„Ach, die gibt’s auch noch?“ – eine der wohl typischsten Reaktionen, wenn es um Neneh Cherry geht. Die Schwedin mit der musikalischen Großfamilie macht auch nach über drei Jahrzehnten noch eine gute Figur. Trotz insgesamt nur fünf Alben und dem letzten Singlehit vor 23 Jahren bleibt das Interesse nicht aus. Das im Oktober erschienene Album „Broken Politics“ sackt abermals durchweg gute Kritiken ein und wird nun durch eine Tour durch Europa ansprechend gefeiert. Die fast 55-jährige bereist dafür auch für zwei Gigs Deutschland. Einer davon ist am 19.2., ein Dienstag, im Carlswerk Victoria in Köln.
Die noch recht frische Eventlocation macht optisch wenig her, stellt sie einfach irgendeine Fabrikhalle dar ohne viel besonderen Schnickschnack. Außerdem sucht man sich auf dem großen Gelände ein wenig dämlich, bis man mal am richtigen Ort angekommen ist. Etwas mehr Zeit für die Anreise einzuplanen, schadet also nicht. Dafür klappt es aber im Vergleich zu dem nur wenige Minuten entfernten Palladium um Längen besser mit dem Klang. Der ist den ganzen Abend über nämlich wirklich gelungen, ballert ordentlich und klingt nie übersteuert. Sehr fein!
Als Support dient um Punkt 20h die Belgierin Charlotte Adigéry mit einem passenden Programm. Elektronische Sounds, die zum Tanzen anregen, mit souligem Gesang kombiniert werden und auch als Warm-up für eine lange Clubnacht herhalten könnten. Gefällt. Mal Französisch, mal Englisch. Cool, darauf darf man gern weiterhin ein Auge werfen.
Genau so pünktlich geht um 21h für Neneh Cherry das Licht aus. Mit dabei: eine gleich sechsköpfige Band und unzählige Instrumente. Percussions für Calypsoeinlagen, eine Harfe für sanfte Töne, E-Drums, ein sehr treibender Bass, Backgroundvocals, Synthesizer und unzählige Beats frisch aus dem Laptop. Das kann ja nur gut werden! Neneh betritt als Letzte locker und lässig die Bühne und kommt auf Anhieb genau so rüber, wie man es sich vorstellt. Eine sehr auf dem Boden gebliebene, intelligente Persönlichkeit, die etwas zu sagen hat, politisch bleibt und Musik als die Sache im Leben ansieht, die das ganze Chaos um uns herum erträglicher macht. Wahre Worte.
Wer denkt, dass hier Nostalgie zelebriert wird, hat sich scharf geschnitten. Von dem Sound, für den Neneh in den Top 3 der Charts landete, ist wirklich nichts mehr übriggeblieben. Oder sagen wir nur noch sehr wenig. Stattdessen bietet die Setlist gleich elf Songs von der aktuellen Platte und nur vier weitere. Das ist recht konsequent und passt so auch ganz gut, um ein homogenes Bild zu schaffen. Wer sich unter der Björk der 90er mit afrikanischen Hip-Hop-Sounds was vorstellen kann, kommt dem Ganzen schon relativ nah. Tatsächlich ist das Konzert äußerst experimentell, sehr treibend, teilweise sehr laut, sphärisch und hypnotisierend. Zum Glück kriegt es aber immer wieder die Kurve, bevor es zu freaky wird. Highlights sind das reduziertere „Synchronised Devotion“, die aktuelle Single „Natural Skin Deep“, die ordentlich die Hüfte shaken lässt und – wie es immer so ist – die paar Klassiker, die es dann doch gibt.
Allerdings reichen sich hier Highlight und Enttäuschung ein wenig die Hand. Einerseits freut sich das Publikum über ihren zweiten Hit „Manchild“, der dieses Jahr immerhin drei Dekaden überlebt hat. Besondere Überraschung ist der noch heute regelmäßig im Radio spielende „7 Seconds“, der durch das Fehlen von Youssou N’Dour mit ihrem Backgroundsänger ausschließlich auf Englisch daher kommt und leider eine neue Instrumentierung bekommen hat, die ihrem größten Erfolgssong zwar einen neuen Anstrich verpasst, aber sowohl ein wenig einschläft als auch nicht die Emotion des Originals erreicht. Zum Abschluss bietet schließlich „Buffalo Stance“ die letzte Zugabe. Hier wurde zwar der Sound mehr wie im Original belassen, dafür driftet er in eine leichte Remixsession ab, sodass ein Großteil des Refrains kein einziges Mal vorkommt. „Buffalo Stance“ ohne „Buffalo Stance“. Ok!? Leider fehlen „Woman“ und „I’ve Got You Under My Skin“ gänzlich.
Nach 77 Minuten inklusive Zugaben ist auch schon Ende. Das Publikum, welches überraschend wenig Hipster-Like und eher mit vielen Normalos um die 40 Jahre daherkommt, reagiert zwar mit einem höflichen Applaus und ein paar Rufen, so wirklich ausgerastet wird aber nicht. Ist halt auch alles ein wenig zu zügig vorbei und zu gegenwärtig. Gefilmt wird fast nur bei den Classics. Darauf scheint Frau Cherry wenig zu geben, was auf jeden Fall ein großes Selbstbewusstsein beweist und auch ihre künstlerische Ader unterstreicht, aber eben auch etwas unbefriedigt zurücklässt.
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Bild von Christopher.
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