Korn – The Nothing [Doppel-Review]

Korn

Das verflixte dreizehnte Album? Die Nu-Metal-Größen Korn spalten schon seit ihrem Debüt die Geschmäcker. Doch wie sieht das Ganze rund 25 Jahre später aus? Christopher und Julia ordnen das neueste Werk “The Nothing” sehr unterschiedlich ein.

Julia ist ziemlich positiv überrascht:

Nach einem Vierteljahrhundert im Metalgeschäft kämpfen die meisten Bands der Szene wohl eher um gelungene Nachlassverwaltung als für eine kreative Offenbarung. Vor allem im oftmals belächelten Nu Metal standen die Zeichen in der jüngsten Vergangenheit eher auf Stagnation oder unglückliche Neuerfindungen. Obwohl bei den Epigonen Korn sicherlich nicht alle der bisher erschienenen zwölf Alben Meilensteine des Genres waren, fiel doch kaum ein Album negativ aus dem Rahmen – und das trotz einiger Spielereien mit Hip-Hop oder Dubstep. Nun plötzlich “The Nothing”, das schon alleine mit dem Artwork mehr richtig macht als die letzten beiden Alben und mit den zwei wirklich sehr starken Vorab-Singles schon im Vorfeld ein wunderbares Retro-Feeling heraufbeschworen hatte.

Zeitkapsel der 90er

Denn dem Ziel der erfrischenden Wiederbelebung des ureigenen Sounds kommen schon die ersten Songs nach. “The End Begins” leitet stilecht mit dem klassischen Dudelsack ein und versprüht gleich mal die “Shoots and Ladders”-Vibes, bis dann auch noch Jonathan Davis mit verhuschtem und weinerlichem Gesang einsteigt. Ganz anders stürmen dann “Cold” und “You’ll Never Find Me” nach vorne; letzteres macht gar keinen Hehl daraus, “Freak On A Leash” zu zitieren.

Das nicht ganz geheime Geheimrezept

Ihrem Trademark-Sound bleiben die Kalifornier unbeirrt mit jedem Takt treu: Die Strophen pendeln zwischen ungehaltenem Schreien, hüpfenden Gesangsmomenten und verschrobenen Rhythmen, die Bridges sind das Schmankerl eines jeden Songs und übertreffen sich regelmäßig in ihrer Eskalation, die Refrains sind melodisch und fett produziert und vor dem letzten Chorus geht es dann nochmal in den größten Moshpit. So funktioniert auch 2019 jeder. einzelne. Song. Wer Korn vorher schon nicht leiden konnte, schüttelt also den Kopf, Fans können ihr Glück kaum fassen. Denn wo in den vergangenen Jahren vermehrt die unheimlichen und abgedrehten Momenten zugunsten von rockigeren Arrangements zurückgestellt worden waren, baut “The Nothing” auf die Quintessenz von Korns gigantischem Aufstieg in den Metalolymp.

Der Korn-Moment

Fast jeder der 13 Songs hat so einen: “The Darkness Is Revealing” mündet mit verzweifelten “Get The Fuck Out”-Geschrei in die Eskalation, “Idiosyncrasy” verknüpft einen klassischen Metalcore-Breakdown mit dem wütenden “God is making fun of me”, “The Seduction of Indulgence” baut mit stoischem Gesang über Vergewaltigung ein bedrohliches Schreckensbild auf, “The Ringmaster” holt mit hohen Hintergrundstimmen die schauderige “Falling Away From Me”-Atmosphäre hervor.

Das düstere Hintergrundwabern

Wer für Korns Musik brennt, kennt sich auch mit Jonathan Davis’ Biografie aus. Diesem Frontmann, der den Metal-Kids schon weit vor der aktuellen Mental-Health-Awareness-Welle gezeigt hat, dass sie nicht alleine sind mit ihren Schmerzen. Der auch nach 25 Jahren noch mit Depressionen kämpft und den sexuellen Missbrauch seiner Kindheitstage verarbeitet. Der aber auch ein neues Kreuz zu tragen hat, denn seine Ex-Frau und Mutter seiner Kinder war im vergangenen Jahr gestorben. Auch wenn die beiden seit drei Jahren getrennt gelebt hatten, war sie lange Zeit ein wichtiger Bezugspunkt und so geht dann auch der Closer “Surrender to Failure” direkt unter die Haut, wenn Davis zunächst voller Liebe singt “I would do anything to bring you back to me” , um wie einst bei “Daddy” mit einem herzzerreißenden Weinen immer wieder festzustellen: “I failed”.

“The Nothing” ist somit keine Neuerfindung einer Band, die das ohnehin schon oft genug durchgemacht hatte, sondern eine überraschend gelungene Verjüngungskur mit allem, was Fans lieben: Beißende Intensität, verrückte Momente und mit Jonathan Davis eine der außergewöhnlichsten Identifikationsfiguren des Genres am Mikrofon und unter der Haut. Im Korn-Kosmos ist “The Nothing” somit das stärkste Album seit Jahren – und auch im Genre kann sich die Band auch nach all den Jahren wieder mit seinen Kolleg*innen messen.

