Seit kurzer Zeit ist es offiziell: Die Festivalsaison wird dieses Jahr nicht stattfinden. Ein Umstand, für den sich Dance Gavin Dance beim Schreiben ihres neunten (!) Studioalbums bestens vorbereitet haben. Beim Hören von “Afterburner” streift das innere Auge durch die großen Festivals, marschiert ohne Pause von Bühne zu Bühne, von Act zu Act. Was das Quintett hier nämlich erneut an Querverweisen in ihren experimentierfreudigen Genre-Kessel reingeworfen hat, sorgt erneut Song für Song für offene Münder – versprochen. Das schicke Artwork stammt zwar ganz konsequent von Mattias Adolfsson, aber von plumper Selbstrepitition ist “Afterburner” glücklicherweise meilenweit entfernt. Was nicht bedeuten soll, dass Dance Gavin Dance ihren unverkennbaren Sound völlig vergessen haben.
Roter Faden trotz unzähliger Hindernisse
Den größten Glücksgriff haben Dance Gavin Dance schon 2012 gemacht, als sie Tilian Pearson als Ersatz für den oftmals problematischen Johnny Craig fanden. Denn auch wenn die Band bis heute eine sehr innige Verbindung zu den ehemaligen Sängern Craig und Kurt Travis aufrecht erhält, kommen nur wenige Metal-Vokalisten an die Grandezza von Pearson an. Den oftmals in unwirklich hohen Kopfstimmen-Regionen abhebenden Gesang muss man natürlich mögen, ungefragt kämpft sich Pearson aber Album für Album zu neuen Glanztaten. Das Zusammenspiel aus diesen spektakulären Vocals und den vergleichsweise generischen Screams von Jon Mess und den progressiven, niemals einfältigen Instrumentalparts von Will Swan, Tim Feerick und Matt Mingus bilden seit einigen Jahren das unverkennbare Rückgrat von Dance Gavin Dance. Von dem kriegt man schon in den ersten Sekunden von allen Seiten etwas um die Ohren geworfen: “Prisoner” steigt mit wahnwitzig schnellen Mathrock-Gitarren ein, bevor der breitflächige Refrain in hymnische Sphären gleitet, die schließlich von modulierten Jazz-Gitarren gestört werden. Am Ende gibt’s dann noch einen deftigen Hardcore-Breakdown. Damit offenbart schon der Opener mehr Einfallsreichtum als manche Genre-Kolleg*innen in ihrer ganzen Karriere. Eine Experimentierfreude, die natürlich auch große Gefahren birgt. Mit nahezu magischer Selbstverständlichkeit verlieren die Kalifornier aber nie die Melodie aus den Augen und biegen selbst nach den abstrusesten Abwegen wieder Augen zwinkernd zurück auf den ursprünglichen Weg. Spaß macht das vor allem dank der endlos scheinenden Möglichkeiten.
Welches Genre macht ihr eigentlich? Ja!
Entscheiden wollten sich die fünf scheinbar nicht, weswegen es sogar noch wuseliger zugeht als auf den ohnehin schon abgefahrenen Vorgängeralben. Die Reise durch das Festival-Line-up geht also los: Zunächst locken Marschtrommeln und schwingende Rhythmen in “Calentamiento Global” zur Latin-Party, der unbekümmerte Pop-Entwurf von “Three Wishes” gehört auf die Mainstage, während auf einer der Untergrund-Bühnen “One In A Million” von lässigem Funk-Sound zur großen Freude der Technik-Enthusiasten zum großen Finale kippt, das auch die Architects nicht anders geschrieben hätten. Alle Hip-Hop-Kids stürmen derweil direkt weiter. In “Parody Catharsis” wagt sich Pearson nämlich an lässigen Sprechgesang à la “I’m my own Boss” vor elektronischen Samplern, eine Haltung, die auch “Born To Fail” mit einer sarkastischen Verbeugung vor der Disskultur des Hip-Hops weiterträgt. Kaum wippt man da lässig mit den Händen mit, rastet “Say Hi” noch einmal richtig aus: die Instrumentenfraktion knüppelt mit kompromisslosen Polyrhythmen drauf los, während sich Mess mit verzweifelt-wütenden Shouts in den Vordergrund kreischt. Zeit zum Luftholen ist hier kaum, auch beim anschließenden “Nothing Shameful” gibt’s noch mal richtig einen auf die Zwölf. Einzig der melancholische Feature-Gesangspart von Eidola-Frontmann Andrew Wells sorgt für den kleinen Scene-Anstrich. Zum großen Abschluss liegen sich dann Fans von Linkin Park und Yungblud vor der Bühne des Closers “Into The Sunset” in den Armen, bevor es wieder ins kleine Zelt geht.
Etwas öde scheint der anstehende Sommer in der Realität ja schon zu werden, so ganz ohne Kulturprogramme jeglicher Art. Erfrischend also, dass Dance Gavin Dance sogar auf ihrem neunten Album noch so viel zu bieten haben, dass das Festivalgefühl zumindest auf der heimischen Soundanlage authentisch funktionieren sollte. Experiment erneut gelungen!
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