Vor zwei Jahren nahm uns Juse Ju auf seinem Album “Shibuya Crossing” musikalisch mit in seine Jugend zurück. Wir durchlebten seine Zeit in Kirchheim an der Teck und begleiteten ihn während seiner Kindheit zu einer aufregenden Zeit nach Japan. Nach den Höhen und Tiefen des Erwachsenenwerdens setzt der Rapper seine musikalische Autobiografie nun fort: nächste Woche Freitag erscheint das neue Album “Millennium“, auf dem Juse Juse seine Zwanziger Jahre genauer beleuchtet. An eine Karriere als Rapper war damals noch nicht zu denken – stattdessen standen ein Zivildienst in der Psychiatrie (“TNT”) und die Rückkehr nach Japan (“Model in Tokio”) auf dem Programm. Der CD- und Vinylbestellung von “Millennium” liegt zudem ein exklusives Bonusalbum bei, für das sich Juse Ju und sein alter Kumpel Bonzi Stolle noch einmal als gemeinsames Musikprojekt Massig Jiggs zusammengefunden haben. Genaueres zu “Millennium” und dem Bonusalbum erfahrt ihr nächste Woche in der dazugehörigen Rezension. Vorab haben wir uns mit Juse Ju aber schon mal ein bisschen über seine neue Platte unterhalten:
minutenmusik: Am 19.06. erscheint dein neues Album „Millennium“. Was ist das für ein Gefühl, dein Album gerade jetzt zu veröffentlichen, wo Promo und alles ja wegen COVID-19 eher schwierig sind?
Juse Ju: Scheiße ist das. Aber ich sag mal: andere trifft es härter als mich. Wenn du jetzt eine Tour hast, die du komplett streichen kannst, dann ist das blöd. Oder andere, die schon ein Album herausgebracht haben, hatten jetzt ja wahrscheinlich einen etwas größeren Festivalsommer geplant, insofern… Ich bin irgendwo in der Mitte. Es ist nicht so geil für mich, aber es könnte auch schlimmer sein.
minutenmusik: Das klingt ja erstmal noch ganz in Ordnung. Wie schon der Vorgänger „Shibuya Crossing“ ist ja auch „Millenium“ sehr persönliches Album, auf dem du über einen bestimmten Abschnitt deines Lebens erzählst. Dazu aber später. Kommen wir erst einmal zu einigen bestimmten Songs: es gibt auf der Platte unter anderem ein Lied gegen Autos (“Ich hasse Autos” mit Bonzi Stolle und Panik Panzer von der Antilopen Gang)! Was war da los, ist dir jemand über den Fuß gefahren oder gab es irgendein traumatisches Erlebnis, das dich zu diesem Song inspiriert hat?
Juse Ju: Ach, ich hasse einfach Autos. Ich sage nicht, dass man keine Autos haben sollte, aber immer, wenn ich auf die Straße rausgehe, dann sehe ich, dass da alle Autos geparkt sind. Die Autos werden nicht bewegt. Die Leute kaufen ein Auto und dann stellen sie es in meine Straße, ich komme raus und dann stehen da überall Autos! Und wenn ich ausnahmsweise mal eins brauche, dann kann ich nirgends parken. Es ist einfach ein klassischer Road Rage (Anm.: aggressives oder wütendes Verhalten des Fahrers eines Fahrzeugs). Ich kann auch in Berlin nicht Autofahren, ohne dass ich verrückt werde und auf das Lenkrad schlage, weil es mich einfach wahnsinnig macht. Es ist nur Stau, egal welche Uhrzeit, es ist immer Stau! Gleichzeitig stehen alle Autos. WIE GEHT DAS?! Es ist ein Paradoxon. Es kann eigentlich gar nicht sein und gegen dieses Paradoxon im Universum kämpfen Panik Panzer, Juse Ju und Bonzi Stolle in diesem Song an. Das Auto ist eine vorübergehende Erscheinung – ich setze auf das Pferd!
minutenmusik: Das ist gut möglich! Jetzt hast du vor einer Woche mit Fatoni bei einem Autokonzert in Bonn gespielt – hat das den Hass auf die Autos gemildert?
