Der Startschuss ist gefallen – und damit auch die ersten Würfel. Sieben der insgesamt 17 Teilnehmer aus dem ersten Semifinale des Eurovision Song Contest 2019 dürfen den Heimweg antreten. Für sie war es wirklich nur ein Traum beim diesjährigen Motto Dare to Dream. Sie kehren Tel Aviv den Rücken zu und sind am Samstagabend nicht zu sehen. Wir haben für euch vorab getippt und lagen mit sechs von zehn Tipps richtig. Das zweite Halbfinale findet Donnerstag um 21h statt, ebenfalls im Fernsehen auf One oder online auf eurovision.de!
Im Finale zu sehen sind:
Zypern – „Replay“, Tamta
Slowenien – „Sebi“, Zala Kralj & Gašper Šantl
Tschechien – „Friend of a Friend“, Lake Malawi
Weißrussland – „Like It“, Zena
Serbien – „Kruna“, Nevena Božović
Australien – „Zero Gravity“, Kate Miller-Heidke
Island – „Hatrið mun sigra“, Hatari
Estland – „Storm“, Victor Crone
Griechenland – „Better Love“, Katerine Duska
San Marino – „Say Na Na Na“, Serhat
Und somit ausgeschieden:
Montenegro – „Heaven“, D Mol
Finnland – „Look Away“, Darude feat. Sebastian Rejman
Polen – „Fire of Love (Pali Się)“, Tulia
Ungarn – „Az én apám“, Joci Pápai
Belgien – „Wake Up“, Eliot
Georgien – „Keep On Going“, Oto Nemsadze
Portugal – „Telemóveis“, Conan Osíris
NACHLESE ZUR SHOW:
Was ein fulminanter Auftakt! Letztes Jahr stand Netta noch selbst auf der großen ESC-Bühne in Lissabon und hat innerhalb weniger Minuten ganz Europa überzeugt. Ihr „Toy“, das sowohl akustisch als auch optisch eine absolut auffällige Nummer war, darf zwar bis heute mehr Daumen runter als rauf bei YouTube zählen, steht aber weiterhin für sämtliche Merkmale, die den größten Musikwettbewerb der Welt eben ausmachen: Toleranz, Einzigartigkeit, Modernität. Schlussfolgernd gehört der quirligen Sängerin auch zurecht das Opening in Tel Aviv, denn ohne sie wäre er immerhin nicht dort gelandet. Generell ist Tel Aviv zum ersten Mal Austragungsstadt.
Ihre Geschichte wird in nachgedrehten Szenen dargestellt. Der Moment, wie Netta als Kind mit ihren Eltern im Fernsehen den letzten Sieg Israels beobachtete – der Sieg von Dana International, der ersten Transsexuellen beim ESC. Ein geschichtlicher Moment. Netta wusste auch da schon, dass sie anders ist und irgendwann auch dort stehen möchte. Und sieh einer an, 20 Jahre später holt sie den nächsten Sieg für Israel nach Hause. Das Video gipfelt in der Gegenwart und Netta darf ihren Gewinnersong „Toy“ in einer verlängerten Remixversion präsentieren. Parallel dazu fällt bereits in den ersten Minuten auf, dass das eine gute Show werden kann: wahnsinnige Lichttechnik, grandiose Bühne und schön viel Pyro. Ja, Mann! So muss das.
Auf Seiten der Moderation passiert wenig. Wenig Positives, wenig Negatives. Das Quartett – zusammengesetzt aus Bar Refaeli, Erez Tal, Assi Azar und Lucy Ayoub (es ist völlig ok, wenn ihr niemanden davon kennt. Tun wir auch nicht) – geht klar und stört nicht beim Bügeln. Die einen halten sich im Green Room auf und führen kurze Interviews, die anderen leiten zum nächsten Song über. Genug Worte für so wenig Interessantes.
Kommen wir doch lieber zu den wichtigen Dingen: den Auftritten. Das erste Semi ist dieses Jahr im Vergleich zum noch anstehenden zweiten eher schwach besetzt. Insgesamt ist der ESC-Jahrgang 2019 ein überaus gelungener. Mindestens die Hälfte der 41 Teilnehmerländer schicken tolle Tracks, die sich lohnen, entdeckt zu werden. Die paar Songs, die negativ auffallen, tummeln sich dafür alle in Semi Nr. 1.
