Kann Kunst frei sein? Nein, würden die einen sagen und auf den Einfluss von Erwartungen und Konventionen verweisen. Ja, würden die anderen meinen und betonen, dass ein jeder sich nur vor sich selber verantworten müsse. Die Wahrheit liegt vermutlich irgendwo dazwischen. Komplett kann sich wohl niemand von seiner Umwelt befreien. Aber eben ansatzweise. Für Musiker*innen bietet häufig der Griff zu einem Nebenprojekt die Möglichkeit, nochmal von vorne zu beginnen – zumindest so weit das möglich ist. Für Comeback Kid-Frontmann Andrew Neufeld sind Sights & Sounds gerade ein solches Nebenprojekt. Nach einem Album im Jahr 2009 und zwei EPs in den Jahren 2007 und 2013 veröffentlicht das Quartett nach langer Ruhe nun seinen zweiten Langspieler „No Virtue“. Der vermischt so viele verschiedene Einflüsse, man hat zwischenzeitlich wirklich das Gefühl, hier seien Freigeister am Werk.
In Deutschland erscheint die Platte über Munich Warehouse, das Label der deutschen Rock-Band Blackout Problems. Tatsächlich meint man nach einigen Songs Sights & Sounds hätten den Münchenern den Sound ihres kommenden dritten Albums vorweg genommen – schließlich schlug „Sorry“, die aktuelle Single der Blackout Problems eine ähnliche Richtung ein. Naja, warten wir mal den noch in der Zukunft liegenden Release der deutschen Band ab. Aber wie klingt „No Virtue“? Sights & Sounds vermischen ihre Hardcore-Wurzeln in den zehn neuen Songs mit einem deutlichen Elektro-Einschlag und spicken die Aufnahmen schlussendlich mit massenweise Studiospielereien. Das Ergebnis: Eine düstere Rock-Platte, die zwischenzeitlich Ausflüge in den Pop-Rock unternimmt, ihre dichte Atmosphäre dabei aber immer beibehält.
Da dürfen sich die Sound-Schichten wie im eklektischen „Resurface“, das von einem zunächst alleinstehenden, später von Gitarren gedoppelten Synthie-Bass angeführt wird, auch mal immer weiter auftürmen. Oder es übernehmen ein stampfender Schlagzeug-Beat und ein eindrucksstarkes Gitarrenmotiv das Ruder und ziehen sich mantraesk durch einen ganzen Song wie im bedrohlichen „Serpentine“. Ein anderes Mal schafft die Band Platz für soulige Rock- oder Dark-Pop-Balladen, die zumeist mit Klavier aufwarten – man lausche nur „Caught Up“ oder „Commonality“. Anderenorts ergänzen Sights & Sounds Gitarre, Bass, Schlagzeug und Synthesizer um einen Bläser-Satz, der sich wie im pompösen Titelsong auch in einem Solo verlieren darf.
Diese vielen Ideen und die Tatsache, dass es der Band ausnahmslos gelingt diese in ihren Sound zu integrieren, machen „No Virtue“ dann tatsächlich zu einem durchweg spannenden Hörgenuss, der wenig vorhersehbar ist. Wer so furchtlos auf den Pop zugeht, auf dem Weg kurz mit dem Hardcore kuschelt und schlussendlich beim Rock Halt macht, dem kann man zumindest eine gewisse Freiheit nicht absprechen. Die Frage nach der bis ins Letzte ausgelebten künstlerischen Freiheit, müssen wir aber trotzdem nochmal ausdiskutieren.
Das Album “No Virtue” kannst du dir hier kaufen.*
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Die Rechte für das Albumcover liegen bei Munich Warehouse.
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