Juse Ju: Na ja, die Idee war ein Musikvideo zu drehen. Man muss ja schon fair sein, weißt du? Wenn man jemanden beleidigt oder eine ganze Gruppe von Geräten, wie ich die Autos, dann sollte man so fair sein und denen das auch ins Gesicht sagen. Deshalb sind wir zu einem Konzert gegangen, bei dem nur Autos das Publikum waren, um den Autos zu sagen, dass wir sie nicht mögen. Das war die Idee. Gegen die Menschen in den Autos habe ich nichts.
minutenmusik: Nur Bonzi Stolle in seiner Strophe!
Juse Ju: Es waren auch alte Freunde von mir in den Autos. Ja, aber sonst sehr lustig der Musikvideodreh.
minutenmusik: Wie sehr fehlen dir normale Konzerte denn aktuell so?
Juse Ju: Ich habe ja ein Album gemacht, das heißt, ich habe jetzt eh nicht damit gerechnet, dass ich in nächster Zeit total viele Konzerte spielen werde. Mir fehlt es deshalb nicht sehr. Ich denke, wenn ich jetzt ein Konzert spielen würde, dann würde ich mich nicht gut dabei fühlen. Diese Vorstellung, dass da irgendjemand – oder ich selber – zwanzig Leute mit Corona ansteckt… Man kann das einfach nicht gechillt machen. Und so lange man das nicht gechillt machen kann, habe ich irgendwie auch gar keinen Bock. Aber sobald es eine Lösung gibt und man das irgendwie wieder gechillt machen kann, finde ich es cool.
minutenmusik: Hoffentlich dann im Oktober, da ist die Tour ja geplant! Bei manchen Songs, wie zum Beispiel “Ich hasse Autos” aber auch bei der Single “Kranich Kick“, sieht man quasi schon den Moshpit vor seinem inneren Auge. Schreibst du die Songs bewusst mit dem Gedanken, wie sie live funktionieren werden oder spielt das für dich beim Schreiben keine Rolle?
Juse Ju: Es ist vielleicht nicht so eine konkret bewusste, kognitive Entscheidung, aber ich glaube, wenn man so lange wie ich rappt, dann denkt man die Ausraster schon sozusagen mit. Aber ich denke jede Emotion auf eine gewisse Weise mit. Ich versuche immer die Songs auf eine Emotion hinzuschreiben, also mich selber auf eine Emotion einzupendeln und darauf zu konzentrieren. Denn was viele Leute nicht merken ist, dass Musik in erster Linie Emotionen ist und nicht eine politische Debatte. Deshalb versuche ich genau das zu erreichen. Bei “Kranich Kick” ging es mir darum, diese Befreiung aus all diesen Zwängen und von dem, was von allen Seiten auf einen eindrückt, zurückzusprengen. Eine selbstbewusste Aggressivität sozusagen. Ja, so ein bisschen denke ich das schon mit, aber in erster Linie mache ich das, weil es auch Spaß macht. Also „Ich hasse Autos“ ist zum Beispiel ein Song, der ursprünglich auf das Massig Jiggs Album sollte und den ich dann aber so geil fand, dass ich gesagt habe, der muss auf mein normales Album. Dafür ist dann ein Solosong von mir über Geld (“Where’s my fukking Money“) auf das Massig Jiggs Album gekommen. Deshalb ist auch Bonzi Stolle auf diesem Song, weil der ursprünglich mal für das Massig Jiggs Album war. Das ist auch der Song, der am meisten drüber ist auf “Millennium“. Das Album ist sonst eigentlich relativ ernst und der Song, na ja… Ich glaube in der Realität habe ich tatsächlich erst fünf Leuten einen Waschbären unter die Motorhaube gesteckt. Im Song kommt es so rüber, als würde ich das jeden Tag machen, aber es ist eine Ausnahme!
minutenmusik: Gut für die Waschbären!
