Sasha: This Is My Time – Die Show, RuhrCongress Bochum, 21.05.2024

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Im September 1997 erschien „Walk On By“. Der Debütsong von einer vermeintlich aufstrebenden Rapperin namens Young Deenay, der bis auf Platz 5 der Charts kletterte. Auch wenn nicht namentlich benannt, singt den hookigen, eingängigen Refrain Sasha. Young Deenay kannte schon im Jahr darauf gefühlt niemand mehr, Sasha jedoch ist auch 2024 einer der beliebtesten Entertainer Deutschlands.

„Walk On By“ sollte nur der erste Hit werden, bei dem Sasha mitwirkte und der Gold einfahren konnte. Mittlerweile umfassen die Verkäufe des Soester Jungen stolze 2,6 Millionen Einheiten, insgesamt 17 Gold- und sechs Platin-Auszeichnungen, acht Top-Ten-Singles, zehn Top-Ten-Alben inklusive einer Nummer 1. Wer alle Stationen des 52-jährigen retrospektiv miterleben möchte – vom Leben im Plattenbau mit Oma und ihrem Schnucker-Schrank bis hin zum Hier und Jetzt – hat mit This Is My Time – Die Show aktuell genau diese Möglichkeit.

In 27 Jahren hat man irgendwann auch alles durch. Zig Tourneen mit und ohne Konzept, Gewinne von TV-Shows wie „Schlag den Star“ und „The Masked Singer“, soziale Engagements. Besonders, wenn der Erfolg in der letzten Dekade eindeutig nachlässt und auch der Stilwechsel hin zur deutschsprachigen Musik nicht so richtig ankommt, wird es Zeit, sich etwas Neues einfallen zu lassen. Ein simples Konzert? Hatten wir doch schon so oft. Eine Show, bei der der Sänger auch andere Qualitäten unter Beweis stellen kann? Das klingt gut! This Is My Time – Die Show feiert im Herbst 2022 Premiere und bekommt schnell einen Zusatztermin nach dem nächsten dazu. Eine große Extrarunde ist für den Winter 2023 geplant, allerdings muss Sasha krankheitsbedingt zehn Gigs um fünf Monate nach hinten schieben, drei werden aus organisatorischen Gründen gar komplett gestrichen. Natürlich schade, aber seit Corona sind wir dahingehend ja alle flexibler als je zuvor.

Der sechste Halt auf dem Roadtrip durchs Land ist Bochum. Der RuhrCongress mit seinen gut 3000 Sitzplätzen ist nicht ganz ausverkauft, aber mindestens 90 Prozent belegt. Sasha ist eindeutig einer dieser wenigen Generationsacts, bei denen von Jung bis Alt alle zusammenkommen, viele gleich Kinder oder gar Enkelkinder mitnehmen. Ohne Vorband geht um 20 Uhr das Licht aus, denn jetzt ist „Showtime“, wie auch der erste Song des Programmes heißt, der extra für die Reihe geschrieben wurde.

Was unterscheidet This Is My Time – Die Show denn nun von einem regulären Sasha-Konzert? Tatsächlich extrem viel. This Is My Time ist eine Mischung aus Revue und Gala, bei der Sasha natürlich auch viel singt, aber eben auch vor dem Publikum redet. Es werden Fotos aus seinem ganzen Leben auf Leinwand projiziert, Anekdoten mit viel Witz erzählt, sich mehrfach umgezogen, Lieblingslieder gecovert und kleine Spielszenen eingefügt. Der Aufwand ist um Längen größer, gibt es schließlich eine siebenköpfige Liveband, zwei Backgroundsängerinnen sowie vier Tänzer*innen. Das erklärt dann auch, warum der Ticketpreis für Plätze ganz vorne dreistellig ist, was einer anderen Kategorie entspricht als normale Gigs des sympathischen Typens, den doch jede*r irgendwie mag.

Doch mehr Angebot bedeutet auch mehr Angriffsfläche. Es gibt sicherlich Leute, die mehrere Dinge gleich gut können. Die können singen, schauspielern und tanzen, jedoch selten alles auf selbem Niveau. Sasha ist ein toller Sänger, und das schon immer. Der ist so lange Profi, dass er stets sehr präsent ist, technisch genau weiß, wie er was zu intonieren und mit welchem Lächeln er die Crowd sofort auf seiner Seite hat. Doch leider gibt es von diesen Anteilen, die echt gut sind, insgesamt zu wenige und zu viel Drumherum, das einfach zeigt, dass Sasha zwar ein guter Entertainer, aber auf gar keinen Fall ein Allrounder ist. Ganz oft steht sich This Is My Time – Die Show einfach selbst im Weg und macht es sich selbst unnötig schwer.

