Wer am 20.7., einem Samstagabend, im E-Werk ist, braucht entweder Ohropax oder äußerst tolerante Öhrchen. Warum zur Hölle ist denn der Gig von Skunk Anansie so dermaßen laut, dass es echt unangenehm wird und deswegen auch nicht mehr gut klingt? Lässt man diesen Fakt außer Acht, bekommt man aber ein wirklich mitreißendes Konzert voller purer Energie.
25 Jahre Bandjubiläum! Schaffen nicht alle. Bereits im Januar wurde das Begleitwerk „25Live@25“ unter die Leute gebracht, das eine gekonnte Mischung aus Best of- und Live-Platte darstellt (lest HIER nochmal unsere Kritik dazu). Aber was nützt eine geile Scheibe von einer äußerst guten Liveband ohne Auftritte? Nüscht. Denken sich wohl auch die vier Briten und ballern deswegen den gesamten Sommer durch Europa. Gehalten wird fünfmal in Deutschland, unter anderem eben auch in Köln. Eine Stadt, die bisher bei nahezu jeder Skunk-Tour auf dem Programm stand und auch dieses Mal wieder ausverkauft meldet.
Die Band ist keine 20 mehr, das Publikum auch nicht. Das Durchschnittsalter der 2000 Besucher dürfte geschätzt bei 40 liegen. Während die 90er durch maskulinen Brit-Pop, Girl- bzw. Boybands und Eurodance dominiert wurden, waren Bassist Cass, Drummer Mark, Gitarrist Ace und Sängerin Skin stets eine wohltuende Gegenbewegung. Auf instrumentaler Ebene straighter Rock, der mal richtig losprescht, um dann doch wieder mit vielen Streichern begleitet geschmeidig zu wirken – abgerundet aber mit einer der markantesten Soulstimmen des Musikbusiness, die genug Power hat, um einem alles um die Ohren zu pfeffern.
Genau das zeigt auch der Auftritt. 110 Minuten lang spielen die Musiker, die mittlerweile fast alle die fünfte Null im Alter erreicht haben, als gäbe es kein Morgen. Begleitet von einer mehr als nur sympathischen Backgroundsängerin, die auch am Keyboard und den Percussions eine gute Figur macht und mit Skin perfekt harmoniert. Bereits beim Opening „Charlie Big Potato“ ist die Hitze im Raum spürbar, obwohl es vor der Tür regnet und es keine 20 Grad warm ist.
Bevor man jedoch um 21:08 in den Genuss der Gruppe kommt, darf man sich fast eine Dreiviertelstunde durchs Vorprogramm quälen. Das Quartett allusinlove, ebenfalls aus UK, darf bereits über 15.000 Gefällt Mir-Angaben bei Facebook zählen und passt soundtechnisch auch in Ansätzen ganz gut zum Hauptact. Leider scheinen jedoch die Jungs wenig facettenreich zu sein. Zwar wird schon nach wenigen Sekunden ordentlich Gas gegeben, der Head gebangt, sich obenrum freigemacht und wild über die Bühne gesprungen – dafür ist auf inhaltlicher Ebene zu viel Leerlauf. Frei nach dem Motto „Kennst du einen, kennst du alle“ wird sowohl im Tempo als auch im Rhythmus und in der Spielart wenig variiert. Strengt an. Wie die Klicks zeigen, scheint die Band eine Zielgruppe bereits gefunden zu haben – das Skunk-Publikum hingegen äußerst sich nur geringfügig begeistert und klatscht eher höflich als frenetisch.
