Zum vierten Male gewinnt Frankreich den Junior Eurovision Song Contest. Damit zieht unser Nachbarland mit Georgien gleich, das ebenfalls viermal bereits siegen konnte – zuletzt im vergangenen Jahr, weswegen es Gastgeberland war. Besonders: Frankreich hat alle vier Siege innerhalb von sechs Jahren eingeheimst. Amtierende Gewinnerin ist Lou Deleuze, die mit „Ce Monde“ 248 Punkte erzielte. Das sind über 70 mehr als die Ukraine, die den zweiten Platz belegt. Georgien selbst wurde dritter.
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„Voilà, voilà, voilà, voilà qui je suis…“ – wie schön, dass dieser für Frankreich so enorm repräsentative Titel doch noch den Eurovision Song Contest gewinnen konnte. Aber nein, Moment… hat er ja gar nicht. Stattdessen hat am 13.12., dem Samstag vor dem 3. Advent, der 23. Junior Eurovision Song Contest stattgefunden. Der Gewinnertitel „Ce Monde“ klingt nur wie „Voilà“ und die Performance sieht nur aus wie „Voilà“. Und die Sängerin ist eben elf statt 28 Jahre alt. Ja gut, aber ansonsten besteht wahrhaftige Verwechslungsgefahr im georgischen Tiflis – und enorm viel Langeweile.
Doch das Schöne zuerst: Der Junior Eurovision folgt weiterhin einem ganz eigenen Kopf. Droht der große Bruder gerade gefühlt auseinanderzubrechen, weil die politischen Aufruhen wegen der Teilnahme Israels noch intensiver und lauter sind, so ist bei dem kleinen Ableger alles ein wenig friedlicher. Spanien und Irland, die beide schon für 2026 im Mai abgesagt haben, sind hier noch am Start, Israel selbst hingegen hat zuletzt 2018 teilgenommen. Mit 18 Ländern sind vergleichsweise viele Nationen in dieser Ausgabe vertreten. 2018 konnte mit 20 der bisherige Positivrekord aufgestellt werden, 2012, 2013 und 2020 hingegen mit 12 der Negativrekord. Deutschland legt nach vier Teilnahmen zwischen 2020 und 2024 erneut eine Pause ein. Offensichtlich war man erneut durch Platz 11 von Bjarne im Vorjahr enttäuscht worden.
Obwohl Georgien schon viermal gewann, ist die Hauptstadt Tiflis und generell das Land erst zum zweiten Mal Austragungsstätte. Im Gymnastics Palace ist richtig gute Stimmung, wenn um 17 Uhr der Startschuss fällt. Vorjahressieger Andria Putkaradze performt zwischen elfenartigen Tänzer*innen als Opening erneut seinen Titel „To My Mom“, zwei weitere Gewinner*innen Georgiens – nämlich Bzikebi aus 2008 sowie Candy aus 2011 – sind während der Abstimmungszeit dran. Das ist ein anständiges, hübsches Intervallprogramm. Doch damit sind die wirklich guten Parts für dieses Jahr auch schon erzählt.
Gehostet wird das Event von David Aladashvili und Liza Tsiklauri, die beide angestrengt und wenig enthusiastisch wirken. Sowieso macht der Wettbewerb erneut mit seiner zu streng durchchoreografierten, zu stark abgesprochenen und dann auch zu steifen Art einen mittelprächtigen Eindruck im Setting. Auch wenn es beim ESC nun schon zum dritten Mal in Folge das Motto „United By Music“ gibt, durfte der JESC noch bis zuletzt weiterhin autark agieren. Aber auch damit ist Schluss, denn seit dieser Runde lautet auch hier der Slogan „United By Music“. Boring.
Am Ende geht es aber natürlich immer noch um die Musik. Sagen wir so: Gesanglich ist das in weiten Teilen erneut beeindruckend. Dass viele Kids in solch jungen Jahren dermaßen lange, hohe Töne und teils herausfordernd schwere Melodiebögen hinbekommen, verdient einen riesigen Applaus. Dass man jenen Kindern aber solch unterirdisch dümpelnde, dramatische Balladen ohne auch nur einen Hauch von Chorus-Stärke komponiert, ist einfach schrecklich. Locker drei Viertel der 18 Beiträge sind so sterbensöde und underwhelming, dass spätestens beim Schnelldurchlauf auffällt, wie gleich das alles klingt. Leute, das sind Kinder! Können die nicht einfach mal Spaß haben? Können die nicht solch eine Musik performen, die sie auch privat hören? In den meisten Einspielern wirken alle super entspannt, hier spielen viele eine Rolle, die ihnen aber so gar nicht steht.
