Philipp Poisel, Zeltfestival Ruhr Bochum/Witten, 30.08.2018

Philipp Poisel Zeltfestival

Männlicher Deutschpop ist in den letzten fünf Jahren so populär geworden, dass er kaum noch wegzudenken ist. Leider ist das Image um Max Giesinger, Andreas Bourani, Mark Forster und Konsorte nicht das Beste – spätestens seit Böhmis „Menschen. Leben. Tanzen. Welt“ hat jeder Song doch einen faden Beigeschmack und sorgt ungewollt für ein Schmunzeln. Ganz besonders, wenn nur vorgegaukelt wird, dass es sich um selbstgeschriebene Musik handele. Der 35jährige Philipp Poisel aus Ludwigsburg nimmt immerhin seit seinem ersten Album „Wo fängt dein Himmel an?“ das Ruder selbst in die Hand und heimst nicht irgendwelche Lorbeeren ein, die eigentlich anderen zustehen. Die Platte „Mein Amerika“, die letztes Jahr erschien, wird seit einiger Zeit auch live gespielt und macht am 30.08. Stopp in Bochum/Witten beim Zeltfestival Ruhr.

Von einigen anderen Gigs beim Zeltfestival ist man es eigentlich gewohnt, dass auch kurz vor Beginn noch gut ein Platz in den vordersten Reihen zu ergattern ist. Das Gelände bietet unzählige kulinarische Köstlichkeiten aus aller Welt, ebenso bunte Deko, teure Designerstücke und gemütliche Sitzmöglichkeiten. Trotz etwas diesigem Wetter macht ein Bummel durch die Stände richtig Spaß. Bei Philipp Poisel scheint das ein bisschen anders. Tatsächlich ist das große Sparkassenzelt bereits eine halbe Stunde vor Konzertbeginn gut gefüllt – die Show ist fast ausverkauft.

Angekündigt ist der Auftritt für 20:30 und vorbildlich geht nicht mal fünf Minuten zu spät das Licht aus. Eine Vorgruppe fällt aus, stattdessen gibt es direkt die vierköpfige Band zu sehen – klassisch zusammengesetzt aus Drums, E-Gitarre, Keys und Bass. Der Frontmann der Truppe kommt als letzter auf die Bühne, zunächst ohne Instrument. Später wird er zu diversen Gitarren greifen. Dann startet die insgesamt 90minütige Show.

Es dauert nicht lange, bis der Großteil der Leute die Handys zückt. Manche natürlich um Fotos oder Videos zu machen – viele jedoch um sich abzulenken oder auf die Uhr zu schauen. Unglücklicherweise verläuft die erste Stunde des Auftritts so unspektakulär, dass etwas aufkommt, was es selten bei Konzerten gibt: Langeweile. Und zwar RICHTIGE Langeweile. Ja, die Musik ist bereits bei den Studio-Versionen eher gediegen. Allerdings scheint das on Stage mal so gar nicht zu funktionieren. Einige Songs, wie das beschwingte „Froh dabei zu sein“ werden auf Solo-Akustikgitarre reduziert und verlieren damit jegliche Dynamik. Es fällt schwer, die Stücke voneinander zu unterscheiden, da jede Instrumentierung gleich gehalten ist – variiert wird nur zwischen voller Band und etwas weniger Band. Stimmlich klingt Philipp Poisel zwar wie von Platte, geht aber mit dem Mikrofon schlecht bis gar nicht um. Seine vollen, (wenn man es so nennen mag) lauten Stellen singt er direkt mit dem Mikro vorm Mund und die leisen genauso – der Tontechniker pegelt sich kaputt und mindestens die Hälfte ist nicht verständlich, weil sie so undeutlich gesungen wird. Das überwiegend weibliche Publikum trällert mit und ist wesentlich besser verständlich als das, was durch die Boxen dringt. Auch das führt zu dem Langeweile-Empfinden.

Zwischen den Songs schreit Herr Poisel Worte ins Mikro, die genauso unverständlich bleiben. Was ist denn hier los? Den Gesang versteht man nicht, weil er so genuschelt und dynamisch schlecht präsentiert wird; die Ansprachen versteht man nicht, weil es Geschreie ist. Einiges wie „Danke, dass ihr nach zehn Jahren immer noch nicht gegangen seid“ versteht man aber doch. Solche Sätze und das merkwürdige Verhalten des Sängers führen dazu, dass man ein wenig ratlos durch die Gegend starrt. Das Licht, das zwar wirklich schöne Kegel in Lila- und Blautönen wirft, gibt kaum die Chance das Gesicht des Liedermachers zu sehen. Alles ist sehr dunkel gehalten. Die meiste Zeit schaut er auf den Boden oder hat seine überlangen Haare davor. In den wenigen Momenten, in denen die Show etwas an Fahrt aufnimmt und auch das Publikum sich mal bewegen darf und möchte, werden von unkoordiniertem Getanze und Gehüpfe unterstützt – bis hin zu Breakdance. Ja, das ist kein Witz. Philipp Poisel macht in den Zugaben zu seinen eigenen Songs Breakdance. WTF!?

Beobachtet man die Leute in der Crowd wird schnell auffällig, dass es quasi zwei Gruppen gibt: diejenigen, die alle Songs mitsingen können und diejenigen, die nicht wissen, warum sie gerade hier sind. Der Funke springt einfach nicht über. Trotz hochemotionalen Texten und einer intimen Instrumentierung bleibt das Zelt ohne Gefühl. Es ist einfach zu groß, um authentische tiefe Berührung zuzulassen – um showtechnisch hingegen zu überzeugen passiert jedoch zu wenig, genau genommen nichts. Außer Licht ist kein Element zu sehen. Der männliche Teil vor der Bühne scheint nur als Begleitung herzuhalten. Zitat von einem Herrn schräg hinter mir: „Alle Sackträger wünschten gerade, sie wären tot“. Der hat gesessen.

Ganz so schlimm ist es ja auch nicht, aber eben dennoch wirklich nicht gut. Der Sound überzeugt nicht, alle Leute stehen irgendwie rum und tun nichts, Herr Poisel verhält sich strange. Echt nette Momente kommen erst zum Ende bei den Hits „Ich will nur“, „Liebe meines Lebens“, „Eiserner Steg“ und „Wie soll ein Mensch das ertragen?“ auf, in denen einige Wunderkerzen angezündet werden, das Publikum für viele Stellen allein singen darf oder bei „Als gäb’s kein Morgen mehr“ und „Erkläre mir die Liebe“ sogar locker im Takt mitwippen. Leider gleicht das die vorhergehenden zähen Zweidrittel kaum aus.

Philipp Poisel mag seine Daseinsberechtigung haben. Die Alben sind in der Tat ok bis gut und eben für eine bestimmte, aber dennoch breite Radiohörergruppe zugeschnitten. Live hat das aber wenig Substanz und ist für ein Konzert schlichtweg viel zu wenig Unterhaltung oder musikalisches Können.

Und so hört sich das an:

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Foto von Christopher.

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