Nicht selten fallen Bandmitglieder*innen, die sich irgendwann dazu entscheiden, Solopfade zu betreten, gehörig auf die Nase. Der ständige Vergleich zu den früheren Erfolgen ist zermürbend, die Erwartungen utopisch hoch. Zwar gibt es mit Robbie Williams und Justin Timberlake durchaus Positivbeispiele, aber die negative Liste wäre durchaus länger. Da ist es doch wesentlich angenehmer, wenn man lediglich zu zweit ist, statt mit gutaussehenden Konkurrent*innen Musik mit seinem Bruder macht, und der auch immer wieder allein was fabriziert. Julia Stone kann sich also glücklich schätzen.
Mit gerade einmal 23 Jahren ging es für die Australierin und ihren Bruder Angus, der zwei Jahre und zwei Wochen jünger ist als sie, steil bergauf. Das Debütalbum „A Book Like This“ blieb hierzulande zwar unbeachtet, enterte in Down Under aber auf Anhieb die Top 10. Spätestens mit dem Nachfolger „Down The Way“ war es aber um alle geschehen. 73 Wochen lang hielt sich der Longplayer in den australischen Charts, ergatterte dreifach Platin und brachte den Hit „Big Jet Plane“ hervor. Bei uns war es wahrscheinlich die Coverversion „You’re The One That I Want“, die die erste, wohl verdiente Aufmerksamkeit erhielt, sodass Singer/Songwriter-Hörer*innen den Geschwistern ihr Herz schenkten und sämtliche Gigs in Deutschland ausverkauft waren. Dem verträumten, emotionalen, poetischen Sound mit den hippieartigen Protagonist*innen kann man sich aber auch wirklich nur schwer entziehen.
Momentan ist aber im Hause Stone etwas Ruhe eingekehrt. Das letzte gemeinsame Werk „Snow“ liegt fast vier Jahre zurück, Angus hat hingegen vor fast zwei erst seinen neusten Ableger unter dem Pseudonym Dope Lemon veröffentlicht. Julia scheint die kreative Lust auch wieder gepackt zu haben, bringt sie nämlich nach einer Abstinenz von gleich neun Jahren ihr erst drittes Soloalbum auf den Markt. Gut, dazwischen war viel mit dem Bruder zu tun, aber wer lieber die unverkennbare Stimme der mittlerweile 37-jährigen pur genießen mag, musste doch eine Zeit warten. Sixty Summers ist allein schon bei der Covergestaltung ziemlich verspielt und artsy. Julia Stone macht eigentlich auf der Platte alles falsch, was möglich ist – zumindest, wenn man zu stark an den Songs von ihr und ihrem Bruder festhält.
Schafft man es nämlich sich zu lösen und den leicht kreativ-abgefahrenen Klang zuzulassen, hält Sixty Summers ein paar hübsche Titel parat. Julia switcht fast schon unverfroren zwischen sämtlichen Pop-Genres hin und her und lässt sich absolut nicht festlegen. Schon der Opener „Break“ kreuzt Dance-Beats mit leichten Hip-Hop-Klängen, Drumsets, Bläsereinsätzen und der fragilen Gesangsperformance der Künstlerin. Ein eigenwilliger Einstieg! Warum nicht? Genau diese unerwarteten Momente machen die Stärke des 43-minütigen und 14 Tracks umfassenden Albums aus.
Der Titeltrack groovt erneut mit Bläsern und leicht windigen Frühlingsgefühlen, in „Dance“ schauen dann doch Angus & Julia Stone-Stile vorbei – das hätte auch auf dem letzten Album „Snow“ gut gefallen. „Free“ hat einen stampfenden Beat mit Ohrwurmrefrain für eine Cabriofahrt durch eine laue Sternennacht, „Who“ hört sich sogar nach 90s-Clublounge an. Bei „Fire In Me“ wirkt die Sängerin fast wie Joan Jett und hat den lasziven Sexappeal gepachtet. „Queen“ ist wiederum soulig und bluesig.
Ja, das kommt unerwartet und stößt vielleicht zunächst ein wenig an. Praktischerweise bleiben viele Melodien nach drei Durchläufen hängen, was dem Ganzen einen ordentlichen Pluspunkt einbringt. Julia Stone drängt sich nicht auf und liefert auch nicht den neuen trendigen Platz-1-Hit, aber macht einfach facettenreichen Indie-Alternative-Pop, der sich nur in Maßen statt in Massen mit dem Zeug vergleichen lässt, was sie ansonsten mit ihrem Brudi zaubert – gut so. Wer bis zum Finale wartet, bekommt dann aber doch den Lagerfeuer-Song, den wir trotzdem alle wollen („I Am No One“). Eine sehr solide Platte mit Summervibes, die die Waage hält zwischen Eingängigkeit und Songwriter-Anspruch. Gelungen.
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