Juse Ju: Die Waschbären bleiben bei mir!
minutenmusik: Du hattest letztens bei Instagram auch schon so ein kleines Q&A gemacht und dabei unter anderem erzählt, dass „Model in Tokio“ zu deinen Favoriten auf der Platte zählt. Du erzählst darin, dass du auf der japanischen Fashion Week als Model gelaufen bist. Erzähl mal bitte ein bisschen darüber. Was magst du an dem Song so?
Juse Ju: Der versetzt mich zurück in diese Zeit vor zehn Jahren, als ich noch einmal als Erwachsener in Japan gelebt habe. Ich habe ja als Kind schon einmal fünf Jahre in Japan gelebt, aber dann auch noch einmal als Erwachsener. Das war einfach so ein abgefahrener Tag damals, deshalb denke ich da gerne dran zurück. Und ich denke auch, dass mir der Song aus einer Songwriting-Sicht sehr sehr gut gelungen ist. Der ist rund, der erzählt diese Geschichte und ich mag seine Hook. Man muss dazu sagen, der Song hat einen Background. Der Song ist eigentlich von Nikita Gorbunov, der mit seiner Tochter Mia Juni die Hook singt. Den hat er vor zehn Jahren über mich geschrieben. Nikita ist ein alter, sehr guter Freund von mir und als er gehört hat, dass ich als Model in Tokio gearbeitet habe, fand er das so witzig und so absurd, dass er einen Song geschrieben hat. Es war irgendwie ein sehr trauriger Song. Ich hatte den die ganze Zeit im Hinterkopf und habe gesagt, eigentlich müsste ich den mal noch auf mich ummünzen. Die Hook ist deshalb so geblieben, wie er sie gemacht hatte, und die Strophen habe ich dann geschrieben. Der Song ist sozusagen ein Remix geworden!
minutenmusik: Das ist cool! Als ich das Album zum ersten Mal gehört habe ist für mich vor allem der Song „Claras Verhältnis“ herausgestochen.
Juse Ju: Top, dazu hab ich gestern Nacht noch ein Video gedreht! Das Video kommt am Freitag, das ist die letzte Single vor Release!
minutenmusik: Ach krass, das ist ja schon ein ziemlich persönlicher Song, der von einer toxischen Beziehung handelt. Ist es komisch, solche Erlebnisse in einem Song zu verarbeiten – vor allem dann auch als Singleauskopplung – oder fühlt es sich eher befreiend an?
Juse Ju: Na ja, ich sag jetzt mal, wenn du konsequent bist als Schreiber, dann hast du gar keine andere Wahl als die Karten auf den Tisch zu legen. Alles andere ist… was soll das dann? Es gibt nicht viele Leute, die das im Deutschrap machen, aber es gibt so ein paar. Ich finde Casper ist so jemand, Haftbefehl ist auf seine Weise so jemand. Man kann nicht einfach sagen „ich bin jetzt Rapper, aber ich erzähle nichts von mir“ – das wird schwer. Es gibt sicherlich Leute, die können das, aber das sind die wenigsten. Man muss die Leute immer bei den Emotionen packen und da fängt man bei den eigenen an. Das Einzige, was ich mir gedacht habe, ist, dass man den Song vielleicht falsch verstehen könnte.
minutenmusik: Inwiefern?
