„Märchenemo“ nennen Zinnschauer ihre Musik. Die passt mitsamt ihres mystischen Sounds perfekt in den tristen Corona-Winter.
Das zweite Album des Duos wiederum heißt „Das Zimmer Mit Dem Doppelten Bestand“. Nachdem das Projekt, dem einst eine WG-Schnapsidee Leben einhauchte, der Popularität der Leoniden wegen eine Pause einlegen musste, bot das Jahr 2020 Jakob Amr und Sjard Fitter die Chance, nochmal alte Bekannte aus dem Keller zu holen. Gemeinsam mit Magnus Wichmann – ein Qualitätssiegel – entstand deshalb in Leipzig und Kiel ebenjenes neues Zinnschauer-Album, das noch dieses Jahr am Vorsilvestertag erscheint.
Die Zeit scheint für Zinnschauer ohnehin still zu stehen: Mit Produzent Wichmann und Violinistin Thuy-Vi Nguyen sind gleich zwei zentrale Spielsteine im Bandgefüge alte Freund*innen, die entweder bereits an früheren Platten mitwirkten oder Amr und Fitter bereits live unter die Arme griffen. Und auch an der internen Rollenverteilung scheint sich in den letzten sechs Jahren wenig getan zu haben: Amr und Fitter schreiben kollaborativ die Texte, Amr die Musik. Dementsprechend eng knüpft „Das Zimmer Mit Dem Doppelten Bestand“ an seinen Vorgänger an – und treibt dessen markante Stilelemente voran.
Geblieben sind die inneren Rhythmus-Kämpfe, in die sich die Gitarren verzetteln. Der mal kunstvolle, mal verzweifelte, nun weniger wütende Gesang Amrs. Die tiefe Melancholie, die Musik und Text tragen. Sowie das konzeptuelle Ganze, das Zinnschauer umgibt. Letzteres wird nun sogar noch weiter ausgebreitet. „Das Zimmer Mit Dem Doppelten Bestand“ ist ein Album voller musikalischer und sprachlicher Verstrickungen: Die Refrains beschränken sich niemals auf nur einen der zehn Songs, tauchen daher im Albumverlauf in abgewandelter Form immer wieder auf. Und auch die Motivik ist wiederkehrend: Das rote Band, das einengende Zimmer, der in ihm befindliche Schrank, die Lilien im Sand, der Sturz und der Aufbruch ins Unbekannte.
All dem verpassen Zinnschauer und Team sechs Jahre nach dem Debüt ein watteweiches Jackett, das mit Klavier, Streichern und Chorälen gefüttert wird. Der Sound reicht daher von hallig und leise zu laut und pompös und liebäugelt auf „Was Vorher Gilt Und Auch Danach“ gar mit Electronica. Gelegentlich komplettieren die Songs zudem gesprochene Erzählparts. Dank ihres mystischen und wärmenden Charakters könnte die daraus entspringende Stimmung – zieht sich vom Eröffnungsstück „Linie Im Sand“ bis zum Bogen-schlagenden „Sonnen Im Gesicht“ – nicht besser in derart nach innen gerichtete Zeiten passen.
So klein der Raum ist, in dem die Songs spielen, so groß sind die Landschaften, die die Stücke mit ihren langen Spannungsbögen besteigen. Selbst wenn diese sich zu ihrem Ende hin zunehmends aufschichten und wie in „Ein Sturz (Bisse)“ in einem eklektischen Ausbruch wiederfinden, bleibt das Gefühl bestehen, in der Platte einen Gefährten für die oft einsame Winterzeit gefunden zu haben. Einen, der das Gefühl vermittelt als wärmende Decke für Wohlbehagen sorgen zu wollen, aber in den richtigen Momenten auch Verzweiflung und Frust Ausdruck verleiht. Gibt Kraft!
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Und so hört sich das an:
Die Rechte für das Albumcover liegen bei Kapitän Platte.
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