auch Piano in der Strophe. „The Tired“: Piano (imitiert den Part). Was war der fünfte Song, den wir noch zusammen geschrieben haben? Ich glaube, der hat es nicht auf das Album geschafft! Also ist Klavier wirklich, seitdem ich dazugekommen bin, im Repertoire.

minutenmusik: Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass ihr unabhängig von den vielen unfertigen Skizzen auch generell sehr viel mehr Songs fertiggestellt habt als auf dem Album gelandet sind. Landet sowas bei euch dann wirklich immer im Papierkorb oder steht bei euch im Raum irgendwann mal eine B-Seiten-EP oder so zu machen?

Jakob: Ich will mich jetzt nicht festlegen, weil ich strukturell nichts dagegen habe, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass wir B-Seiten raushauen. Wir wollen Songs immer lieber im vollen Potential verwirklichen. Der Song, der nicht auf das erste Album gekommen ist, gab es ganz früher schon mit dem alten Sänger. Der hat sich dann aber komplett gewandelt, sodass von der alten Version eigentlich nichts mehr übrig war. Den haben wir aufgenommen und dann im letzten Moment entschieden, dass der nicht mit auf die Platte kommt. Den Refrain haben wir jetzt beim zweiten Album wieder angefasst. Der hat es aber wieder nicht draufgeschafft. Kann aber sein, dass es dann beim dritten Album so weit ist.

„People“ ist aber zum Beispiel ein Song, der komplett aus Baustellen besteht, die wir beim ersten Album schon hatten. Der hat auch Piano drin! Der hat es also jetzt erst geschafft. Wenn wir das nächste Album schreiben hören wir uns Totengräberstyle den ganzen Schrott, den wir haben, nochmal an und nehmen alles daraus, was uns immer noch gefällt. Wenn sich Sachen nach drei Jahren im Dropboxfriedhof noch immer gut anhören, dann kann man die auch nochmal anpacken. Das wird alles nicht einfach gelöscht.

minutenmusik: Man kann euere vergangenen zwei Jahre schon als Erfolgsgeschichte bezeichnen. Schaut man sich Erfolgsgeschichten im Musikbereich generell an, geht es da häufig um Weiterentwicklung. Bei „Again“ habt ihr euch jetzt dazu entschieden, euch eben nicht groß weiterzuentwickeln, sondern das, was ihr eh schon macht, noch besser zu machen. Glaubst du, dass man sich als Künstler, musikalisch auch in neue Gefilde hineinentwickeln muss, um dauerhaft wachsen zu können oder glaubst du, dass es für euch reicht immer weiter ein „Again“ – also eine gereiftere Version euer Selbst – zu machen?

Jakob: Generell kann ich nur sagen: Jaein. Es gibt Bands, bei denen man merkt, dass sie sich ohne ein One-Hit-Wonder zu sein einen Sound im Laufe der Zeit angespielt haben. Die tragen eben ein Korsett, aus dem sie nicht mehr herauskommen. Da wird jedes Experiment von den Fans eher belächelt und jeder neue Song, der so wie die paar, die man gerne hört, klingt, ist cool, aber nicht so cool wie die anderen. Da kommt man als Band dann nicht mehr raus.

Es ist cool, wenn du sagst, dass wir den „Leoniden-Sound“ haben. In meinem Kopf sind die Songs nämlich alle sehr verschieden. Mit „River“ haben wir beispielsweise sowohl soulige, als auch grungige Momente, die das erste Album nicht hatte. Wir kraken immer weiter in andere Genres, die uns eben auch gefallen und können da auch sehr spontan sein. Ich glaube theoretisch wäre der konsequenteste Move von uns, wie Billy Talent, die ihre Alben durchnummerieren, jetzt „Again I“ bis „Again X“ rauszubringen. Das ist unser Weg.

Ich kann mir nicht so vorstellen, dass wir uns von diesem tanzbaren Sound wirklich lösen.

minutenmusik: Da kommt dann irgendwann die traurige Akustik-Platte.

Jakob: Ja und dann macht man die Akustik-Platte nur, um im Live-Set daraus zwei traurige Songs zu spielen… woah, das fühlt sich alles noch so weit weg an. Ne, ich glaube wir machen da einfach genauso weiter. Warum sollten wir jetzt eine Blues-Platte machen? Warum sollten wir nur ein Rock-Album machen? Es gibt so viele gute Rock-Bands!

minutenmusik: Ich würde euch vom Kern wahrscheinlich sogar auch noch als Rock-Band bezeichnen.

Jakob: Wenn ich nur von mir sprechen würde, würde ich das auch tun. Wenn man uns live sieht, würde ich auch sagen, dass wir an vielen Stellen eine Punk-Band mit Humor sind. Aber wir sind einfach auch eine Pop- und eine Indie-Band.

minutenmusik: Ihr treibt euch da schon in der Schnittmenge dieser drei Genres umher.

Jakob: Genau. Irgendwann sind diese Genre-Schubladen auch einfach durch. Dann macht man das nicht mehr und gibt Bands immer nur ein gewisses Avatar mit so vielen Farben, wie sie verschiedene Musik machen.

minutenmusik: Letzten Endes macht ihr Gitarrenmusik.

Jakob: Trotzdem ist die Gitarre in „Why“ echt leise. Weist du? Wobei: Am Ende ist sie schon laut. Es ist selbstgemachte, echte Musik von Herzen für die Leute da draußen. (lacht)

minutenmusik: Für Leute mit Herz!

Jakob: Genau. (lacht)

minutenmusik: Vielen Dank für das Interview!

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