Juse Ju: Also ich hasse nichts mehr als Rapper, die Songs über ihre Ex-Freundinnen machen. Das sind meistens irgendwelche komischen Anklage-Pamphlets und die sind ganz furchtbar, weil das natürlich Schwachsinn ist. Also erstmal: warum schreibt man eine Anklage gegenüber einem Menschen, mit dem man mal so eng war? Und zweitens: ausnahmslos jede Beziehung wird von beiden Seiten verkackt. Es gibt natürlich wirklich toxische Menschen, die da etwas mehr verkacken. Zu „Claras Verhältnis“ – die heißt auch nicht wirklich Clara. Ich hätte niemals ihren echten Namen benutzt, auch wenn diese Beziehung jetzt schon zehn Jahre her ist. Ich glaube nicht, dass „Clara“ mir jemals irgendetwas Böses wollte oder so. Die war ja mit mir zusammen, die wollte mir eigentlich erstmal etwas Gutes, und ich wollte ihr eigentlich auch etwas Gutes, aber wir gingen nicht zusammen. Das hat einfach nicht funktioniert. Das war ein Wettbewerb im Verletzen, wie Casper mal gerappt hat. Das war einfach super ungut. Was ich aber eigentlich herausarbeiten wollte, ist, dass es von uns Beiden immer dieses Ding gab, dass wir das Beide extrem wollten, aber extrem nicht konnten. Ich hoffe, man versteht, dass es mir überhaupt nicht darum ging, irgendwem eine Schuldzuweisung zu geben. Also weder ihr, noch mir.
minutenmusik: Nee, so kommt der Song für mich auch nicht rüber.
Juse Ju: Natürlich habe ich eine Perspektive darauf und sage dann, dass ihre komischen esoterischen Anwandlungen mir auf den Sack gingen, weil ich so Esoterikscheiß einfach nicht gut finde. Aber auf der anderen Seite sage ich auch selber, dass ich problematisch bin, weil mein Grundrespekt ihr gegenüber manchmal gefehlt hat oder dass ich sie sozusagen nicht so akzeptiert habe, wie sie ist. Dieses „ich möchte dich therapieren“, aber es ist nicht meine Aufgabe, sie zu therapieren, weil sie halt so ist, wie sie ist. Man muss zusammenpassen und wir haben nicht zusammengepasst. Aber wir haben uns gegenseitig sehr angezogen und ich fand das einfach total faszinierend, dass es wirklich so eine toxische Sucht wie nach einem Suchtmittel war. Nicht nur von mir zu ihr, und sie ist dann die Böse, oder von ihr zu mir und ich bin der Böse, sondern von beiden Seiten. Wir wollten Beide, aber es ist dann immer wieder explodiert.
minutenmusik: Verständlich… Zur Vorbereitung auf das heutige Gespräch habe ich mir einige alte Interviews angesehen und in einem Video sagtest du: „Man braucht keine Features. (…) Jeder Rapper, der ein Rapper ist, kann alleine einen guten Song machen. Wenn er das nicht kann, ist er halt kein guter Rapper.“ Auf „Millennium“ sind ja jetzt doch schon einige Features drauf – bist du kein guter Rapper oder hat sich deine Meinung dazu geändert?
Juse Ju: Nö, ich finde das stimmt immer noch genau so. Das bezog sich eher auf etwas anderes. Ich habe Alben gemacht, wo quasi niemand gefeatured ist. Also auf „Shibuya Crossing“ war jetzt glaub ich eine Hook gefeatured (“Propaganda” mit Danger Dan von der Antilopen Gang) und ein Song mit Edgar Wasser und Fatoni (“7Eleven”). Ich finde schon, dass ein Album stark von dem Rapper getragen werden muss, der man ist. Wenn du das alleine nicht tragen kannst, dann bist du halt ein scheiß Rapper. Wenn du alleine kein Album tragen kannst, was bist du denn dann? Die Features auf „Millennium“ habe ich tatsächlich für den Hörfluss gemacht, damit man einfach sagt, es ist cool, ab und zu mal jemand anderes zu hören. Wobei ich jetzt auch nicht finde, dass das so viele sind. Das ist jetzt ein Part von Milidance (Waving The Guns), ein Part von Mädness, eine Hook von Nikita…
minutenmusik: …und „Ich hasse Autos“.