Christopher ordnet das Album hingegen ganz anders ein:

Ein Vierteljahrhundert! So lange existieren bereits Korn. Damit machen sämtliche Mitglieder bereits mehr als die Hälfte ihres Lebens Musik – dazu noch in der gleichen Band und fast in Originalbesetzung. Das ist definitiv alles andere als eine Selbstverständlichkeit. Zusätzlich wurde in den 25 Jahren mit insgesamt 13 Alben für ordentlich Output und Fanmaterial gesorgt. Den Jungs aus Kalifornien scheint es nicht langweilig zu werden.

Dabei hat sich die Fanschar leider nicht stetig vergrößert, sondern ist in den letzten Jahren eher auf den harten Kern geschrumpft. Von gigantischen Verkaufszahlen wie zu den besten Zeiten darf nur noch geträumt werden. Schaffte es der Bestseller „Follow The Leader“ 1998 noch auf 5,8 Millionen Einheiten, ist bei den letzten fünf Alben bereits nicht mal mehr an eine Million zu denken. Der einst hochgefragte Nu Metal-Sound ist eben längst nicht mehr zeitgemäß, obwohl er zu seiner Hochzeit aus den Toplisten kaum wegzudenken war. Mittlerweile haben Korn seit 13 Jahren nicht mehr die Singlecharts geentert, was aber offensichtlich kein Grund ist, aufzuhören.

Denn der harte Kern ist eben so treu, dass auch bei Album Nr. 13, das passenderweise am Freitag, den 13.9., das Licht der Welt erblickt, alles beim Alten bleibt. Der neuste Longplayer nennt sich „The Nothing“ und zeigt bereits auf dem in schwarz/weiß-gehaltenen Cover, dass hier mit keinem Justin Bieber- oder Ed Sheeran-Feature gerechnet werden muss: eine an Fäden festgehaltene, fallende Person sucht den Weg ins Nichts. Korn bleiben düster, dunkel, mit dem Hang zum Depressiven.

44 Minuten präsentieren die 13 (was ein Zufall) neuen Tracks gewohnte Kost, ohne groß aufzufallen oder anzuecken. Fans bekommen das, was draufsteht: Korn. Nicht mehr, nicht weniger. Melodische Gesangsparts wechseln sich mit Shouting, Screaming oder Growling ab – Jonathan Davis zeigt sich erneut als Stimmakrobat. Obendrauf gibt es eingängige Refrains, elektronische Spielereien und harte Gitarrenriffs. Songs nach Rezept, die schmecken, aber auch selten herausfordern.

Dabei lässt das Intro „The End Begins“ dank Dudelsäcken noch einige Fragezeichen aufplöppen. Doch schon mit Track Zwei, „Cold“, kehrt Altbewährtes ein: Tempowechsel und voll auf die Zwölf. Das ballert, das knallt. Aggression, Gedanken an böse Tage, der Blick in den Abgrund. Inhaltlich präsentieren die Jungs genauso Vorhersehbares. „You’ll Never Find Me“ ist als Vorabsingle durchaus gut gewählt, blitzen hier und da doch kaum überhörbare „Freak On A Leash“-Hommagen durch. Das Interlude „The Seduction Of Indulgence“ kombiniert Mantra-ähnliche Gesangsstellen mit stampfenden Armeemomenten. „Can You Hear Me“ geht fast als Rockballade durch – aber eben nur fast. Wir wollen ja nicht übertreiben.

So schön es ist, viele bekannte und immer wieder auch gute Elemente zu entdecken, stellt sich aber spätestens nach der Hälfte ein Hauch von Langeweile ein. Viele Wiederholungen, selbstreferenzielle Momente – es ist eben bei 13 Alben nicht genug, ständig auf sein gutes Schema aufzubauen, ohne den Blick über den Tellerrand zu wagen. Das Ganze hat stets gute Ansätze, einen angenehm psychodelischen Grundton, nur eben kaum Neues. Doch bevor Korn den Hörer verlieren, fliegt einem mit „H@rd3r“auf Position 11 der längste und gleichzeitig geilste Track um die Ohren. Quasi die Quintessenz von dem, was Korn 2019 noch können. Soundtrack zum nächsten „Saw“-Film? Der passende Song, um wutentbrannt über die Autobahn zu düsen? Egal. Bockt gewaltig. Mit einem träumerischen Outro namens „Surrender The Failure“ ist der Spuk dann zwei Titel später auch schon wieder vorbei.

„The Nothing“ ist keinesfalls ein schlechtes Korn-Album, aber auch kein wirklich gutes. Einfach eine okaye Platte, die zeigt, dass Korn eine gute Band waren, sind und bleiben. Ein Album, das die großen Fans zufrieden stellen wird, leider aber keine neuen gewinnt. Kann man gut hören – tut man’s nicht, wird man aber auch nicht so viel verpassen.

Das Album “The Nothing” kannst du hier kaufen.*

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Rechte am Albumcover liegen bei Roadrunner.

 

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