Alles kann nicht weiterkommen. Somit bleibt uns zum Glück am Samstag das aggressive und angsteinflößende Geschrei aus Georgien erspart. Unfreiwillige Komik, ganz viel Rauch, Weltuntergangsszenarien auf Riesenleinwand. Das braucht keiner zweimal. „Keep On Going“ hieß der Song, im Titel fehlt allerdings das Wort „Home“ am Ende. Auf nimmer Wiedersehen! Furchtbar.
Ähnlich schrecklich und zu Recht ausgeschieden ist die einzige große Band des Wettbewerbs. Das extra gecastete Sextett D Mol aus Montenegro liefert die schmalzigste Kitschnummer des Jahres und darf mit ihrem altbackenen und in Teilen schief gesungenen „Heaven“ auch kein zweites Mal auf die Bühne.
Zum Thema „schief gesungen“. Das schien ein wenig Motto des Abends zu sein. So hat sich ganz besonders Belgien ins Off geschossen. Das Land, das seit einigen Jahren für durchweg gute, alternative Alternative-Pop-Nummern steht, hätte mit „Wake Up“ gute Chancen fürs Finale gehabt – wenn Eliot denn auch die Töne getroffen hätte. Grade im Refrain ist er durchweg Flat und wirkt dazu noch demotiviert. Er hat für den ESC seine Abschlussprüfungen in der Schule unterbrochen. Die kann er nun fortsetzen. Schade, das war in der Studio Version wesentlich besser.
Bei San Marino wurde der noch viel schiefere Gesang hingegen vom Publikum überhört. Serhat, 54 Jahre jung, der bereits 2016 antrat, sorgt auf der letzten Startnummer dank seines 70s-Disko-Liedchens „Say Na Na Na“ für Fremdscham – und zieht ins Finale. Das Land war bisher einmal im Finale. Dieses Jahr zum zweiten Mal. Ein großes Fragezeichen im Kopf, das vorerst nicht mehr verschwindet.
Und auch Weißrussland hat sich nicht mit angenehm hörbaren Tönen bekleckert. Stattdessen setzt die 16-jährige Zena mit ihrem Reggaeton-Tropical-Beat in „Like It“ auf Charts, moderne Hip-Hop-Outfits und Breakdancer. Hat geklappt. Am Samstag aber dann bitte auch mit korrekten Noten.
Dass unser Anspieltipp aus Griechenland „Better Love“ von Katerine Duska live nicht so gut klingt, ist auch eine kleine Enttäuschung. In der Studio Version eine Bombast-Pop-Ballade mit Radiopotenzial, in der Show ein wenig schwammig. Dafür wird mit musicalartiger Deko hinweggetäuscht. Schön anzuschauen, aber nicht mehr der Favorit des ersten Semis.
Stattdessen haben sich Hatari aus Island in sämtliche schwarze Herzen gespielt. Showtechnisch ein Wechselbad aus Grusel, Ekel und Faszination. Outfits wie bei der versexten Version von „Edward mit den Scherenhänden“, dazu Elektro-Synthie-Rock und Feuerelemente. Das ging richtig ab, kam extrem gut an und wird im Finale vielleicht die Top 5 entern… wir würden uns darüber freuen! Bester Auftritt des ersten Semis.
Außerdem ein Überflieger im wahrsten Sinne: Australien. „Zero Gravity“ wurde wörtlich genommen und Kate Miller-Heidke ging mit ihren zwei Backgroundtänzerinnen auf Stelzen in die Luft. Das war auf jeden Fall faszinierend anzusehen, wenn auch eher zum Lachen. Aber so ist das eben beim ESC: Entertaining is the word! Und davon gab’s genug. Wenn auch in befremdlicher Form.
Direkter Misserfolg im Gegenzug und demnach ein Beweis für den schmalen Grat ist Portugal. Das Stück, das einen Mix aus japanischen Klängen, Orientalischen Elementen und Elektro darstellt, war dann doch Überforderung für Europa und vor allen Dingen nicht transparent genug. In der Performance wurde im Vergleich zum nationalen Vorentscheid auf die auffälligen Krallen verzichtet – und somit nun auch auf die finale Eintrittskarte.
