Annett Louisan – Kleine Große Liebe

annett louisan kleine große liebe

Mit fast 15 Jahren im deutschsprachigen Musikbusiness zählt Annett Louisan zu den letzten festen Instanzen. Auch wenn sich das Deutsch-Pop-Genre vor Künstlern kaum noch halten kann, nimmt die 1,52m kleine Persönlichkeit aus Havelberg eine Sonderstellung ein. Sowohl stimmlich als auch soundtechnisch stand sie immer für einen sehr individuellen Stil, der zwar viele Hater mit sich bringt, aber genauso viele Befürworter. Nicht umsonst gab es für jedes ihrer sechs Studioalben mindestens Gold.

Seit „Zu viel Information“ im Jahr 2014 ist einiges passiert. Einen so langen Abstand gab es zwischen den Longplayerin im Hause Louisan bisher nie. Aber so ganz fehlte sie ja doch nicht. 2016 folgte zur Überbrückung ein Album mit Coversongs und eine Teilnahme bei „Sing meinen Song“ – und danach ein Baby. Das führte zwar einerseits zur wohl verdienten Pause und Familienruhe, andererseits aber zum Glück auch zu frischen Songideen. „Kleine große Liebe“ probiert die lange Wartezeit bereits quantitativ auszubügeln und bietet gleich zwei CDs mit jeweils zehn Songs. 80 Minuten voller neuer Geschichten und, hört hört, einem fast komplett neuen Klang!

Teil 1 mit dem Titel „Kleine Liebe“ zeigt zunächst eine recht überschaubare Weiterentwicklung und überzeugt eher mit Reife. Dank ihrem jahrelangen Wegbereiter Frank Ramond (schrieb diverse Hits für Ina Müller, Roger Cicero oder Barbara Schöneberger) besitzen die Songs abermals den gewissen Charme und Wortwitz, der Annetts Musik ausmacht. Musikalisch wird sich größtenteils auf echte Instrumente reduziert, sodass das französische Chanson klar den kommerziellen Pop überwiegt. Mit „Kleine große Liebe“ als Opener gelingt auf Anhieb ein böser Ohrwurm mit markantem Klaviersounds und Beat zum Mitschnipsen. „Wir sind verwandt“ wirkt gesanglich abgeklärt und wenig aufgeregt – dafür beweist der Text geschickte Beobachtungen bei Familienfesten, die vielen bekannt vorkommen dürften, verpackt als Walzer. Natürlich wird sich textlich mehrmalig mit dem Nachwuchs beschäftigt. So erzählt die Rumba „Ein besserer Mensch“ davon, was sich alles vorgenommen wird, um der Mutterrolle gerecht zu werden, auch wenn diese noch ansteht und man das Kind im Bauch trägt. „Die schönsten Wege sind aus Holz“ trifft dank reduziertem Arrangement einen Nerv und sollte jedem, der von seinen Alltagswehwehchen belastet wird, ein Lächeln zaubern. Lediglich „Saboteur“ zerstört mit seiner etwas einfach gehaltenen Hook und dem zappeligen Bläserset kurzzeitig die Atmosphäre. Insgesamt eignet sich „Kleine Liebe“ sowohl als eine Art Hörbuch auf der Couch, das einen nach vielen stressigen Stunden etwas entschleunigt, als auch als Dinnermusik mit Rotweinglas in der Hand.

Platte Nr. 1 geht ganz klar an Annett-Fans, die mit ihr über die 15 Jahre gereift sind, pfeift auf Kommerz und ist eher ein musikalischer Ruhepol. Die letzten 10 Tracks, die sich hingegen auf „Große Liebe“ versammeln, stellen schon bei den Credits eine Überraschung dar: Daniel Faust, Peter Plate und Ulf Leo Sommer. Das Erfolgsteam hinter Rosenstolz oder Sarah Connor verpasst der 42-jährigen einen komplett neuen Anstrich. Der ist zwar immer noch so im Rahmen, dass Fans nicht anfangen brauchen zu protestieren, aber dennoch in der Art bisher nicht dagewesen und äußerst erfrischend. Poppig, elektronisch und unglaublich 80s. Annett mit Vocoder? Funktioniert! Anders, retro, catchy. Absolute Positivbeispiele sind die grandiose Vorabsingle „Belmondo“, die seit einigen Wochen rotiert und nach sommerlichem Urlaub in der Provence klingt. Verkannter Aufbau, dekoriert mit Sprechparts, einer verträumten Annett und dem unliebsamen Gefühl, dass zu viel Routine in die Beziehung gekehrt ist. Vielleicht DAS Highlight schlechthin ist der New Wave-Stampfer „Haie“. Ganz, ganz groß! „Traumpaar aus der Gosse“ erzeugt dank Saxophon-Solo und Synthesizer-Sounds ebenso eine bravouröse Gratwanderung zwischen dem Damals und dem Heute. „Meine Kleine“ stellt textlich eine besonders persönliche Situation dar. Annett singt aus der Sicht ihrer Mutter ein Lied an ihre Tochter und somit ihr eigenes kindliches Ich, was berührt. Schade, dass jedoch zum Ende raus dann doch etwas auf Nummer sicher gegangen wird und bei „Straße der Millionäre“ und „Traum“ ein wenig Monotonie einkehrt.

Mit dem Konzept zu „Kleine große Liebe“ kehrt Annett Louisan zurück und klettert erneut auf den Thron der anspruchsvollen, erwachsenen und unverkennbaren deutschen Singer/Songwriter-Musik. Sie bedient Erwartungen, liefert mit 20 Songs in der Menge überdurchschnittlich viel Material und überrascht positiv mit frischen Sounds. Letztendlich wäre wie so oft auch hier die beste Idee gewesen, bei einem 15 Tracks umfassenden Album zu bleiben, um die Qualität noch besser zu essenzieren, aber auch so bleibt unterm Strich eine echt gute Platte, was bei einer derartigen Anzahl an Liedern selten passiert.

Hier kannst du das Album kaufen.*

Und so hört sich das an:

Website / Facebook / Instagram / Twitter

Die Rechte fürs Cover liegen bei SONY.

* Affiliate-Link: Du unterstützt minutenmusik über deinen Einkauf. Der Artikel wird für dich dadurch nicht teurer.