So langsam kehrt das Singer-Songwriter-Genre wieder dahin zurück, wo es herkam, oder? Und zwar ein wenig in den Indie-Bereich. Eigentlich gab es bereits über Jahre Sänger*innen mit tollen Kompositionen auf Gitarre und Klavier. Bis das Ganze aber dann chartsfähig wurde, dauerte es eine Weile. Dafür war das vergangene Jahrzehnt am Ende überfüllt damit. James Bay kam womöglich ein wenig zu spät und hat nur noch ein kleines Stück der großen Torte bekommen.
Es war aber auch einfach entschieden zu viel. Ed Sheeran, Tom Odell, Milow, James Blunt. Irgendwann stampften sie nur so aus dem Boden und überschatteten das Lokalradio mit doch etwas ähnlich klingenden Songs und teilweise sogar ähnlichen Stimmen. James Bay hatte zwar stets eine rockigere Nuance, ballerte aber dann erst richtig los, als man des Stils schon ein wenig überdrüssig war. Dabei legten besonders das Debütwerk “Chaos and the Calm” (2015) und diverse vorab erschienene EPs eine unglaubliche Hitdichte hin. Sowohl “Hold Back The River” als auch “Let It Go” wurden nicht nur in Bays Heimatland UK zu zwei der größten Hits des Jahres, sondern internationale Verkaufstitel. Beide Singles holten in Deutschland Gold, in den USA schaffte “Let It Go” – nein, nicht das aus dem Disney-Film – sogar fünfmal Platin.
Doch dann war der große Wurf schon getan. 2018 folgte mit “Electric Light” ein gar nicht so schlechtes, aber vor allen Dingen ziemlich überraschendes Album. Der Name deutet es an – hier gab es eben nicht nur eine akustische Bandinstrumentierung, sondern Elektronik. Mehr Beat, mehr Wums, mehr Autotune, mehr Experiment. Eine eindeutige Weiterentwicklung und insbesondere ein ziemliches Wagnis. Das sieht man selten so bei Album Nr. 2. Kann man machen, klappt halt leider nur oft nicht. Und so musste der Imagewandel und die Platte trotz einiger guter Titel ein wenig gegen die Wand fahren.
Aber eigentlich muss James Bay ja auch gar nicht unbedingt nur das tun, was man möchte. Der Herr mit den langen Haaren und dem Hut – zumindest hat man ihn so optisch doch meist in Erinnerung – ist eindeutig mehr Musiker als Entertainer oder gar Influencer. Trends können die Anderen, James hat stattdessen vier Jahre ins Land ziehen lassen, ein Kind mit seiner Partnerin bekommen und sich für einen Schritt zurück entschieden. Wer bei “Electric Light” auf der Strecke blieb, sollte ihn nun wieder auf dem Schirm haben, denn die neue LP Leap klingt in großen Teilen wieder sehr nach den Zeiten des Durchbruchs – nur poppiger.
Schon bei der Leadsingle “Give Me A Reason” kann eindeutig hörbar erkannt werden, dass der mitreißende Singer-Songwriter-Pop-Rock das ist, was James Bay 2022 liefern mag. Tolle Hook, die beim ersten Durchlauf ins Ohr geht mit eben jener rauchigen Rock-Stimme glänzt, die einfach saugut klingt. Zwölf Tracks lang legt der 31-jährige diesen Stil auch nicht ab. Das ist natürlich wesentlich radiotauglicher und somit weniger herausfordernd als “Electric Light”, aber eben auch zielsicherer, kohärenter und runder.
Denn neben dem bereits veröffentlichten Song warten noch einige Tracks darauf, an lauen Sommernächten entdeckt zu werden. Leap trägt viel Liebe und Zweisamkeit in sich und beschäftigt sich thematisch gleich mehrfach damit. Die ebenfalls gerade erst erschienene zweite Single “One Life” ist der schönste Wedding-Song seit Ed Sheerans “Perfect”, nur nicht so dick aufgetragen. Zwischenzeitlich traut sich der Herr aus Hertfordshire sogar so poppig zu werden, dass es fast wie ein Lied einer 90s-Boyband klingt (“Love Don’t Hate Me”, “Right Now”). Auf der anderen Seite stehen richtig große Pop-Hymnen wie das fantastische “Nowhere Left To Go”, das Snow Petrol nicht besser hinkriegen könnten.
Wer mit seiner Gitarre auf dem Cover auftritt, hat natürlich auch Gitarre zu liefern. “Save Your Love” und “Silent Love” bieten wunderbare Symbiosen aus Gesang und Akustikbegleitung, “Endless Summer Nights” bittersüße Stadionmomente. Am Ende hätte aber ein Hauch von James Bays mutigem Ausbruch aus 2018 noch mitschwingen dürfen, bedient Leap zwar absolut die Erwartungen und hat auch gleich mehrere starke Tracks im Gepäck, fehlt es am Ende dennoch ein wenig an Abwechslung. Nicht viel, aber zwei Songs hätten ruhig mal ausbrechen dürfen, um eben nicht zu gefällig zu klingen.
Trotzdem liefert einer der stärksten Singer-Songwriter des vergangenen Jahrzehnts einen Longplayer, der Fans des Genres zufriedenstellen wird, da es auch mal lauter, chöriger, halliger, atmosphärischer und dadurch klangvoller wird. Solide und schön, ohne zu enttäuschen.
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