Es ist wirklich der Junior Eurovision Song Contest der überreizten Gefühle. Weltschmerz in Noten – oder in Nöten? Ob Balkan-Pathos aus Nordmazedonien und Montenegro, der schon beim eigentlichen ESC ganz oft nervt, ob Disney-Kitsch aus Malta und Spanien oder die pure Aufregung vor gesanglichen Herausforderungen aus Kroatien – das ist viel zu viel zu viel. Positiv hingegen funktioniert italienischer Rap-Pop von Leonardo Giovannangeli, den man ihm auf jeden Fall abnimmt, moderner und kantiger EDM aus der Niederlande („Freeze“) und allen voran das sehr mutige, folkloristische und gleichzeitig treibende Beatmonster „Motanka“ von Sofiia Nersesian aus der Ukraine. Sowieso eine Nation, die einfach immer (!) überrascht, nie auf Nummer sicher geht und damit zu 100 Prozent im Kopf bleibt. Auch wenn die internationalen Jurys hier mal wieder geschlafen haben und lediglich Platz 6 sehen, gibt das im Online-Voting mit 98 Punkten Platz 1 – final ein völlig berechtigter Platz 2 im Endergebnis. Geil.
Doch von diesen auflockernden, hit-verdächtigen Kompositionen gibt es sehr, sehr wenige zu hören. San Marino traut sich an Mumford & Sons-artigen Country-Pop namens „Beyond The Stars“, der nicht groß die Welt verändert, aber einfach süß über die Bühne gebracht wird. Auch hier sehen die Zuschauer*innen zurecht einen auffälligen Titel und belohnen die Winz-Nation gar mit dem 3. Platz im Onlinevoting. Message an alle fürs nächstes Jahr: Merkt euch bitte so etwas! Lieber etwas mit Ecken als völlig unauthentischer Bombast-Balladen-Schrott, den eh kein Kind abfeiert.
Dass am Ende Frankreich mit „Ce monde“ den vierten Sieg einholt ist irgendwo ok, schließlich hat Lou Deleuze super gesungen und sehr rund performt. Gleichzeitig wirkt aber ihr Auftritt sowie der Song so altklug und old-fashioned, dass man automatisch die Stirn runzelt, warum eine Elfjährige so etwas singen muss. Sie kann. Geht nicht um Skills. Jedoch wäre es so viel cooler, wenn sie einen Beitrag hätte, der danach in ihrer Schule geballert wird und nicht bei einer Weinprobe in der Provence.
Ja, mag nun alles etwas grumpy wirken, jedoch ist der Junior Eurovision Song Contest 2025 wirklich sehr murksig. Wie eine gedämpfte Kopie vom Original statt wie ein frischer jugendlicher Sturm, der die Anstrengungen dort draußen ein wenig vergessen lässt. Wer’s verpasst hat, braucht den Stream jedenfalls nachträglich nicht mehr zu gucken.
Hier nochmal alle Ergebnisse im Überblick:
01. Frankreich: „Ce monde“, Lou Delouze (152 Jury-Punkte, 96 Onlinevoting-Punkte, 248 gesamt)
02. Ukraine: „Motanka“, Sofiia Nersesian (79 Jury, 98 Online, 177 gesamt)
03. Georgien: „Shine like a Star“, Anita Abgariani (121 Jury, 55 Online, 176 gesamt)
04. Armenien: „Brave Heart“, Albert Armenakyan (117 Jury, 58 Online, 175 gesamt)
05. Spanien: „Érase una vez (Once Upon a Time)“, Gonzalo Pinillos (98 Jury, 54 Online, 152 gesamt)
06. Albanien: „Fruta perime“, Kroni Pula (60 Jury, 85 Online, 145 gesamt)
07. Nordmazedonien: „Miracle“, Nela Mančeska (92 Jury, 49 Online, 141 gesamt)
08. Polen: „Brightest Light“, Marianna Kłos (72 Jury, 67 Online, 139 gesamt)
09. San Marino: „Beyond the Stars“, Martina CRV (38 Jury, 87 Online, 125 gesamt)
10. Niederlande: „Freeze“, Meadow (47 Jury, 46 Online, 93 gesamt)
11. Malta: „I Believe“, Eliza Borg (54 Jury, 38 Online, 92 gesamt)
12. Italien: „Rockstar“, Leonardo Giovannangeli (26 Jury, 47 Online, 73 gesamt)
13. Portugal: „Para onde vai o amor?“, Inês Gonçalves (32 Jury, 41 Online, 73 gesamt)
14. Kroatien: „Snovi“, Marino Vrgoč (28 Jury, 42 Online, 70 gesamt)
15. Aserbaidschan: „Miau miau“, Yağmur (12 Jury, 54 Online, 66 gesamt)
16. Zypern: „Away“, Rafaella & Christos (3 Jury, 47 Online, 50 gesamt)
17. Montenegro: „I tužna i srećna priča“, Asja Džogović (10 Jury, 39 Online, 49 gesamt)
18. Irland: „Rúin“, Lottie O’Driscoll Murray (3 Jury, 41 Online, 44 gesamt)
Und so klingt der Gewinnersong aus Frankreich:
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