„Jetzt mal was ruhiges“, sagt Max Rieger, während er stur geradeaus in Richtung Publikum schaut. Kevin Kuhn spielt ein kleines Jazz-Fill. Rieger deutet ihm mit seinen Händen an, er solle noch behutsamer spielen, die Schlagzeugfelle noch seichter erwischen. Dann bricht die Hölle los. Die Band, die Rede ist von den Die Nerven, schmeißt den mehreren hundert Zuhörern in der Essener Zeche Carl die hektischen Akkordfolgen von „Aufgeflogen“ um die Ohren. In den Strophen kehrt dann wirklich etwas Ruhe ein. Später steht Max Rieger zu „Der letzte Tanzende“ ganz dicht an seinem Mikrofon, das für den eh schon großen Mann nochmal mit purer Absicht ein Stückchen zu hoch eingestellt ist, sodass er seinen Kopf beim Singen immer leicht gen Hallendecke reckt. Immer wieder hebt er seinen Zeigefinger, als wolle er sein Herz ausschütten, als setze er zu den ersten Zeilen des Songs an, während seine beiden Kollegen ihre Parts bereits abliefern. Immer wieder setzt er im entscheidenden Moment doch wieder einen Schritt zurück. Das geht einige Male so, bis der Gitarrist das ungeduldig wartende Publikum in die Fänge des Songmonstrums entlässt. Dieser Ausdruck des Impulses, dieses Spontane, das doch leicht sonderbare Gehabe, zieht sich durch den ganzen Abend, der ansonsten ganz unter dem Zeichen von „Fake“, dem aktuellen Album des Trios, steht. Das Konzert in Essen ist Teil der bereits dritten Rutsche von Tourdaten zu der vierten Die Nerven-Platte.
Bevor die drei Musiker zuvor die Bühne betreten, wirkt diese ungewöhnlich leer. Nur zwei Verstärker, einige Gitarren und Bässe, das Drumkit und zwei in der Mitte platzierte Mikrofonständer zieren die große Fläche. Nahmen zuvor noch Walls & Birds den Raum mehr oder minder mit Verpeiltheit und süßlichen Dream-Pop-Klängen ein, so geschieht das bei den Die Nerven ganz alleine über Musik, eindringliche Lichtshow, viel Nebel und einzigartige Bühnenpräsenz. Wenn Gitarrist und Sänger Rieger vor dem Schlagzeug kniet, bei jedem Snare-Schlag zuckt, als habe ihn ein Blitz getroffen, wirkt die Bühne auf einmal wieder ganz klein. Mit „Niemals“, dem wohl bislang eingängigsten Song der stets miesepetrigen Band, beginnt das Konzert noch eher gelassen. Obwohl das von Bassist Julian Knoth gesungene Stück im letzten Jahr auch fernab des Die Nerven-Fankreises Wellen schlug, ist die Stimmung hier noch etwas verhaltener als zu den vielen ausufernden Jams, Instrumental-Passagen, treibenden Parts.
75 Minuten spielen die Stuttgarter inklusive Zugaben, unter denen auch eine grandiose Gitarren-Version vom „Fake“-Titeltrack weilt. Immer wieder weichen die drei Musiker von den ursprünglichen Songstrukturen ab, ergänzen Parts, improvisieren zwischen Songs, covern Pink Floyds „Shine On You Crazy Diamond“. Kurz vor Ende des Hauptsets wiederholt der Gitarrist auf seinem Instrument immer wieder dieselbe Melodie, die anderen beiden Stimmen ein, man verliert sich in der Repetition, irgendwann geht dieselbe Melodie im Schlagzeuggewitter unter. Zeit zum Ausruhen bietet das ausgecheckte Set nicht. Falls doch, wenden sich diese ruhigen Momente ohne zu zögern wieder neuen Höhepunkten zu. Der sehr eng geschnürte Auftritt verlangt einem einiges ab. Es wird getanzt, gesungen, gestaunt. Es bleibt ein grandioses Konzerterlebnis mit einer ganz besonderen Band.
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Und so hört sich das an:
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Die Nerven live 2019:
21.02. – Forum, Bielefeld
22.02. – Schaubühne, Kiel
23.02. – Loppen, Kopenhagen (DK)
24.02. – Mau Club, Rostock
27.02. – SO 36, Berlin
28.02. – Z Bau, Nürnberg
01.03. – Kammerspiele, München
02.03. – Zauberberg, Passau
Foto von Jonas Horn.
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