Umso schöner ist das Klanggewitter, was einen daraufhin erwartet. Zwar sind die Regler unnötig bis auf volle Pulle gedreht, aber immerhin ist die Abmischung gelungen, wie Handyaufnahmen unter Beweis stellen. Sobald jedoch diese schöner klingen als der Sound im Raum, wird’s etwas kritisch. Dafür ist die Atmosphäre im E-Werk von Sekunde Eins grandios. Gerade die vordersten Reihen springen und moshen sich den Arsch ab. Skin betritt in einem ihrer extravaganten Kostümen die Bühne und hat sofort alles im Griff. Sie motiviert zum Tanzen, Mitklatschen, Mitsingen. Vieles funktioniert aber auch von allein. Dazwischen lässt sie sich bei „I Can Dream“ auf den Händen des Publikums durch die Halle tragen, klatscht bei „Weak“ die vorderen Fans ab und läuft bei der letzten Zugabe „Little Baby Swastikkka“ sogar bis zum Mischpult durch die Crowd, um hochzuklettern und anschließend per Stagediving zurück nach vorne zu gelangen. Dazwischen zappelt sie wie ein Flummi von einer Ecke in die nächste, schwitzt sich kaputt und schafft es trotzdem fast zwei Stunden lang tonal nahezu perfekt zu bleiben und für einige äußerst beeindruckende Töne zu sorgen. Egal ob ganz hoch, tief unten oder ungewöhnlich lang – die Frau kann alles singen und wirkt einfach wie eine Maschine, der niemals die Puste ausgeht. Wow.
Die Gruppe ist ein eingefleischtes Team. Jeder weiß, was er zu tun hat. Der Bass darf einige Male so knallen, dass der Boden vibriert und man ihn im Magen spürt. Mehr als 20 Tracks stehen auf der Setlist aus insgesamt sechs Studioalben, obendrauf zwei neue Titel. „What You Do For Love“ ist seit zwei Wochen auf den üblichen Portalen zu hören, „This Means War“ existiert bisher nur live – bitte, bitte ganz schnell mit einer Studioversion nachlegen! Ein treibender, aggressiver Track, der nur darauf wartet, von mehr Leuten gehört zu werden. Mit „Highway To Hell“ von AC/DC hat die Band überraschend ein Cover parat. Ansonsten gibt es für gewöhnlich nur eigene Stücke. Der Klassiker dient jedoch eher, um die Musiker vorzustellen und wird nur kurz angespielt. Ansonsten laufen viele bekannte Hits und ein paar fast schon vergessene Albumtracks. Der zeitlose Favorit „Hedonism (Just Because You Feel Good)“ fliegt durch die Halle und wird bis in die letzte Ecke mitgesungen (seht HIER einen kleinen Ausschnitt auf unserer Instagram-Seite). „Twisted (Everyday Hurts)“ ist das Pogohighlight, „Tear The Place Up“ bringt die Masse in Bewegung. Für Fans der Anfänge ist mit „Intellectualise My Blackness“ gesorgt. Politisch-frech und mit einem Theremin ergänzt, darf auch „Yes It’s Fucking Political“ nicht fehlen. Fans der wirklich großen Balladen müssen etwas zurückstecken. Außer „Hedonism“ werden nur „You’ll Follow Me Down“ und „Brazen (Weep)“ gespielt. „Squander“, „Charity“, „Death To The Lovers” und ganz besonders „Secretly“ fehlen. Letztes wird von einem Mädel aus der vorderen Reihe gewünscht und von Skin netterweise kurz A-cappella angestimmt. Außerdem hätten „Selling Jesus“ oder „Over The Love“ nicht geschadet, aber bei einem Repertoire von über 70 Songs kann man nicht jedem gerecht werden.
Zwischen dem ganzen Gewitter gibt es stets Momente, in denen persönliche Ansprachen stattfinden. Ansprachen mit Danksagungen, Aufforderungen zu mehr Toleranz, aber auch kritischen Äußerungen gegenüber aktuellen Vorkommnissen in der Regierung Großbritanniens. Skunk Anansie waren immer politisch, fielen optisch und musikalisch stets aus dem Rahmen und bleiben auch Anno 2019 genau so – und dafür kann man ihnen nur dankbar sein. Ein Konzert, das zwar ein paar leise Momente mehr vertragen könnte, aber atmosphärisch und generell auch qualitativ definitiv ein Highlight des Jahres darstellt.
Und so hört sich das an:
Website / Facebook / Instagram / Twitter
Foto von Christopher.
* Affiliate-Link: Du unterstützt minutenmusik über deinen Einkauf. Der Artikel wird für dich dadurch nicht teurer.