Weihnachtszeit, Musicals, Theater, Kitsch – it’s a match. Wenn die Sonne sich nahezu gar nicht blicken lässt und auch die Helligkeit bereits gegen 16:30 Uhr verschwindet, ist es Zeit, um es sich in den schönsten Kultureinrichtungen des Landes gemütlich zu machen. Die heben auch Anton Zetterholm und Harriet Jones hervor. Laut ihnen gibt es wohl sonst nirgendwo eine dermaßen hohe Dichte an Orten, wo Musik und Schauspiel so stilvoll zelebriert werden wie in Deutschland. Somit findet A Musical Christmas auch in Dortmund statt und nicht in London.
Die Oper Dortmund zeigt sich vielseitig. Neben klassischen Produktionen finden auch stets Musicals ihren Weg in das bereits von außen auffallend schicke Gebäude. In der letzten Saison war “Berlin Skandalös” Teil des Programms, das auch uns ziemlich gut unterhielt, 22/23 gibt’s mit “Cabaret” einen großen Namen, an dem man seit über 50 Jahren nicht vorbeikommt.
Was das alles mit Anton Zetterholm zu tun hat? Sehr viel. Der 36-jährige Schwede startete in Deutschland mit Anfang 20 seine Musicalkarriere, nämlich als erster Tarzan im gleichnamigen Stück. Er gewann 2008 die TV-Castingshow “Ich Tarzan, du Jane!”, machte es aber im Vergleich zu sehr vielen anderen Gewinner*innen von Castingformaten wesentlich besser, sodass er bis heute im Genre ganz vorne mitwirkt. In 14 Jahren hat sich Zetterholm einmal durch die deutsche Musicallandschaft gespielt – darunter auch “West Side Story” und “Berlin Skandalös” in der bereits erwähnten Oper Dortmund – jedoch 2013 auch einen für ihn wichtigen Stopp in London eingelegt, um sich am West End auszuprobieren. Eine verdammt gute Idee.
Denn gleichzeitig landet die Engländerin Harriet Jones in der West-End-Produktion des “Phantoms”. Dabei wollte sie doch unbedingt Opernsängerin werden und auf gar keinen Fall eine dieser Musicaltanten, wie sie es scherzhaft am 8.12., einem Donnerstag, in Dortmund erzählt. Doch ihre Mutter pusht sie, zur Audition zu gehen. Einige Tage später ist sie die Erstbesetzung für die weibliche Hauptrolle Christine und verzaubert Anton Zetterholm, der im Publikum sitzt.
Zurück in die Gegenwart: 2022 sind beide längst verheiratet und haben während der Corona-Zeit zwei Babys bekommen. Als Musicaldarsteller*in war ja nicht so viel mit Arbeit. In Deutschland ist Zetterholm unter Musicalfans einer der bekanntesten Namen, sodass bei einer einzigen Aufführung in Dortmund die Hütte schnell voll ist. Auch wesentlich voller als mittlerweile gewöhnt, wie er selbst erwähnt. Freie Plätze gibt es nur vereinzelt.
Mit einer kleinen Verspätung von rund fünf Minuten beginnt das 100-minütige Programm, das von einer großen Pause, die über eine halbe Stunde dauert, genau in der Mitte unterbrochen wird. Die “Weihnachtliche Musicalgala”, so der Untertitel, zeigt sich der Jahreszeit entsprechend von ihrer nostalgischen, verträumten, zuckersüßen und stilvollen Seite. Das Bühnenbild ist eine Kombination aus Geschenken, klassischem Holzspielzeug in großer Ausführung, aufgebaut vor einer Schneelandschaft. Der große Bildschirm im Hintergrund projiziert in mehreren Wechseln schöne Szenerien und macht es so richtig muckelig auf den Sitzen. Zusätzlich fährt einige Male eine riesige Discokugel herunter, die den Saal in bewegende Glitzerlichter taucht. Inszenierung? Alle Punkte.
Auf exakt demselben “Hier kann man einfach nichts kritisieren”-Level bewegt sich sowohl die vierköpfige Band unter der Leitung von Hannes Schauz, die zwischen Jazz-, Swing-, Pop- und reinen Pianoarrangements gekonnt switcht. Ganz selten sind die Drums mal ein wenig zu laut, sodass der Gesang nicht dauerhaft im Vordergrund steht, aber das passiert zum Glück nur bei zwei bis drei Titeln. Sämtliche Musiker des Quartetts kennt Zetterholm übrigens bereits durch “Tarzan”. Er erwähnt mehrfach, wie gern er mit ihnen arbeite und wie beeindruckt er von deren Können doch sei.
