Birdy – Young Heart [Doppel-Review]

Genau eine Dekade nach ihrem self-titled Debüt veröffentlicht die mittlerweile 24-jährige Birdy nach fünf Jahren kreativer Pause nun ihre vierte LP. Alina und Christopher haben sich „Young Heart“ etwas genauer angehört.

Das meint Alina:

Zehn Jahre ist es her, dass Jasmine van den Bogaerde alias Birdy mit dem Cover des Bon Iver-Songs „Skinny Love“ internationale Bekanntheit erlangte. Und das mit gerade einmal vierzehn Jahren. Ihr 2011 veröffentlichtes Debütalbum „Birdy“, das nur aus Indie-Coversongs bestand, knüpfte nahtlos an diesen Erfolg an. Nachdem Birdy 2016 ihr drittes Studioalbum „Beautiful Lies“ veröffentlichte, wurde es ruhig um die Sängerin. Nun, knapp fünf Jahre später, ist Birdy mit neuer Musik zurück.

Schon im November des letzten Jahres gab Birdy mit ihrer EP „Piano Sketches“ einen kleinen Vorgeschmack auf das, was nach ihrer Pause folgen wird. Young Heart heißt nun ihr viertes Studioalbum und blüht nur so vor Melancholie und Nostalgie. Auf sechzehn Songs präsentiert sich die Sängerin deutlich persönlicher als zuvor, gibt tiefe Einblicke in ihre Gedankenwelt und überzeugt abermals mit ihrem unfassbaren Talent.

Bereits der Opener „The Witching Hour“ ist der perfekte Vorgeschmack für die restlichen Songs des Albums. Sanfte Klavierklänge, wunderbar melodisch und harmonisch. Ein Sound, der sofort unter die Haut geht. Und auch wenn Young Heart sich deutlich erwachsener präsentiert, gibt es nach wie vor den gewissen Hauch an Theatralik, der in keinem Birdy -Song fehlen darf. Birdy kreiert auf dem Album noch intimere Songs, die deutlich reduzierter sind, aber eine große Wirkung entfalten.

Im Fokus des Ganzen steht ihre großartige Stimme, die malerisch von den Melodien und den Klavierklängen untermalt wird. Vor allem bei Songs, wie „Nobody Knows Me Like You Do” brilliert ihre Stimme enorm. Sie haucht den Wörtern Leben ein, gibt ihnen Emotionen und unheimlich viel Bedeutung. Thematisch verarbeitet Birdy auf Young Heart eine Trennung. Lyrisch stellt sie dabei sehr schön die innere Zerrissenheit ihrer Gefühle dar. Gerade die Symbiose aus Traurigkeit und gleichzeitig aber auch Hoffnung gibt den Liedern einen besonderen Touch. Die Melancholie ist dabei immer wieder herauszuhören. Und auch die Folk-Klänge, die in Birdys Songs auftauchen, geben dem Ganzen eine ganz besondere Stimmungslage. Nicht zu düster, gleichzeitig etwas träumerisch.

Damit die Tracks auf Young Heart sich allerdings richtig entfalten können, müssen diese mehrmals und vor allem mit viel Zeit gehört werden. Gerade an diesem Punkt eckt die Länge des Albums an. Es sind zu viele Songs, die teilweise ebenfalls viel zu lang sind. Lieder, wie „Loneliness“ stechen aus der Masse heraus, erzählen ihre Geschichte und bleiben im Hinterkopf. Andere Titel, wie beispielsweise „River Song“ dümpeln dahingegen so vor sich hin, sind zu ruhig und versinken in der Masse. Die geballte Power an Emotionen und Talent bündelt Birdy dann noch einmal im letzten Song, der ebenso wie das Album mit „Young Heart“ betitelt ist, aber mit knapp sechs Minuten viel zu lang ist.

Es gibt keinen Song auf „Young Heart“, den man wirklich als schlecht oder nicht gut bezeichnen könnte. Birdy ist eine unheimlich gute Songwriterin, die in den Texten des Albums ihre ganz persönlichen Erfahrungen verarbeitet. Wahrscheinlich persönlicher denn je. Ihre Songs machen gerade die Nostalgie sowie das Getragene aus. Und auch die sanften Klavierklänge gehören zu einem Birdy -Song dazu. Dennoch ist Young Heart mit sechzehn Songs viel zu lang. Viele Songs klingen zu ähnlich, wodurch sie schlicht und einfach untergehen.

Und das sagt Christopher:

Das war 2011 schon ein kleines Phänomen, oder? Die einen hassten es, weil ihr „Skinny Love“ so verhunzt wurde – die meisten aber waren von der Fragilität und Eindringlichkeit der gerade einmal 14-jährigen Birdy beeindruckt, die aus dem eh schon melancholischen Stück eine der besten Pianoballaden des Jahrzehnts herausgeholt hat. Sie spielte es selbst und sang mit so einer Emotion, als ob sie schon vier verflossene Lieben hinter sich hätte.

