Bei Konzerten geht es nicht nur um den Act allein. Den kann man sehr mögen und trotzdem unzufrieden nach Hause gehen, weil die Setlist nicht stimmt. Oder die Tageslaune der Künstler*innen. Oder das Publikum. Oder der Sound. Oder die Location generell. Ach, es gibt so viele Möglichkeiten. Aber hin und wieder gibt es auch Shows, bei denen wirklich alles von A bis Z wie abgestimmt wirkt. Bei denen man sich ein bisschen verliert und sich sicher ist, dass alles zur richtigen Zeit am richtigen Ort ist. Angus & Julia Stone und ihre Show in der Kölner Philharmonie sind einer dieser “Alles ist im Einklang”-Momente.
2011 kam Ed Sheeran mit seinem “A Team” um die Ecke und holte den emotionalen Singer/Songwriter-Pop in die weltweiten Charts. Auf einmal war das Genre der Nerv der Zeit und alle machten sehr schnell gefühlt dieselbe Lala. Doch manchmal wird vergessen, dass der Engländer das Ganze nicht erfunden hat. Nein, bei Bob Dylan fangen wir jetzt nicht an, aber zumindest knapp ein Jahrzehnt zuvor, als zum Beispiel Damien Rice alle mit seinem ultra intimen Sound verzauberte und so unwirklich leise war. Mitte der 2000er kamen dann die beiden Geschwister Angus & Julia Stone aus Newport in Australien dazu, die mit ihrem zweistimmigen Folk-Blues-Mix eigentlich bei jeder Komposition das richtige Fingerspitzengefühl besaßen, um Shivers auszulösen. Schon das erste Album erreicht in der Heimat Platin, doch mit dem zweiten Werk “Down The Way” und der erfolgreichen Single “Big Jet Plane” macht man sich weit über die Grenzen des Kontinents hinaus einen Namen. In Deutschland braucht es den schon anherrschenden Sheeran-Hype, um ein wenig über den Tellerrand hinauszugucken und auch andere Artists wahrzunehmen, die etwas sehr Ähnliches, oft sogar wesentlich Besseres schon vorher produziert haben. But well. Ein kleiner, aber gekonnter Einsatz der Akustik-Coverversion von dem “Grease”-Oldie “You’re The One That I Want” in einer Lagerfeuerszene des RTL-Dschungelcamps – kein Witz – puscht das wunderhübsche Geschwister-Duo mit einer viel zu großen Portion Musiktalent in die Herzen aller deutschsprechenden Indie-Pop-Folk-Fans.
Die Zwei sind nicht ganz so oft hier zu Besuch, aber alle paar Jahre hat man durchaus die Chance, in den wohltuenden, einhüllenden Sound der 40-jährigen Julia und des 38-jährigen Angus zu kommen. Gemeinsam machen sie seit 2006 Musik, dazwischen aber auch immer mal wieder allein oder in Kreativprojekten. Auf größerer Tour waren sie hier zuletzt 2017, dazwischen gab es vereinzelte Festivalgigs. In Köln ist das Duo nicht zum ersten Mal, allerdings war man 2014 und 17 im Palladium zu Gast. Doch für die aktuellen Living Room Sessions hat man sich etwas Neues einfallen lassen. Speziellere, gehobenere Locations, um eine besondere Cozyness herzustellen und einen besseren Sound zu garantieren. Eine Entscheidung, die einem absoluten Volltreffer gleicht. Neben schönen Konzertsälen hat man auch noch das neue Album “Cape Forestier” im Gepäck, das nur vier Tage vor dem ersten Termin in Barcelona erschien. Wenn’s mal läuft, dann läuft’s.
Nach drei Stationen in Spanien geht es also zum ersten Gig nach Deutschland. Danach dreht man einige Runden durch die große europäische Welt, stoppt aber noch für vier weitere Deutschland-Shows und eine in der Schweiz, bevor es dann nach Amerika und zum Abschluss wieder nach Australien geht. 39 Konzerte, drei Monate Reise. Da darf man schon ein Stück Wohnzimmer mitnehmen. In der immer wieder super schönen Philharmonie in Köln sieht die kreisrunde Bühne auf dem Parkettboden nämlich tatsächlich aus wie die eigenen vier Wände. Nachttischlampen, unterschiedliche Holzstühle, Teppiche, ein Tisch mit Weißweingläsern und passendem Tropfen darin, dazwischen aber auch mehrere Instrumente, sogar mehr als Sitzplätze. Oberhalb des Aufbaus hängen über 30 weitere Lampen auf unterschiedlichen Höhen. Arbeit darf sich auch mal wie Chillen anfühlen.
Bevor Angus & Julia Stone uns mit in ihr öffentliches Privatgemach nehmen, gibt es für 30 Minuten Musik des ebenfalls aus Australien stammenden Harrison Storm. Der hat zwar bereits über 120k auf Instagram und fast 2 Millionen Hörer*innen monatlich auf Spotify, scheint aber außerhalb von Down Under noch ein wenig Promo vertragen zu können. Äußerst selten, nahezu nie gibt es den ersten richtig heftigen Gänsehautmoment nicht beim Hauptact, sondern schon im Vorprogramm – und das nach wenigen Sekunden. Harrison spielt Akustikgitarre und setzt in einer so hohen und doch völlig treffsicheren Kopfstimmlage an, dass eine Schockverliebtheit vorprogammiert wurde. Doch darüber hinaus kann der Künstler auch eine Bassliege bedienen, ballert sehr starke Beltingtöne aus der Brust und ist auch noch im Mix zwischen Brust und Kopf on point. Das ist technisch wirklich so brillant, dass die schönen, aber nicht ganz außergewöhnlichen Folk-Pop-Kompositionen fast zur Nebensache werden. Dazu erzählt er persönliche Storys mit ruhiger Stimme und ist ein nicht weniger als perfekter Support. Kompliment.
