Turbostaat – Nachtbrot

Turbostaat - Nachtbrot

Live-Alben können durchaus eine schwierige Kiste sein. Manchmal zu sehr in die Mangel der Post-Produktion geraten, manchmal eher eine verstimmte Version der Studioaufnahmen, gibt es eine unendlich lange Liste von Live-Aufzeichnungen, die sich prinzipiell zwar hören lassen, ansonsten aber kein Live-Konzert ersetzen können. Wer die Nordlichter Turbostaat bereits live bewundern durfte, sollte sich bewusst sein, dass vor allem eins die intensiven Konzerte der Indie-Punks ausmacht: ein äußerst textsicheres Publikum. „Nachtbrot“ heißt das erste Live-Werk des Quintettes, das die mittlerweile fast genau 20-jährige Karriere der Gruppe auf den Punkt bringt. Das Ergebnis ist so viel mehr als nur ein „nettes Gimmick“. Es fällt mir sehr leicht zu behaupten: Hierbei handelt es sich wohl um das beste Live-Album, was meine Ohren bislang beehrt hat.

Wo andere Bands tausende Menschen für ihre bislang größte Headliner-Show vereinen, laden Turbostaat im Mai 2018 gleich drei Nächte hintereinander in einen für ihre Verhältnisse recht gewöhnlichen Club – das Leipziger Conne Island. Etwa 800 Menschen stehen also drei Mal hintereinander vor der Bühne des linken Veranstaltungszentrums, singen, gröhlen jede Textzeile mit und sind dabei fast textsicherer als Sänger Jan Windmeier. Die Band möchte hier ihr Jubiläum feiern, zeichnet deshalb alle drei Shows auf. Knapp acht Monate später erscheint der Spaß nun in leicht gekürzter Form ohne den Zugabenblock. Der Band ist es gelungen, die magische Atmosphäre eines jeden Turbostaat-Konzertes mit der Hilfe von Massen an Mikrofonen einzufangen. Im Mix geben sich Windmeiers besonderes Stimmorgan und die hunderten Kehlen der Fans die Hand, stehen gleichwertig nebeneinander. Nicht nur die vielen „Hits“ der Bandgeschichte werden vom Publikumsraum aus sicher zurückgeschmettert, auch weniger populäre Stücke sind allen Anwesenden durchweg bekannt. Als das Intro von „18:09 h, Mist, verlaufen“ vom ersten Langspieler ertönt, beginnt die Masse frenetisch zu jubeln. Ein besonderes Perlchen hat das Quintett sich für den Abend auch ausgedacht, während dessen es im Raum ungewohnt still bleibt – mit „Kriechkotze“ covert die Band ein mehr als zwei Dekaden altes Stück der langjährigen Freunde Dellwo. Dass viele den Song nicht kennen ist dabei kaum verwunderlich, kam die Gießener Punk-Band nie wirklich aus ihrer kleinen Szene heraus.

Natürlich gibt es neben dieser perfekt abgebildeten fast nicht existenten Trennung von Menschen auf und vor der Bühne noch die Musik, die die vier Herren an den Schlagzeugsticks und Saiteninstrumenten abrufen. Auch die bildet das ab, was die Flensburgern auf den unendlich vielen Tourneen abliefern: musikalische Perfektion. So widmen sich die Gitarren in „Eisenmann“ und „Wolter“ post-rockigen reverbgetränkten Melodien, wohingegen „Ufos Im Moor“ nach alter Punk-Manier nach vorne treibt und „Tut Es Doch Weh?“ fast schon mit dem Pop ins Bett steigt. Den Flensburgern gelingt es bei der Songauswahl alle Facetten ihres breiten Bandkatalogs abzudecken, ohne dabei die wichtigsten Schlüsselsongs zu missen.

Am Ende ertönt der obligatorische letzte Song „Schwan“, der wohl aus Produktionsgründen ans Ende des Hauptsets rückt, unzählige Hände erheben sich zum Mitklatschpart gen Himmel, ohne dass Windmeier auch nur zum Mitmachen animieren muss. Kaum eine Situation könnte einen Turbostaat-Gig besser zusammenfassen: Publikumsinteraktion geschieht über die Kunst, unnötige Animationsspielchen gibt es nicht und die Fans nehmen eine mindestens ebenbürtige Position zu der Band ein. „Nachtbrot“ weiß diese einzigartige Atmosphäre einzufangen und lässt den Hörer selbst im kältesten Winter an dem intimen Erlebnis einer solchen Show teilhaben. Dies alles macht das Werk so ungemein grandios.

Das Album “Nachtbrot” kannst du dir hier kaufen.*

Und so hört sich das an:

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Turbostaat live 2019:

11.01. – Flensburg, Volksbad (ausverkauft!)
12.01. – Husum, Speicher (ausverkauft!)
14.02. – Hamburg, Markthalle
16.02. – Jena, Kasablanca
19.02. – Köln, Gloria
21.02. – Stuttgart, Universum
23.02. – Göttingen, Musa
13.03. – Münster, Sputnikhalle
16.03. – Hannover, Faust
19.03. – Berlin, SO36 (ausverkauft!)
21.03. – Dresden, Beatpol
22.03. – Erlangen, E-Werk

Die Rechte für das Cover liegen bei Turbostaat.

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