Es ist Sonntag, ich bin bei meinen Eltern zu Besuch in der Provinz und gerade auf dem Weg zum Bäcker. Da ertönt ein Song über meine Kopfhörer, der mir erst ein Grinsen ins Gesicht zaubert und dann gefühlte zwei Kilo Silikon in mein Hinterteil. „Na endlich“, denke ich mir, „Nicki ist zurück!“ Und so wackelte ich rhythmisch zum Brötchenholen, mein Heimatdorf war plötzlich New York und jeder Traktor ein Lowrider.
Allein für diesen Moment hat sich das knapp vierjährige Warten auf ein neues Album von Nicki Minaj gelohnt. Mit dem ersten Song, „Ganga Burns“ verfrachtete mich die Rapperin direkt in eine andere Welt – für mich der Beweis, dass „Queen“ ein gutes Album ist. Und doch muss ich eines direkt vorweg nehmen: Ihrem Anspruch, einen neuen Klassiker zu servieren, ist Nicki Minaj diesmal nicht gerecht geworden.
Hip-Hop-Fans lieben sie für ihren Flow, ihre technische Präzision, ihr Timing. Mit einer einzigen Strophe in Kanye Wests „Monster“ hat sich Nicki Minaj vor zehn Jahren auf den Thron gerappt. Sie war die neue Hyaluron Creme für eine leicht eingestaubte Szene, niemand konnte sich ihrem Hype so ganz entziehen. Das war zugegebenermaßen aber auch keine hohe Kunst, schließlich war Nicki die einzige Anwärterin weit und breit. Das hat sich heute mit Cardi B und Co geändert. Nickis Devise: Angriff ist die beste Verteidigung!
Der beginnt schon mit dem Cover, auf dem sich die „Anaconda“-Rapperin als (selbstverständlich halbnackte) Pharaonin typisch exzentrisch zeigt. Ihre Aufforderung, ihr gefälligst die königlichen Füße zu küssen, findet sich auch in nahezu jedem der 19 Songs des Albums.
Klar, der ständige Beef um Money und Macht hat im Hip-Hop Tradition. Doch Nicki Minaj wirkt geradezu gefangen von ihrem Wunsch nach Dominanz und Anerkennung. Mit jeder Line will sie ihre Vorherrschaft verteidigen – das wirkt fast schon ängstlich. Dafür würden auch die zahlreichen Feature Gäste sprechen, die Nicki für „Queen“ an den Start geholt hat. Eminem rappt sich auf „Majesty“ mal wieder halb um den gealterten Verstand und sorgt dennoch für einen ziemlich eingängigen Song, The Weeknd macht sich durch seinen speziellen Sound „Thought I Knew You“ mal zu seinem eigenen Hit, Lil Wayne lässt in „Rich Sex“ seinen Rausch für sich rappen (bzw. nuscheln) und Ariana Grande…achja, die ging irgendwie ziemlich unter. Der mit Abstand interessanteste Feature Act auf „Queen“ ist Swae Lee. Sein gemeinsamer Song mit Nicki „Chin-Swae“ ist ein musikalisch absolut gelungenes Experiment und sticht in Sachen Innovation weit heraus und funktioniert durch den scharfen Kontrast zwischen Lees melodischer, sanfter Stimme und Nickis hartem Rap ausgezeichnet.
Mit etwas Abstand kann dann „Barbie Dreams“ anknüpfen, wo Nicki das macht, was ihr am besten steht: Spaß haben und Witze auf Kosten anderer Rapper machen. Die selbsternannte „Queen“ nennt darin zahlreiche namhafte Rapper, mit denen sie NICHT vögeln will (bei Sadboy Drake weiß sie beispielsweise nicht, ob sie feucht ist, oder er sie vollgeheult hat). Auch mit „Chun-Li“ lässt Nicki Minaj die Herzen ihrer Rapfans höher schlagen und deren Köpfe automatisch nicken. So stelle ich mir Songs auf einem klassischen Hip-Hop-Album vor: Mit unaufdringlichem Beat, einzig durch ein dröhnendes Horn unterbrochen, dirigiert Nicki die Zuhörer mit ihrer Stimme wie eine Königin mit ihrem Zepter. „They need rappers like me!“, rappt sie darin mit hoher, leicht krächziger Stimme und ich denke mir nur: „Ja, das tun wir!“
Doch dann kommt wenig später die Pop-Ballade „Come See About Me“ und reißt mich aus meinem persönlichen Hip-Hop-Film direkt in eine kitschige Pampers-Werbung. Nickis verletzliche, emotionsgeladene Seite kommt bei mir nicht an, der Song wirkt zu berechnet, erzwungen. Und das ist mein grundsätzliches Problem mit der Platte. Nicki Minaj will ihren „Queen“-Status scheinbar dadurch rechtfertigen, dass sie ihre zweifelsfrei beeindruckende Bandbreite an Stilen und Persönlichkeiten auf einem Album bündelt. Doch der schwierige Spagat zwischen der harten Rapperin, die die großen Jungs in die Ecke spittet und dem Botox-Girlie, das auf Popmusik steht, gelingt leider nicht.
Nicki Minaj mag, auch rund zehn Jahre nach ihrem Durchbruch, noch die Königin des Hip-Hop sein – das lässt sie auf „Queen“ immer wieder durchblitzen. Unterhaltsam ist sie allemal, talentiert sowieso. Doch manchmal habe ich den Eindruck, dass ihr die Krone langsam zu schwer wird.
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Und so hört sich das an:
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Nicki Minaq live 2019:
21.02. – München, Kleine Olympiahalle
28.02. – Berlin, Mercedes-Benz-Arena
22.03. – Frankfurt, Festhalle
23.03. – Köln, Lanxess Arena
Die Rechte für das Cover liegen bei Universal Music.
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