Um 21:05 Uhr nehmen aber die beiden Geschwister sowie für einen Großteil der Songs drei weitere Instrumentalist*innen auf der Stage Platz, die so gebaut ist, dass alle Fünf zu jeder Zeit gut zu sehen sind. Sobald die vielen Lampen das erste Mal angeschaltet werden, geht ein Raunen durch den Raum, weil es einfach so gemütlich und romantisch aussieht. Als wären draußen eher minus Fünf statt plus 22 Grad. Jeder einzelne Song der 17 Tracks umfassenden Setlist wird mit fantastischen Lichtelementen bespielt, die etwas Meditatives haben. Man schaut zu, hört zu und fährt innerlich auf den bequemen Sitzen herunter. Gute 100 Minuten hält die ausbalancierte Ruhe in einem an.
Angus & Julia Stone starten zu zweit mit ihren Gitarren stehend. Sie spielen “Santa Monica Dream”, einen der Klassiker von “Down The Way”. Dieses, aber auch alle weiteren Lieder sind live so gut reproduzierbar, dass sie oft sehr nah an die Studio Versionen heranreichen, aber ganz ohne Beimischung von vorab aufgenommenen Sequenzen. Das ist pur und nahbar. Ab dem zweiten Song stößt die Band hinzu, die sich aus E-Gitarre, Bass und Drums zusammensetzt, aber alle Drei fungieren auch immer wieder als Backgroundsänger*innen. Die zwei Frauen könnten auch easy ein Programm allein mit Gesang füllen, wie sich in der Zugabe “Harvest Moon”, einem Neil–Young-Cover, zeigt, bei der sie einen Solopart bekommen.
Doch auch das Duo zeigt so viel mehr als nur Gesang und Gitarre. Julia spielt zusätzlich Klavier, Mundharmonika und Trompete, Angus Mundharmonika und zeigt, dass er hervorragend pfeifen kann. Der gesamte Sound ist ab dem ersten Takt so stark, dass man ein Nachpegeln kein einziges Mal deutlich hört. Alles ist harmonisch und voll, die Stimmen immer klar im Vordergrund. Ist der Grat bei Singer/Songwriter immer ein schmaler zwischen “Schön und berührend” und “Eintönig und langweilig”, kippt es an jenem Abend wirklich nie in zweites. Stattdessen variiert man in den Instrumentierungen, gibt sogar einige Male groovige Akzente wie bei “Down To The Sea” oder “Chateau”. Von jedem Album gibt es mindestens einen Song, die meisten aber von dem neuen “Cape Forestier” sowie von “Down The Way” mit jeweils vier Titeln.
Klar erkennbare Highlights gibt es nicht, da die Stimmung das Highlight ist. Die Atmosphäre im Raum, die sich aus Sound, Location, Licht, Musikalität und Kompositionen zusammensetzt. Das vergleichsweise überraschend ältere Publikum – womöglich auch viele Stammbesucher*innen des Hauses – verhält sich durchgängig ruhig, filmt immer nur kurze Abschnitte, fotografiert zurückhaltend und steht nur im Notfall auf. Sehr respektvoll. Trotzdem ist der Applaus nicht verhalten, sondern frenetisch laut. Absolut zurecht. Viele freuen sich über das auch von Julia sehr geliebte “Yellow Brick Road”, andere über die jazzige Version von “Big Jet Plane”. Zu dem neuen “The Wedding Song” gibt es eine süße Geschichte von Angus´ und Julias Mama, die um die 60 ein zweites Mal geheiratet hat und sich eben jenen Song gewünscht hat, der sich aber eigentlich an ein viel jüngeres, befreundetes Paar der Beiden richtet und ihm nach der Hochzeit Babys wünscht. Charmant. Schon immer befand sich auf den Setlists eine überraschende neue Coverversion, die 2024 keine geringere ist als “Flowers” von Miley Cyrus und dem Song eine viel melancholischere, traurigere Note verleiht, ohne den feministischen Ansatz zu verlieren. Ganz groß.
Es ist kein Konzert, bei dem man bestimmte Augenblicke mit nach Hause nimmt und von denen man erzählt. Es ist viel mehr ein Gefühl – und das ist doch auch wesentlich besser, oder? Angus & Julia Stone zaubern in der Philharmonie in der Domstadt wirklich hervorragenden australischen Folk-Pop, der auch nach 18 Jahren gemeinsamer Arbeit keinen Funken Qualität und Wirksamkeit einbüßt. Bitte beim nächsten Mal wieder alles genau so machen. Und “Grizzly Bear” oder “And The Boys” auf die Setlist packen. Aber das ist auch der einzige Wunsch, den wir noch haben.
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Foto von Christopher
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