Dem Vorwurf ein Industry-Plant, also ein künstliches von der Musikindustrie erarbeitetes und zum Erfolg gepushtes Projekt zu sein, mussten sich The Last Dinner Party gleich zu Beginn ihrer Karriere vielfach stellen. Futter dafür gab es genug. Etwa einen Slot auf einem (quasi) Tagesfestival 2022 in London, bei dem die damals noch ohne einen einzigen Release dastehende Band vor dem Rolling Stones spielte. Prominente Spielzeiten auf anderen großen Festivals. Tour-Support bei Florence + The Machine und Hozier. Und natürlich das große Major im Rücken, die Universal Music Group. 2024 nun könnte das Jahr für The Last Dinner Party werden. In wenigen Tagen erscheint jedenfalls das erste Album der Wahl-Londonerinnen. Anlass genug, um den Industry-Plant-Vorwurf ein für alle mal auszuräumen.
Kein Milli Vanilli
Bevor es um “Prelude To Ecstasy”, das Album, gehen soll, also zunächst einmal die Faktenlage. The Last Dinner Party haben früh bei Universal unterschrieben. Ob Glück oder Kontakte – oder gar beides – dabei eine Rolle spielten, lässt sich nicht abschließend beurteilen. Fest steht, dass Georgia, Lizzie, Abigail, Aurora und Emily zwischen November 2021 und Sommer 2022 keine Auftrittsmöglichkeit und somit kaum einen Pub oder Club Londons aussparten und sich so bereits ein gewisses Momentum erspielten. Auf Mitschnitten beobachtete man eine Gruppe junger Frauen mit massiven Potential, die ein bisschen schüchtern noch selbst Moshpits anleiten. Auch die meisten Songs stehen da bereits. Ohne Talent also wär’ der Vertrag mit dem großen Major gar nicht erst zustande gekommen. The Last Dinner Party sind eben nicht Milli Vanilli.
Nicht abstreiten lässt sich, dass sich The Last Dinner Party in den vergangenen 24 Monaten viele Türen geöffnet haben – wohl auch dank ihres mächtigen Partners Universal, aber auch ihres Managements QPrime (Muse, Metallica, Foals). Natürlich haben Unternehmen mit derartigen Ressourcen ein Interesse daran, dass ihre Künstler*innen Widerhall finden. Sie werden dementsprechend all ihre Hebel nutzen. Von großen Marketing- und PR-Budgets über etablierte Kontakte zu Medien und Booking-Agenturen hin zu langjähriger Erfahrung in der Branche. The Last Dinner Party werden davon profitiert haben – das anzuprangern ist jedoch scheinheilig. Die Vorwürfe gegenüber The Last Dinner Party hallen vor allem deshalb so laut durch Redaktionen und Kommentarspalten, weil die Band eben aus fünf Frauen und nicht aus männlich gelesenen Personen besteht. Vor ihnen jedenfalls haben genug Männer von den Major-Ungleichgewichten profitiert, wurden (teils öffentlich in TV-Shows) hochgecastet. Angeprangert wurden diese dafür nie. The Last Dinner Party sind außerdem nachweislich eine runde Sache: Die Songs stimmen, die Ästhetik ebenso und nun gibt es dazu eben ein gelungenes Debüt. Wir kommen zu “Prelude To Ecstasy”.
Ein Tanzball
Wir schließen die Augen. Öffnen sie wieder. Befinden uns auf einem mittelalterlichen Tanzball. Rüschen, Perücken, ein festlicher Saal. Noch ist die Stimmung verhalten. Ein Orchester setzt zum Spiel an. Barocker Streicherpomp. Dann übernimmt die Musikgruppe. Der erste Tanz, behutsamer Einstieg, Engelschöre, kurz ein Schatten über allem. Dann der Befreiungsschlag: Der Chorus. Kleidung schwingt durch die Luft, Menschenkörper drehen Pirouetten. So fährt es fort. Tanz für Tanz. Mal schwingen Beine ekstatischer, mal schunkeln Hüften lieblich im Takt.
Zur Mitte mehr Raum für Liebliches. Etwa eine Klavierode. Dazu eine Querflöte. Dann ein Klampfen-begleiteter Himmelsgesang in fremder Sprache. Anschließend erneut dynamischerer Tanz, Hüften im ewigen Pingpong zwischen rechts und links. Einlullende Melodie, eindringlich gespielt. Das Haar schwingt. Frühmittelalterliches Headbangen. Dann kurz vor Ende des Abends der Höhepunkt. Eine jede hat die Musiknoten jenes Stückes neben dem Familienklavier drapiert. Ein jedes Orchester muss ihn performen. Der große Hit der Ballnacht. Allen bekannt. Tanzende im Rausch. Abschließend ein letzter Rausschmeißer. Das Orchester dann begleitet die gut unterhaltende Menschenmasse aus dem Ballsaal. Dazu einige Piano-Akkorde.
Ein für alle Mal begraben
Es ist ein bisschen aberwitzig, aber “Prelude To Ecstasy” folgt ebenjener Dramaturgie. Sind The Last Dinner Party im vergangenen Jahr quasi aus dem Stand in Richtung Indie-Hype gesprungen, so schleicht sich das Debüt der Musikerinnen gemächlich an, bloß um zum Schluss zur großen Geste auszuholen. Die beschriebenen Szenen passen außerdem zu der Band, weil sie nicht nur häufiger in barocker Kleidung auftritt, sondern ihr Indie-Entwurf trotz modernem Umschlag etwas sehr erdendes und natürliches hat. Unterstrichen auch von dem Instrumentarium, das weit über die typische Bandbesetzung hinausreicht. Mühelos tänzeln die Songs zudem zwischen schwerfällig und leichtfüßig, changieren zwischen beiden Extremen in Sekundenbruchteilen.
An “Prelude To Ecstasy” gibt es schlussendlich nichts auszusetzen. Der Beweis liegt also vor: Es handelt sich bei The Last Dinner Party um viel mehr als einen kurzen Indie-Hype. Und auch die künstlich herbeigeredeten Industry-Plant Vorwürfen sollten nun ein für alle Mal begraben sein. Hoffentlich.
Mehr zu der Band gibt es hier.
Und so hört sich das an:
The Last Dinner Party live 2024:
16.02. – Berlin, Gretchen (ausverkauft)
17.02. – Köln, Luxor (ausverkauft)
22.06. – Hurricane Festival
23.06. – Southside Festival
Die Rechte für das Cover liegen bei Island Records.
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