Mit „All I Want For Christmas Is You“ gelang Mariah Carey 1994 nicht weniger als ein Meilenstein. Es ist womöglich das einzige Weihnachtslied, das nach „Last Christmas“ von Wham! geschrieben wurde und in Ansätzen diese Popularität erreichen konnte. Keine gute Party im Dezember ohne diesen All-Time-Favourite – und das ist auch gut so.
Neben der unglaublich mitreißenden Rock’n’Roll-artigen Komposition trug selbstverständlich Mariahs Karrierestand zu dem Erfolg bei. Als am 1.11.1994 das Weihnachtsalbum Merry Christmas veröffentlicht wurde, war Mariah auf ihrem Zenit. Ein Jahr zuvor ging „Music Box“ an den Start, das sich unglaubliche 32 Millionen Mal verkaufte und sie mit Hits wie „Hero“ und „Without You“ zur Legende machte. Auch 1995 gab es mit „Daydream“ und immerhin 25 Millionen verkauften Einheiten ähnlich erfolgreiche Zahlen.
Merry Christmas war also zur richtigen Zeit am richtigen Ort und dazu noch richtig gut. 39 etwas knappe, aber dafür qualitativ hochwertige Minuten an Musik, die wirklich Weihnachtsstimmung verbreiten und eine wunderbare Untermalung beim Dekorieren, Gänsebraten kochen und Glühwein trinken liefern. Während Mariahs größte Balladen zwar auf Karaoke- und Flashbackpartys weiterhin heiß laufen, aber ansonsten nicht mehr viel Beachtung bekommen, schafft es „All I Want For Christmas“ auch 25 Jahre später in die Charts. Und das jährlich weltweit. Da Miss Carey seit mindestens einer Dekade nur noch Negativschlagzeilen schreibt, mit unpassenden Outfits auf sich aufmerksam macht und eine Playbackpanne der nächsten folgt, sucht man natürlich händeringend nach Mitteln, die mit dem Namen Carey doch noch etwas an Gewinn springen lassen. Der Versuch, ein zweites Weihnachtsalbum erfolgreich an den Mann zu bringen, scheiterte 2010 auf vollster Linie: „Merry Christmas II You“ klingt zwar im Titel wie eine logische Fortsetzung, die Verkäufe und der lieblose Inhalt zeigen aber anderes: lediglich 500.000 Einheiten – das Original kommt auf das 30-fache.
Passenderweise steht aktuell das 25-jährige Jubiläum an. Auf den Tag genau funkelt also am 1.11.2019 mit Merry Christmas (Deluxe Anniversary Edition) die mit Schneeflocken verzierte Neuauflage in den Regalen. Aus einem Tonträger wurden zwei, aus 11 Tracks wurden 29 und aus 39 Minuten gleich 112. Quantitativ wurde also ordentlich aufgestockt – doch wie sieht es inhaltlich aus?
Optisch macht die Jubiläumsausgabe einiges her. Ein aufklappbares Digipack mit gleich zwei Booklets. Das erste beinhaltet einen aktuellen Dankesbrief von Mariah, diverse Songtexte des Originalalbums und eine große Anzahl an Bildern, die zum Glück alle aus den 90s genommen wurden. Heftchen Nr. 2 zeigt in chronologischer Reihenfolge 28 Facts über das Album, diverse Rekorde und wichtige Stationen.
CD1 bleibt fast unverändert. Der Sound wurde leicht remastered, alles andere bleibt beim Alten. Auch 2019 geht der Großteil super ins Ohr. Zwar klingen einige Dance-Arrangements etwas altbacken und trashy („Joy To The World“), andere, die sich mehr am Rock’n’Roll orientieren, haben hingegen nichts an ihrer Qualität einbüßen müssen („Santa Claus Is Coming To Town“, „Christmas (Baby Please Come Home)“). Die Mariah-Interpretation von „O Holy Night“ ist bis heute mit die beste überhaupt und präsentiert weihnachtlichen Gospel, wie er zu sein hat. Gleiches gilt für das Medley „Hark! The Herald Angels Sing/Gloria (In Excelsis Deo)“, das kitschig-sentimental berührt. Die Eigenkompositionen sind alle drei gelungen. Neben „All I Want For Christmas Is You“ ist ganz besonders „Jesus Born On This Day“ hervorzuheben, das glatt als traditioneller Song durchgehen könnte, was absolut für das Lied spricht. Kein makelloses Weihnachtsalbum, aber weiterhin eins der gelungenen im Popbereich.
Wirklich interessant wird es aber erst bei CD2, die immerhin das Upgrade präsentiert. Es wurde sich außerordentlich viel Mühe gegeben, um mehr als 70 Minuten Material zusammenzubekommen. Der Fan bekommt neben sechs Liveaufnahmen aus dem ersten Konzert aus New York, auf dem das Album gespielt wurde, mehrere Remixe, eine Auswahl aus „Merry Christmas II You“ und Titel aus weihnachtlichen Filmen, zu denen Mariah etwas beigesteuert hat. Klingt erstmal äußerst schmackhaft, ist aber dann doch ein wenig mau.
Die Livesongs orientieren sich im Arrangement fast alle 1:1 an der Albumversion. Mariah singt top und zeigt, dass sie es mal wirklich konnte. Einerseits eine schöne Erinnerung, andererseits mit fadem Beigeschmack Richtung Gegenwart. Dass das Nachfolgeweihnachtsalbum floppen musste, ist bei der Auswahl der mittelprächtigen Titel kein Wunder. Egal, ob „Oh Santa!“, „Christmas Time Is In The Air Again“ oder auch das mit John Legend aufgepeppte Duett „When Christmas Comes“ – das ist alles nett, aber schon ziemlich beliebig. Das einzige Highlight auf dem Bonus ist „The Star“, das 2017 zum Film „Bo und der Weihnachtsstern“ erschien und durch seine verträumte und einhüllende Atmosphäre die beste Aufnahme der Sängerin in diesem Jahrzehnt darstellt. Auch der Rock’n’Roller „Lil Snowman“ geht in Ordnung. Die Remixe pendeln zwischen den Prädikaten „wenig weihnachtlich“ („All I Want For Christmas Is You (Mariah’s New Dance Mix Edit Extended 2009)“), „viel zu lang“ („Joy To The World (Celebration Mix)“) und „seit Jahren bekannt“ („All I Want For Christmas Is You (So So Def Remix)“). Für einen kleinen Lacher sorgt der einzige Song aus 2019: das 40 Sekunden kurze (!) Outro „Sugar Plum Fairy Interlude (Acapella)“, das so bearbeitet klingt, das hier mit großer Sicherheit viele Computertechniken aber wenig Mariah-Vocals zu hören sind. Ob man sich damit wirklich einen Gefallen getan hat, diesen Song sogar auf dem Promotionsticker mit den Worten „The Newly Recorded Gift To The Fans“ zu bewerben?
Mit Merry Christmas (Deluxe Anniversary Edition) steht 25 Jahre nach dem Riesenerfolg eine aufgefrischte Version in den Kaufhäusern, die sich bei Hardcorefans sicherlich gut macht. Wer das Album noch gar nicht besitzt, sollte reinhören und in den teils retroartigen, teils immer noch mitreißenden Songs ein wenig Weihnachtsstimmung finden. Die vorhandene Mühe ist erkennbar, das Bonusmaterial darf aber nach einem Durchlauf bis auf wenige Ausnahmen in der Verpackung bleiben.
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