Eine Konvention ist laut dem Duden eine „Regel des Umgangs, des sozialen Verhaltens, die für die Gesellschaft als Verhaltensnorm gilt“. Auch die Musik und selbst weit vom Mainstream zu verordnende Genres werden von solchen sozialen Normen geprägt – sei das im Bezug auf das Songwriting, den Sound, die Art des Auftretens. Die Belgier Brutus leben seit zwei Studioalben und drei EPs den stetigen Bruch mit Konventionen. Das fängt schon bei der Besetzung des Trios und seinem Songmaterial an und zieht sich bis in die Live-Shows. Das Konzert der Band im ausverkauften Kölner MTC konnte davon zeugen.
Brutus, das sind Bassist Peter Mulders, Gitarrist Stijn Vanhoegaerden und Sängerin, sowie Schlagzeugerin Stefanie Mannaerts. Schon die Rollenaufteilung innerhalb der Band ist in zweierlei Maßen besonders: zum einen sitzt da eine Frau an den Drums. Optimalerweise müsste man das gar nicht hervorheben, Sozialisation, Normen und Gesellschaft sorgen jedoch dafür, dass Frauen in der Rock-Szene leider noch immer unterrepräsentiert sind. Zum anderen singt die Frau an den Schlagzeugstöcken – es gibt zwar einige drummende SängerInnen, in den meisten Fällen kommt die Aufgabe jedoch den GitarristInnen zu. Dass Mannaerts anfangs eigentlich nur auf ihre Trommeln eindreschen wollte, schlägt sich in ihrem speziellen Gesangs-Stil nieder. So singt sie mal schnörkelig über die sphärischen Instrumentals, mal wird sie etwas lauter und brüllt mit heiserer Stimme über die etwas straighteren Parts, während ihre Arme sich in flotten Blast- und Punk-Beats verlieren. Ihre beiden Kollegen fügen diesem rhythmisch-gesanglichen Grundkonstrukt noch die nötige Dynamik und Melodie hinzu, sodass am Ende zwischen drei und fünf Minuten andauernde Post-Irgendwas-Monstren stehen, die sich stets zwischen Atmosphäre und Brachialität entscheiden müssen.
Tolle Soundlandschaften skizzieren können auch Noir Reva aus Koblenz. Das Post-Rock-Quartett darf heute eine halbe Stunde lang beweisen, wie viel Emotionen rein instrumentelle Musik doch vermitteln kann. Die Band hat dafür sogar eine kleine eigene Lichtshow und Massen an Nebel im Gepäck. Auf jegliche Showelemente verzichten später die Headliner des Abends. Mannaerts sitzt am rechten Bühnenrand und verschwindet der flachen Bühne des MTC zu schulde für alle Anwesenden ab Reihe drei hinter Köpfen und Schultern. Noch weiter hinten erhascht man auch von Mulders und Vanhoegaerden, die sich mittig der Bühne positioniert haben, nur die Umrisse. Das Licht des Clubs bleibt über den 60-minütigen Auftritt hinweg ebenfalls durchweg in einem unaufgeregten Grün-Blau. Die Band lässt komplett die Musik für sich sprechen. Ob man jetzt mit geschlossenen Augen lauscht oder die unspektakuläre Szenerie betrachtet, bleibt jedem selber überlassen, ändert schlussendlich aber kaum etwas an der Erfahrung.
Dem Zuhören widmen sich die dicht an dicht gedrängten Fans zu Beginn auch. Nach einigen Songs kommt dann vorne so etwas wie ein kleiner Moshpit zustande, der niemals auszuarten scheint und in den richtigen Momenten ruht. Später schwirrt sogar ein verirrter Crowdsurfer durch den Raum. Die meiste Zeit fokussieren die Anwesenden jedoch das, was heute zählt: die Kunst. Die steht für sich – die drei bauen immer wieder breite Soundwände auf, schichten diese Stück für Stück auf, bloß um sich dann ruhigeren Arrangements hinzugeben. Das beste Beispiel dafür ist „War“, der der aktuellen Platte „Nest“ in einer Live-Session-Version als Vorbote galt. Dass das Stück also nun auch wunderbar funktioniert, überrascht nicht. Am Schluss bedanken sich Brutus noch einmal bei der aufmerksamen Menge und verlassen dann ohne Zugabe – die natürlich trotzdem frenetisch gefordert wird – die Bühne. Der Band nimmt das niemand übel.
Obwohl Brutus den Bruch mit dem Wohlbekannten nur so zu suchen scheinen, geht das Konzept – ob dieses bewusst oder unbewusst gewählt wurde, bleibt offen – auf: der Applaus zwischen den Songs ist laut, die Fans zwar zurückhaltend, dafür respektvoll und höflich. Obwohl das Trio vor einigen Wochen bereits ein Konzert in Münster gespielt hatte und im Juni ebenfalls in Düsseldorf auftritt, ist die Show ausverkauft. So ganz erklären lässt sich der Erfolg dieses den Konventionsbruch bis ins letzte Detail auslebenden Musikprojekts jedoch nicht – vielleicht übt aber ja auch gerade diese Unkonventionalität eine Faszination auf viele aus. Wer weiß.
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Und so hört sich das an:
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Brutus live 2019:
14.05.2019 – Hamburg, Hafenklang
16.05.2019 – Berlin, Maze
18.05.2019 – Dresden, Scheune
20.05.2019 – Munich, Storm
22.05.2019 – Frankfurt, Nachtleben
08.06.2019 – Düsseldorf, The Tube
Foto von Jonas Horn.
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