Denn ja, der Gesang ist zweifellos das Hauptaugenmerk der Show. Harriet betritt als erste die Bühne und leitet mit dem Disney-Theme “When You Wish Upon A Star” aus “Pinocchio” in die fantastische Welt, die 2022 leider nicht d’accord geht mit der Realität da draußen, aber hier für fast zwei Stunden kreiert werden darf. Der, für den zumindest die Musicalfans an jenem Abend da sind, lässt also ganz gentlemanlike seiner Frau den Vortritt. Die stimmige Harmonie unter den Beiden ist aber das, was der Gala das Prädikat “Besonders wertvoll” verleiht – beide sprudeln über vor Liebe, necken sich ein wenig, liefern unglaublich charmante Moderationen und singen einfach sensationell toll.
Anton Zetterholm schafft es trotz seiner hohen Beliebtheit nahbar zu bleiben, erzählt unzählige Anekdoten über seine Zeit in Deutschland, frischgebackene Familiensituationen und schreckt sogar vor intimen Geschichten über seine Eltern, die geschieden sind, aber beide an dem Abend vor ihm sitzen, nicht zurück. Harriet Jones spricht zwar noch kein Deutsch, hat dafür aber auf Englisch genauso unterhaltsame Storys vorbereitet – und Kleider. Mehrere. Eine Hand voll präsentiert sie während der Show und sieht in einem besser aus als im nächsten. Anton bleibt im schicken Anzug, überbrückt die Umziehpausen mit Schnackerei und kehrt erst zum Finale in einem zweiten Kostüm zurück.
Was erwartet einen musikalisch bei A Musical Christmas? Verrückt: Weihnachtssongs und Musical. Tatsächlich aber wesentlich mehr Musical, nämlich gut drei Viertel. Da kann man im nächsten Jahr – es wurde schon angedeutet, dass eine Rückkehr nicht unwahrscheinlich ist – etwas anders gewichtet werden. Die ausgewählten Songs aus dem Musiktheatergenre machen aber trotzdem fast durchweg sentimentale Stimmung, sodass sich Weihnachts- und Musicaltitel gut miteinander arrangieren.
Man ist multikulturell unterwegs. Somit gibt es den Großteil auf Englisch, aber auch manches auf Deutsch (“Die Schöne und das Biest” aus “Die Schöne und das Biest”), Schwedisch (“Jul Jul”, Gustaf Nordqvist), Italienisch (“The Prayer” aus “Quest for Camelot”), Spanisch (“Feliz Navidad”, José Feliciano) und Latein (“Ave Maria”, Franz Schubert). Generell ist die Songauswahl bis auf kleine Ausnahmen äußerst originell. Ein Christmas-Mash-Up aus allen beliebten Klassikern, zu dem Anton Zetterholm sich und seine Frau auf der Akustikgitarre begleitet, “Jingle Bells” in einer verjazzten Version inklusive leicht überdrehter Choreografie, Songs aus Insidern wie “Tick, Tick… Boom!” oder “The Book of Mormon“, fast vergessene Evergreens aus “Annie Get Your Gun”, eine Hommage an frühere Rollen von Anton in “West Side Story” und “Berlin Skandlös” sowie Harriet in “The Phantom of the Opera”. Dazu gibt es einen Spoiler, bei dem die Ohren automatisch spitz werden: Gemeinsam singen sie ein Medley aus “Sweeney Todd”, das im nächsten Jahr auch in der Oper Dortmund gespielt werden soll. Eine perfekte, weil so untypische Wahl. Das Einzige, was man wirklich weglassen kann: Den völlig klischeehaften “Grease-Megamix” zum Finale, der so wirkt, als ob er nur dafür da sei, auch die allergrößten Musical-Dummies abzuholen und zum Mitklatschen zu animieren.
Anton und Harriet sind so gut gelaunt und freudig an dem Abend, dass sie sich fast schon ein Gesangsbattle liefern. Beide zeigen 100% ihres Könnens und zaubern eine Gänsehautpassage nach der nächsten aus dem Ärmel. Wahnsinnig beeindruckende Töne, oftmals ganz A-cappella. Highlights gibt es viele, möchte man dennoch etwas nennen, was ganz besonders hervorsticht, ist es “Good-Night” aus “Berlin Skandalös” von Zetterholm, für das nochmal das Originalkostüm angezogen wird, und das auf 1+-mit-Stern-Niveau vorgetragene “Think Of Me” aus dem “Phantom” von Jones, was man in der Qualität wirklich sehr, sehr, sehr selten hört.
Großer Beifall, stehende Ovationen nicht nur beim letzten Applaus. Anton Zetterholm und Harriet Jones beweisen in A Musical Christmas mit vielen Küssen ihre Liebe zueinander und ebenso mit starker Stimme ihr Feeling für Musik, das durch die tolle Band untermalt wird. Ein ganz tolles Konzert, das Potenzial hat, eine Dortmunder Tradition zu werden. Weihnachten, ein bisschen Kitsch, Musical und die Zwei? It’s a match.
Und so hört sich das an (Ausschnitt aus “Berlin Skandalös”, 2021):
Anton Zetterholm: Facebook / Instagram / Twitter
Harriet Jones: Facebook / Instagram / Twitter
Die Fotorechte liegen beim Theater Dortmund/Presse
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