Porridge Radio – Every Bad

Porridge Radio

Man sollte sich von dem ulkigen Bandnamen und niedlichen Songtiteln wie “Sweet” oder “Pop Song” nicht in die Irre führen lassen. “Every Bad” schmeißt die Hörer*innen kopfüber in die tiefste Melancholie, am Grund schürfen Suizidgedanken, Todeswünsche, dekonstruierende Geschlechterrollen und eine verzweifelte Suche nach dem eigenen Platz in der Welt Beine, Herz und Kopf auf. Gestartet hatte Sängerin Dana Margolin Porridge Radio als Solo-Projekt, auf ein Quartett herangewachsen haben die Brit*innen schon 2016 ein selbstaufgenommenes Album namens “Rice, Pasta and Other Fillers” aufgenommen und über das eigene Label Memorials of Distinction veröffentlicht. Irgendwo zwischen atmosphärischem Indie, krachenden Grunge- und Alternative-Elementen und PJ-Harvey-esken Erzählstrukturen haben sich die vier schon einige Vorschusslorbeeren einheimsen können. Diesen DIY-Spirit können Porridge Radio glücklicherweise auch beim Release auf dem Indie-Label Secretly Canadian beibehalten, weswegen die elf Songs von “Every Bad” mit ungestümer Intensität eine Furche in das innere Gefühlsleben graben.

Die Klimax der Emotionen

In Punkto Songwriting haben sich Porridge Radio die prozesshafte Kumulation intensiver Gefühle in Abstufungen auf die Fahnen geschrieben. Als Abziehbild fungiert da schon der Opener “Born Confused” hervorragend: tief melancholisch singt Margolin über die eigene Zerrissenheit, im Hintergrund schimmern seichte Background-Chöre und Streicher, schließlich wiederholt die Sängerin “Thank you for leaving me, thank you for making me happy” über eine Minute mit Nachdruck, die Drums werden drängender, die Streicher hingegen monoton, am Ende bleibt Margolins Stimme einsam und nackt zurück, zerreißt und kreischt sich in den Abgrund. Dieses Zerfasern anfänglich zärtlich aufgebauter Songstrukturen verliert trotz häufiger Anwendung kein wenig von seiner Schlagkraft, was wohl auch an der abwechslungsreichen Instrumentierung liegen mag. “Don’t ask me twice” experimentiert mit zappelnden Cowbells, “Long” kleckst freudig New-Wave-Synthies in den Sound, “Lilac” bleibt über weite Teile beim melancholischen Standard-Indie, bevor dann eben doch alles den gewohnten Weg der überbordernden Soundwand geht. Aus diesem Schema brechen nur wenige Songs heraus: “Sweet”s permanente Rifftürme bäumen sich nach jedem Einsturz wieder auf, “(Something)” ist ein elektronischer Sommernachtstraum, die seichten Tribal-Drums des Closers “Homecoming Song” führen gar in komplett unerwartetes Terrain. Aber viel mehr als die musikalische Komponente bleibt der emotional sehr herausfordernde Ausflug der Platte im Gedächtnis – und der macht dem Titel “Every Bad” alle Ehre.

Schwer verdaubarer Trip ins Unterbewusstsein

“Sweet” räumt gleich mal mit den Erwartungshaltungen an Frauen auf. “Sometimes I am just a child, writing letters to myself, wishing you were dead” heißt es da, im Kontrast zum offensichtlich sarkastischen Refrain: “I am charming, I am sweet, she will love me when she meets me”. Diese Attribute scheinen mit dem finsteren Kern des lyrischen Ichs auch so gar nichts zu tun haben, auch wenn die Sätze ja durchaus gerne vor dem Bekanntmachen mit den Schwiegereltern Frauen gegenüber geäußert werden. Auch das vermeintlich unbeschwerte “Give/Take” hinterfragt die eigene Geschlechterrolle, wenn das lyrische ich sich gegen eine Beziehung entscheiden möchte und treffend fragt: “How do I say no without sounding like a little bitch?”. Eine Frage, die die Hintergrundchöre mit stagnierender Repitition in das Ohr flüstern, während Margolin die eigenen Handlungsmöglichkeiten eruiert.

Der Blick in die Introspektive gibt sich hier noch kantig und reiberisch, kann sich in anderen Momenten aber auch quälend zielstrebig unter die Haut bohren. “Take me to bed and shoot me in the head” sprechsingt Margolin zunächst mit ihrer tiefen Erzählstimme im so gar nicht poppigen “Pop Song”, erst nachdem die große Melancholiewelle über sie geschwappt ist, erklingt letztendlich die unsichere Bitte: “Please make me feel safe”. Ein verzweifelter Griff nach etwas Sicherheit, der sich auch im ruhig treibenden “Circling” verdeutlicht. Einer von vielen Songs, der mit Wassermetaphern arbeitet, was sich hier im klammernden Versuch ausdrückt, dass doch eigentlich alles in Ordnung sein müsse. Mit den Worten “I’m a sinking ship, there’s nothing inside” beendet Margolin schließlich diesen beklemmenden Blick in die Tiefen des lyrischen Ichs, lässt also anstelle eines Hoffnungsschimmers einen endgültigen Abgesang den Vorhang zuziehen. “Every Bad” gelingt so ein hoch intensives Erlebnis, das man nicht ganz ohne Schrammen übersteht. Aber wer sich ähnlich wie Porridge Radio nach etwas Sicherheit und Verständnis sehnt, darf sich gemeinsam mit Margolin in Ekstase und Katharsis schreien. Nur selten sollte sich der Effekt so bereinigend anfühlen wie in diesem hochdramatischen Album. Großes Kino!

Das Album “Every Bad” kannst du hier kaufen. *

Und so hört sich das an:

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Porridge Radio live 2020:

  • 07.05. TIEF (Zukunft am Ostkreuz), Berlin
  • 29./30.08. Golden Leaves Festival, Darmstadt

Rechte am Albumcover liegen bei Secretly Canadian.

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