Etwas auszuprobieren, verdient erstmal immer Lob. Wagnisse können nach hinten losgehen, doch wer nicht wagt, der nicht gewinnt. Dass man den Fans etwas ganz Neues bieten möchten, ist erfrischend und toll. Doch je mehr man sich auf unsicherem Terrain bewegt, desto höher ist einfach die Wahrscheinlichkeit, dass es nicht so richtig funktioniert. Das Gute zuerst: Die Band spielt von Beginn an starke Arrangements, die jenen Galacharakter übermitteln, der übermittelt werden soll. Ein großes Element ist eine charakteristische Showtreppe zwischen den Instrumentalist*innen, außerdem viele Lichter, Spots und Schirme sowie eine Leinwand, die jedoch einen klar erkennbaren und sehr auffälligen Fehler hat, die Visuals bricht und kein stimmiges Bild erkennen lässt. Ein Stück auf der rechten Seite fehlt beziehungsweise ist nicht auf richtiger Höhe. Sehr schade. Doch wir wollten ja bei dem Positiven bleiben.

Sasha ist super drauf, kommt mit viel Schwung auf die Bühne, ist nahbar, der typische „Auf dem Boden gebliebene“-Act, wie man ihn auch immer wahrnimmt und singt durchweg solide und gut, wenn auch zu selten komplett fokussiert und mit Emotion, wie er es in den starken gesanglichen Höhepunkten „Du fängst mich ein“ oder „I Feel Lonely“ tut. Dass er sich nicht ganz auf den Gesang konzentrieren braucht, ist klar, weil er eben am routiniertesten ist – gleichzeitig ist aber auch genau das schade, weil er eigentlich sein stärkstes Element ist. Stattdessen möchte Sasha aber eben zeigen, dass er alles kann und redet und redet und redet und redet.

Zu jeder Station im Leben gibt es eine ausführliche Geschichte. Einige davon dauern geschätzt zehn Minuten. Das sind mal ganz witzige Storys, wie der Hype, den er bei Viva mit einem Mini-Cameo auslöst, der eigentlich gar nicht geplant war. Oder auch die hohe Anzahl an Bravo-Covern, auf die er gelandet ist. Hier hört man das Publikum laut und deutlich lachen oder auch mal „Awww“ rufen, weil er so knuffig ausschaut. An anderen Stellen wirken aber viele Witze entschieden zu konstruiert, zu altbacken, zu auswendig gelernt. Zur Unterstützung steht vor ihm ein Teleprompter. Was darauf projiziert wird, ist für das Publikum natürlich nicht sichtbar, aber wahrscheinlich sind es eher keine Songtexte. Trotzdem enden sehr viele seiner Sätze mit „und so“. Moderation ist halt ein eigener Job.

Unangenehm wird es, wenn gleich mehrere Promis parodiert werden. Julio Iglesias oder Howard Carpendale. Ja, das ist für ein paar Sekunden lustig. Einmal. Aber auch hier scheint der „Guckt mal, was der Sasha alles kann“-Aspekt wichtiger zu sein. Besonders in dem ersten Akt der Show hangelt man sich durch unzählige Coverversionen, die ein wenig random ausgewählt erscheinen. Dass das Lieblingssongs von ihm sind, ist schon klar – aber zumindest storytechnisch bringen sie die Show manchmal gar nicht richtig voran. Außerdem sind „The Power of Love“ von Huey Lewis & The News sowie „To Be With You“ von Mr. Big ordentlich tiefer transponiert und nicht in Originaltonart, wobei man sich vorstellen kann, dass Sasha sie eigentlich in Originaltonart könnte.

Im Stil möchte man sich einfach nicht entscheiden. Zu großen Teilen steht Sasha komplett im Fokus, dann gibt es plötzlich bei „Schlüsselkind“ einen Tänzer, der Sasha als Jugendlichen spielt. Dann gibt es eine Tanzszene von vier Leuten, die Hip-Hop tanzen und Sasha selbst steht daneben und guckt zu. Im zweiten Akt wird „Coming Home“ von Sasha selbst nicht mal gesungen, sondern von einem Gitarristen und den beiden Backgroundsängerinnen, die sich übrigens extrem oft während der Show sichtbar unterhalten und ganz oft nicht wissen, wie sie sich gerade bewegen sollen oder wo sie hingucken möchten. Gar nicht gut einstudiert.

