Eigentlich liegt die Verbindung von Poetry Slam und Musik ja auf der Hand. Die lyrischen Glanztaten einiger Rapper*innen oder Singer/Songwriter*innen würden sicherlich auch ganz ohne musikalische Untermalung eine gute Figur machen, genau so wie einige der erfolgreichsten Poetry Slammer*innen Deutschlands auch gerne mal die Gitarre oder ein paar Beats hinzufügen. Grenzgänger-Veranstaltungen wie Jazz- oder Song-Slams tun dann ihr übriges: Interdisziplinäre Kunst ergibt eben Sinn und ermöglicht es der kunstschaffende Person im Idealfall, vielschichtige Facetten der eigenen Kreativität zu verbildlichen. Doch so ganz glücklich verlief das Experiment von Poetry Slammer goes Musiker*in bisher ja eher nicht: Abgesehen von Julia Engelmanns seichtem Befindlichkeitspop konnte noch kein*e andere*r Vertreter*in des doch sehr beliebten Kunstzweigs wirklich Fuß im Musik-Business fassen. Das könnte und sollte sich jetzt aber ändern.
Feinfühlige Dichotomien im DIY-Gewand
Sollten sich Menschen diesem Album nähern, die bisher noch keinen Live-Auftritt des prämierten und gerade in NRW sehr bekannten Poetry Slammers Jason Bartsch erlebt haben, werden sie vom Opener “Eigentlich” womöglich in die Irre geführt. Auch wenn sich die ungekünstelten Wortspielereien schon hier von der großen Mehrheit deutscher Songschreiberlinge abheben, widmet sich der Song – auf angenehm unktischige Weise – noch dem allgegenwärtigen Thema der Liebe. Getragen wird Bartschs Minnesang von luftigem Indie-Rock, der sich auch an Oh-Oh-Chöre und deftig antreibenden Drum-Fills herantraut. Macht zwar schon hier Spaß, aber das große Alleinstellungsmerkmal des Albums wird erst mit “Wütende Rentner*innen” deutlich: der gleichsam ulkige und realistische Song widmet sich natürlich dem Titel entsprechend dem Enten fütternden Ältestenrat und leitet sogleich in das nicht weniger witzige “Unangenehm” ein, das im lässigen DIY-Sound von den schlimmsten Momenten einer Geburtstagsfeier berichtet. Gerade trägt man in Jason Bartschs Wikipedia-Beitrag Hüfte kreisend die Auszeichnung “vielversprechendster Helge Schneider-Nachfolger” ein, da reißt “Marie” einen aus der Ulknudelstimmung. Von einem Klavier eingeführt, entwickelt sich der Song zu einem Mittelfinger in Richtung der Konservativen: “Fick die Gendernorm!”, “Schubladen sind von Mensch gemacht”, “Fick auch die Rassisten” heißen die plakativen Proteste. Das funktioniert im nüchternen, aber doch bestimmten Tonfall von Jason Bartsch überraschend gut und geht direkt unter die Haut.
Schalk im Hals; Kloß im Nacken
Genau in der Mitte thronen sie, die Live-Publikumslieblinge über die besten Freunde der Menschen: Das “Hunde-Lied” und das “Katzen-Lied”. Ohne hier großartig etwas von den schlicht grandiosen Songs vorwegnehmen zu wollen, soll hier einfach der dringende Hinweis zum Youtube-Link genügen. Dann hat das Album aber auch schon genug von Banalitäten und widmet sich in “Extravaganza” gleich der Dekonstruktion von Patriotismus in düsterem New-Wave-Sound: “Dieses Land ist nicht mein Land, denn mein Land wär für alle da”. Das düstere Bild, das hier gemalt wird, eignet sich hervorragend als Einstimmung für “Aber dann”, einem bedrückend ehrlichen Song über das Scheitern, über Depressionen, über tiefe Trauer, der sich in tiefer Melancholie badet. Wer Gänsehaut und Tränendrüsen nach so viel authentischem Gefühl erstmal in die Kur schicken will, sollte erst “Zeilen eines Lebens” und “Es bleibt schwer” abwarten. Wie die Anfänge und Enden eines Lebens hier mit weiten, ausbrechenden Gitarrenflächen und zarten Akkorden konterkariert werden, hat etwas Imposantes an sich, das man auf einem Album eines noch so jungen Musikers so gar nicht erwarten wollte. Schlag in die Magengrube und verständnisvolle Umarmung in einem.
“Eine Idee für das Klappen aller Dinge” hat Jason Bartsch vielleicht nicht direkt auf Lager, aber immerhin eine ziemlich eindrucksvolle davon, wie die Übertragung von Poetry Slam in Musik funktionieren kann. Wie sich hier lyrische Glanztaten, Clownsnasen, wichtige Statements und Hand gemachte Songwriting-Kunst die Hand reichen, könnte schon bald große Früchte tragen. Und welches Album hätte es sonst verdient als dieses, das Enten und Anti-Diskriminierungshymnen auf angenehm unpeinliche Weise vereint? Eben.
Das Album “Eine Idee für das Klappen aller Dinge” kannst du hier kaufen.*
Und so hört sich das an:
Website / Facebook / Instagram
Jason Bartsch live 2020:
- 15.01.2020 Die Weberei, Gütersloh
- 16.01.2020 Zakk, Düsseldorf
- 17.01.2020 Mergener Hof, Trier
- 18.01.2020 Tollhaus, Karlsruhe
- 22.01.2020 Universum, Stuttgart
- 23.01.2020 Alte Feuerwache, Mannheim
- 24.01.2020 Nachtleben, Frankfurt
- 25.01.2020 Feierwerk / Hansa 39, München
- 29.01.2020 Zeche Carl, Essen
- 30.01.2020 Lagerhalle, Osnabrück
- 31.01.2020 Bi Nuu, Berlin
- 01.02.2020 Uebel & Gefährlich, Hamburg
- 05.02.2020 Bahnhof Langendreer, Bochum
- 06.02.2020 disco and live Club, Bielefeld
- 07.02.2020 Tower, Bremen
- 08.02.2020 Sputnikhalle, Münster
- 12.02.2020 FZW, Dortmund
- 13.02.2020 Mehlhose Franz, Erfurt
- 14.02.2020 UT Connewitz, Leipzig
- 15.02.2020 Eventlocation LUX, Nürnberg
- 23.04.2020 Ostpol, Dresden
- 24.04.2020 Kulturzentrum Schlachthof, Wiesbaden
- 25.04.2020 Kammgarn, Kaiserslautern
- 30.04.2020 Eulenglück, Braunschweig
- 01.05.2020 DIe Pumpe, Kiel
- 02.05.2020 Volksbad, Flensburg
- 07.05.2020 Gebäude 9, Köln
- 09.05.2020 Lux Club Linden, Hannover
Rechte am Albumcover liegen bei Kursaal.
* Affiliate-Link: Du unterstützt minutenmusik über deinen Einkauf. Der Artikel wird für dich dadurch nicht teurer.