“Idylle” heißt das dritte Album der deutschen Post-Hardcore-Lieblinge Heisskalt. Veröffentlicht wurde es ohne große Ankündigung, produziert hat die Band das Werk zum ersten Mal im kompletten Alleingang, zu kaufen gibt es das Album nur über die Kanäle der Band, große Vertriebe wie Amazon werden gemieden. Trotzdem scheint das Werk in aller Munde, was wohl auch an dem radikalen Stilwechsel liegen kann, eine ausführliche Rezension findet ihr hier. Es ist weniger nach vorne peitschend, dafür werden die gesellschaftskritischen Texte gedämpfter, ironischer verpackt. Von der einstigen Referenz Post-Hardcore ist kaum etwas übrig geblieben, Post-Punk ist die neue Soundwelt. Natürlich waren alte Genre-Grenzen für die Visionäre von Heisskalt schon immer eher beiläufig, dennoch fällt es bei einem so krassen Wandel schwer, sich eine zusammenhängende Live-Darbietung aus alten und neuen Songs vorzustellen.
Knapp eine Woche nach Release dieses Überraschungswerks findet die Band den Weg in die Zeche Bochum. Mit dabei ist das Trio Van Holzen, das erst letztes Jahr mit dem Debütalbum “Anomalie” für einen Begeisterungssturm gesorgt hatte. So wirkt der Auftritt wenig wie eine Support-Show, mitgesungen, gehüpft, gepogt wird auch hier schon voller Inbrunst. Die junge Band freut sich sichtlich über diese extrem positive Rückmeldung und spielt sich ein mal mehr beeindruckend durch ein Set voller Hits, grandioser Riffs und pendelt zwischen Desert-Rock, Post-Hardcore und diversen anderen artverwandten Genre. Eine passendere und stärkere Vorband hätte sich Heisskalt nicht aussuchen können!
Aufgeheizt ist das Publikum also – was aber auch an dem extrem schwülen Wetter liegt. Dann hüllt Nebel die Bühne ein, ein elektronischer wabernder Beat begleitet die ersten Lichtshow-Elemente. Als Opener wird “Bürgerliche Herkunft”, die erste Single-Auskopplung des neuen Albums, gewählt. “Zwei Möhren, das geht nicht”, schreit Mathias Bloech und reckt dabei zwei Möhren in die Luft. Das gesamte Publikum kann den Text jetzt schon auswendig, der Pit ist wieder eröffnet. Allerdings reiht sich dieser Song vor allem musikalisch noch nahtlos in die Reihe großer Hits wie “Nacht ein” und “Nicht anders gewollt” ein. Spannend wird es dann bei den musikalischen Ausreißern, die Heisskalt mal von einer ganz anderen Seite zeigen. Post-Punk-Nummern wie “Wiederhaben” oder “Tapas und Merlot”: Bloechs Stimme verhallt vor verhuschten Gitarrenwänden, während das Schlagzeug viel stärker als auf Platte vorantreibt. “Idylle” macht dem Songtitel alle Ehre und treibt ganz sanft, ganz ohne Aufregung nach vorne. Beim Song “Herbstlied” steht Bloech alleine auf der Bühne und muss sich das Gehör für den ruhigsten Song des Abends erstmal verschaffen – begeistert aber mit einer unglaublich sanften Nummer. Weniger direkt, weniger ausufernd sind die neuen Songs. Live wurde hier aber demonstrativ bewiesen, wie durch diese neuen Klänge ganz neue Möglichkeiten für eine Show geboten werden. Zwischen Songs wie “Hallo” (der heute musikalisch stark abgewandelt gespielt wird) und “Idylle” stehen Welten – Heisskalt beherrscht sie alle. Durch diese neuen Wechsel wirken die Gitarrengewitter noch brutaler, die ruhigen Passagen noch kühler.
Zusätzlich überzeugen kann das durch den absolut makellosen Sound, den man wohl ohne Umschweife als perfekt bezeichnen kann. Auch die abwechslungsreiche Lichtshow schwankt, ähnlich wie die Musik, zwischen Atmosphäre und radikalem Ausbruch. Zum ersten Mal sind Heisskalt als Trio unterwegs, zum ersten Mal sind so ausgeprägte musikalische Unterschiede zu hören. Noch mehr als zuvor kann die Band mitreißen und überraschen. Kaum eine andere Band der deutschen Musiklandschaft kann momentan so begeistern, live und auf Platte. Danke dafür!
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