Und wer davon angetan war, sollte mit dem selbst-betitelten Debütalbum „Birdy“ wohl völlig Feuer und Flamme geworden sein. Denn tatsächlich schaffte die Britin mit der niederländisch-belgischen Abstammung auf gesamter LP-Länge zu überzeugen und machte aus teils sehr erfolgreichen, teils weniger erfolgreichen Indie-Hits ein absolut perfektes Coveralbum für Dream-Pop-Fanatiker*innen. Das stach im Singer/Songwriter-Genre äußerst positiv hervor – war aber natürlich auch nur halb auf ihrem Mist gewachsen. Doch wie heißt es so schön? Besser gut gezockt, als schlecht selber gemacht!

Umso schwerer war es, dieser hochgelegten Messlatte überhaupt irgendwie nahe zukommen – und siehe da, hat auch nicht funktioniert. Zwar lieferten sowohl „Fire Within“ (2013) als auch „Beautiful Lies“ (2016), die ausschließlich aus selbstgeschrieben oder zumindest mitgeschriebenen Songs bestanden, je eine Hand voll gutes Material und in den besten Augenblicken sogar Gänsehautmomente, aber eben wesentlich geringfügiger als bei dem Original, wo einfach alles saß.

Doch kreative Pausen, Erlebnisse und generell das Älterwerden sollen bekanntlich helfen, um in die alte Spur zurückzufinden. Birdy hat sich gleich fünf Jahre gegönnt und kehrt nun mit Young Heart, ihrem vierten Longplayer, zurück. Der hat Licht und Schatten zu bieten. Denn im Vergleich zu den beiden Vorgängern hat Birdy einige Songs in petto, die wirklich an ihre Debützeit erinnern und auf Melodieebene komplett abliefern – allerdings geht dem Ganzen doch nach hinten die Luft aus.

Besonders das erste Drittel ist einfach ein Einstieg, wie er zu sein hat. Mit „Voyager“, „Loneliness“ und dem atmosphärisch sensationell schönen „The Otherside“ startet Album Nr. 4 so, als ob wieder 2011 wäre. Stimmlich hat Birdy sich zwar auf technischer Ebene weiterentwickelt, klingt aber von der Farbe her genauso engelsgleich wie eh und je. Das hüllt ein und erleuchtet einen von Innen mit Wärme.

Doch spätestens in der Mitte fällt auf: irgendwie fehlt Young Heart ein wenig die Energie, der Ausbruch, das Andersartige. Dass Birdy auch mal laut und kräftig und gleichzeitig gut kann, bewies sie bei „Light Me Up“ und noch mehr bei „Keeping Your Head Up“, die beide die Kombination aus Druck, Ohrwurm und sogar mitreißendem Beat schafften. Warum gibt es von diesen Abwechslungen im Jahre 2021 exakt null?

Denn das ist eigentlich das einzige Problem der Platte: 16 Tracks mit einer Länge von 58 Minuten zeugen zwar von einem großen Willen und brechen aus dem Trend, immer kürzere Songs zu machen, selbstbewusst aus, was ein großes Plus ist – nur 58 Minuten, die sich ausnahmslos zurückhalten, sind in der Quantität einige Minuten zu viel. Was wäre eine Liebesbeziehung, von der die Protagonistin immerhin sehr oft in ihren Liedern berichtet, ohne Sturm und Drang? Ja, manchmal muss es knallen und zischen. Gleiches gilt für das Album, das einfach einen Stil sehr konsequent durchzieht. Etwas zu konsequent.

Somit lohnt es sich die richtigen Perlen – und das sind immerhin bestimmt sieben oder acht – herauszupicken und zu genießen. Auf „Nobody Knows Me Like You Do“ liefert Birdy großes Storytelling, stirbt auf „Second Hand News“ 1000 Tode der schönsten Art und serviert mit „Deepest Lonely“ eine starke, leicht schaurige Hook. Anderes bleibt dafür auch nach mehrmaligem Anspielen nicht haften („River Song“, „Lighthouse“, „New Moon“) und erweckt beim Durchhören den „Lief das nicht gerade schon“-Gedanken.

Final können sich aber Dream-Pop, Indie-Pop und Singer/Songwriter-Fans auf ein Wiedersehen mit der sympathischen und sehr talentierten Engländerin freuen, die weiterhin überdurchschnittliche Songs abliefert, die bei einem Picknick mit dem*der Liebsten an der Seite, zwitschernden Vögeln und warmen Sonnenstrahlen angemacht werden können und das Herzchen kuscheln.

Das Album kannst du hier (Vinyl) oder hier (Digital) kaufen.*

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