Erst nach mehr als einer Stunde kommt endlich Sasha-Konzertfeeling auf, nämlich bei einem als „The Dome“-Hommage angekündigten 90s-Medley. Sofort steht das Publikum auf, filmt, hat Spaß, singt mit. Doch „I’m Still Waitin'“, „If You Believe“, „We Can Leave The World Behind“, „Rooftop“ und „This Is My Time“ werden in einem großen Block in kürzester Zeit abgehandelt, nur den letztgenannten gibt es als Zugabe nochmal komplett. Warum? Wenn das doch eine Sasha-Celebration-Show sein soll, warum gibt es dann die ganzen Hits nur in Snippets, stattdessen aber „Alive“ von Pearl Jam oder „Der Kommissar“ von Falco? Ernste Frage: Welcher Sasha-Fan – und an die richtet sich doch die Show, oder? – möchte das so?

Nach 75 Minuten folgt eine Pause. Eine Pause? Jetzt noch? Ja, denn die zweite Hälfte geht nochmal 85 Minuten. Bis 23 Uhr. Das ist enorm viel Angebot, aber This Is My Time geht wirklich locker eine ganze Stunde zu lang. Der zweite Song-Block, der richtig gut funktioniert, ist die Auferstehung von Dick Brave, der drei Songs schmettert und zeigt, dass Sasha diesen Style wirklich gut mimen konnte. Doch immer, sobald gute Stimmung ist, wird das Ganze durch die nächste viel zu lange Geschichte mit teils Bad-Taste-Humor gedämpft. Zum Beispiel, wenn der Künstler einen thailändischen Fan mit Fake-Akzent nachäfft. Uncool. Auch ein Set bestehend aus den Swing-Classics „I’ve Got You Under My Skin“ und „The Lady Is A Tramp“, die gut gesungen sind, wirkt unangenehm, da Sasha hier erzählt, wie er seine Single-Zeit auf der Reeperbahn verbrachte, „seinen Spaß hat“, wie er es nennt, und dazu dann sehr knapp bekleidete Damen um ihn herumtanzen, was ein paar Mal gar Chauvi-Vibes hat. Zum Finale wird es aber natürlich romantisch und friedvoll, wenn es Bilder von Sashas Hochzeit und seinem Kind gibt, das sein ganzer Stolz ist. Das ist auch schön – aber auch dermaßen offensichtlich, weil es wahrscheinlich jede Mutter und jeder Vater exakt so sagen würde. Statt dem gewünschten Wow-Effekt ist auch das eher nur kitschig und ganz schön plakativ.

Während sich Sasha für den 90s-Medley-Block gen Ende des ersten Aktes umzieht, bei dem Bochum am meisten Spaß zeigt, meldet sich Thomas Hermanns zu Wort. Der hat die Regie für die Show gemacht. Das Publikum soll nun sämtliche Zurückhaltung über Bord werfen und die Teenie-Seite, die in uns schlummert, offenbaren. Gerne. Deswegen sind wir ja auch eigentlich darf, nur gibt es entschieden zu wenige Möglichkeiten dazu. This Is My Time – Die Show hat im Kern eine gute Idee, nur die Umsetzung ist echt so gar nicht gut. Sasha singt auch mit 52 noch toll, wirkt aber durch das Abklappern von einigen guten, aber auch vielen weniger interessanten und entschieden zu breitgetretenen Stationen viel egozentrierter und weniger sympathisch als sonst. Dazu kann man sich nicht entscheiden, ob man Musical, Gala, Revue oder Greatest-Hits-Konzert sein möchte. Man möchte eben alles, und damit ist der Künstler irgendwie überfordert. Vorschlag: Entweder ein reines Konzert mit eigenen Hits sowie Lieblingssongs als Cover und damit dann auch bessere Stimmung oder eine Art biografischer Abend mit Videos aus vergangenen Zeiten, ein paar Bildern und besser ausgearbeiteten Vorträgen. Die Tänzer*innen braucht es für beide Formate nicht. Schade, aber einen Gefallen hat man sich hiermit wirklich nicht getan.

Und so sieht das aus:

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Bild von Christopher

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