Pizzagirl – first timer

pizzagirl

Der Mythos von der Kunst als Spiegel der Seele hält sich hartnäckig in den Köpfen der breiten Massen, fühlt man sich durch den kathartischen Effekt besonders intensiver Erlebnisse den Kreativköpfen hinter Film, Gemälde, Tanz oder Musik doch vermeintlich so nah, so verstanden. Wie viel von der tatsächlichen Persönlichkeit der Kunstschaffenden wirklich in den Projekten steckt und wie viel hingegen viel mehr pure Ausdrucksform ist, hängt von Genre und Künstler*in selbst ab. Bezüglich dieser Faktoren erscheint der schillernde Geheimtipp Liam Brown aus Liverpool noch spannender als auf der ohnehin schon ansprechenden musikalischen Ebene: Mit seinem exzentrischen Alter-Ego Pizzagirl verwirklicht sich der ansonsten eher zurückhaltende Brite auf der Oberfläche von pulsierenden Synthies und einer dicken 80s-Soundwand. Wie viel von diesem teils sehnsüchtigen, teils kühlen Klangbild Teil seiner eigenen Person oder seiner Kunstfigur ist, wird dabei wohl nicht nachhaltig geklärt werden.

Von der Tanzfläche zum ersten Date

Wer zumindest ein wenig Herz für Discokugeln und kitschig glänzende Melodien übrig hat, der wird sich schon in den ersten Sekunden des Debütalbums unverzüglich verlieben. „ball’s gonna keep on rollin'“ baut seine Synthies um einen unwiderstehlichen Beat, löst sich am Ende gar in kleine Bläserfanfaren auf und baut – ja, ehrlich! – diese klassischen „Hua“-Rufe ein. „Hooked on a feeling“ lässt grüßen. Anstelle nun aber wie die jüngste Two-Door-Cinema-Club-Platte im hedonistischen Party-Rausch den Bogen vollkommen zu überspannen, pinselt Pizzagirl verschiedene Stimmungen und Facetten mit funkelnden Farben an, die garantiert unter Schwarzlicht leuchten. Ob im „daytrip“ geradewegs in die Melancholie zu schwelgenden „Oh-Oh-Chören“ inklusive Wham!-Klavier, dem lässig-laszivem Gesang vor dem sich überschlagenden Drumcomputer von „body biology“ oder dem Liebestrio aus „dennis“, „yesterday“ und „library“, die die Albummitte mit zarten Bläsern ausschmücken, die zarte Melodieführung gräbt sich langsam, aber sicher in den Gehörgang.

Nicht alles ist Gold, was glänzt

Denn trotz all dieser grellen Funkeltöne bietet Pizzagirl nicht nur plumpe Inhalte für 80er-Ästhet*innen. Unter der vermeintlich glatten Oberfläche schleichen sich immer wieder selbstironische Nuancen ein, besonders schön sichtbar in den wirklich sehr unterhaltsamen Videos, aber auch die ernsteren und düstereren Hintergründe bleiben nicht ganz aus. Von Verzerrung und Hall nahezu unkenntlich gemacht beklagt Browns Stimme „I can’t stop drinking ‚til I choke, best friends really wanna clip my wings“ („cut and paste“) und selbst wenn dies vielleicht gar nicht seine eigenen Erfahrungen widerspiegelt, gehen diese Worte doch tief unter die Haut. Für den hingehauchten Abschluss „goodnight“ überlässt der Musiker dann sogar dem südkoreanischen Sänger Aseul das Mikrofon. Liam Brown und sein Alter-Ego Pizzagirl, denen sind wir im Laufe dieses Debüts vielleicht ein wenig näher gekommen, vielleicht auch gar nicht. Spaß macht die Reise in die Vergangenheit aber so oder so.

Das Album „first timer“ kannst du hier kaufen. *

Und so hört sich das an:

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Pizzagirl live 2019:

  • 21.11.2019 Auster-Club, Berlin
  • 22.11.2019 Yuca, Köln

Rechte am Albumcover liegen bei Heist or Hit Records.

 

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