Wer letztes Jahr Zypern mochte, kommt auch dieses Jahr auf seine Kosten. „Fuego“ war letztes Jahr auf Platz 2, „Replay“ soll die Pole knacken. Das wird definitiv nicht passieren. Dank der gutaussehenden Tamta und des extrem gewagten Lackoutfits, das im Laufe des Stücks immer reduzierter wurde, reichte das zwar für Samstagabend, aber dann auch nur mit Glück für die Top 10.
Viele etablierte Künstler haben es schon probiert. Sowohl diejenigen, die noch Erfolg haben, als auch diejenigen, die mal Erfolg hatten. Finnland wollte mit seinem Star-DJ Darude voll auffahren und fuhr stattdessen voll gegen die Wand. Kein Wunder bei derartig langweiligem 2000er-Trance-Pop.
Weitere Überraschungen des Abends waren das Weiterkommen von Estland, die mit „Storm“ auf einen extrem schleimigen, überstylten Sänger und Avicii-Mucke setzten. Hat geklappt, ist aber so belanglos, dass einer der letzten fünf Plätze im Finale hiermit schonmal vergeben ist.
Serbien schickt eine klischeehafte ESC-Rockballade, die Drama auf Landessprache bot, und tatsächlich zur Qualifizierung reichte. Ok. Wenn’s sein muss.
Ungarn hatte den einzigen richtigen Balkan-Song des Jahres gestellt und es dennoch nicht in die letzte Runde geschafft, was an der fehlenden Steigung des Titels liegt. ESC ist mehr als nur nett, denn nett ist hier Gift.
Dann doch lieber die 80s-Synthie-Pop-Partysause aus Tschechien. „Friend of a Friend“ ist definitiv ein spaßiger Song mit Ohrwurmgefahr – die Jungs aber einfach eine Spur zu cool. Das ist so fakiges Understatement, dass der Track zwar gerne als Warm Up für Clubbingabende herhalten darf, der ESC-Pokal aber nicht angerührt wird. Trotzdem zurecht weitergekommen.
Wirklich schade ist das Ausscheiden Polens. Tulia haben was gewagt, dafür gibt es eine Runde Applaus. Das Mädelsquartett ist in ihrem Land äußerst erfolgreich und hat mit ihrem markant schrillen Song eine spannende Kombination aus Folklore und Rock präsentiert. Man muss aber zugeben, dass sich der wahre Sog des Songs erst nach einigen Durchgängen einstellt. Gesanglich lief hier aber immerhin alles richtig.
Zum Schluss der Sieger der Herzen: Slowenien und ihr fast schon puristischer Elektro-Pop „Sebi“. Die beiden Künstler Zala & Gasper verkaufen ihre minimalistische Nummer so gut. Sie schauen sich die ganze Zeit an, vergessen die Welt um sich herum. Auf Leinwand gibt es unzählbare Sterne. Das hatte Atmosphäre und geht somit als eins der großen Highlights des Abends durch.
Während der Abstimmung gab es ein Wiedersehen mit der Netta-Inspiration Dana International, die eine Coverversion von Bruno Mars‘ „Just The Way You Are“ präsentiert. Da war mit Sicherheit nicht alles live gesungen (bei Netta im Opening apropos auch nicht…), trotzdem hatte das Ganze Emotion und Aussage. Zusätzlich wurde auf die Beiträge von Frankreich, Spanien und Israel ein Blick geworfen, die bereits für Samstag qualifiziert sind. Deutschland war heute nicht stimmberechtigt – dafür Donnerstag. Dann sind auch S!sters in der Halle und zum kleinen Plausch verfügbar.
Donnerstag wird die Spannungsschraube erheblich angezogen. Da treten nicht nur die qualitativ besseren Titel an, sondern auch sämtliche Favoriten bei den Buchmachern. Wir sind gespannt!
Stay tuned.
Hier nochmal unser Höhepunkt der Show – Hatari aus Island:
Hier kannst du den Sampler zur Show kaufen.*
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