Juse Ju: Und „Ich hasse Autos“, genau. Wobei „Ich hasse Autos“ ja wie gesagt ursprünglich mal ein Song von Bonzi Stolle und mir war, der nie als Solosong gedacht gewesen ist. Da muss man aber auch sagen, dass das ein Song ist, wo ich zwei, drei Parts von einer Person – egal wer das ist – langweilig fände. Man braucht die verschiedenen Perspektiven. Aber man sieht, dass die persönlichen Songs und auch alle Singles, die ich rausgebracht habe, Solosongs sind. Die Features sind tatsächlich eher eine Abwechslung. Den Song von Milidance hab ich schon seit zweieinhalb Jahren oder so geplant, seitdem wir uns mal persönlich kennengelernt haben und cool miteinander sind. Dieser Song mit Mädness war einfach so… ich mag seine Stimme und die Art, wie er flowt und habe gedacht, das ist mal eine ganz gute Abwechslung. Aber das war wirklich nur für den Hörfluss. Ich sage jetzt mal bis auf das Feature von Nikita, der ja diese Hook selber geschrieben hat, ist keins dieser Features total tragend für das Album. Meine Aussage hat sich so ein bisschen darauf bezogen, dass neue Rapper kommen und nichts anderes können, als jeden zweiten Song ein Promi-Feature drauf zu haben, weil sie halt selber gar nicht gut genug rappen. Die ziehen sich dann irgendwie zu sehr hoch. Und wenn jetzt jemand auf die dumme Idee kommt, zu behaupten, dass ich das mit Fatoni oder der Antilopen Gang auch machen würde, der checkt halt gar nichts. Ich bin mit denen allen seit zehn, mit Fatoni sogar seit 17 Jahren, befreundet. Es war nicht immer so, dass da ein etwas bekannterer Rapper ist und ich, sondern wir sind damals zeitgleich immer weiter gestiegen. Er ist etwas höher gestiegen als ich und die Antilopen Gang ist auch höher gestiegen als ich, aber wir sind damals auf einer Ebene gestartet. Meine Aussage bezog sich eher auf irgendwelche Newcomer, die irgendein Sido-Feature haben, nur um sich daran dann hochziehen zu können. Das habe ich ja nicht. Meine Freunde sind ja keine Popstars. Da wo ich ein Konzert mit 400 Leuten spiele, spielen die dann eins mit 700.
minutenmusik: Wir hatten jetzt schon ein paar Mal über das Bonusalbum gesprochen. Dem physischen Release liegt eine Platte von Massig Jiggs bei, deinem alten Musikprojekt mit Bonzi Stolle, das ihr wieder habt aufleben lassen. Warum sollte man das bestellen? Worauf kann man sich da freuen?
Juse Ju: Das Massig Jiggs Album ist quasi die Clownkiste von mir, die ich nicht auf mein Soloalbum packen konnte. Ich finde, so ein Album sollte schon rund sein und nach „Shibuya Crossing“ wollte ich auch wieder ein Album machen, das eine gewisse Ernsthaftigkeit und Melancholie in sich trägt. Ich hatte aber auch wieder so Quatschideen, wie ursprünglich auch „Ich hasse Autos“, und noch viele mehr, die jetzt auf diesem Massig Jiggs Album gelandet sind. Der zweite Grund war, dass ich zu diesem Millennium-Titel auch das Millenniumfeeling wieder zurückbringen wollte, auch für mich selber. Angefangen habe ich nun einmal mit Bonzi damals in Kirchheim. Ich wollte einfach mal wieder nicht mehr alleine arbeiten, weißt du? Ich arbeite jetzt seit vielen Jahren und bin immer alleine im Studio. Ich wollte mal wieder ein bisschen für mich das Erlebnis haben: wir gehen ins Studio, wir lachen, wir essen eine Pizza und dann machen wir einen Song. Und so war das auch mit Stolle. Stolle ist nach Berlin gekommen, weil der in Stuttgart kein Studio hat. Wir haben das dann in drei, vier Sessions alles durchgerockt. Wir haben nicht alles in der Zeit geschrieben, sondern die Hälfte der Songs hat quasi von Stolle gestammt, auch ältere Skizzen und so, diese Boom-rappigeren Sachen. Und die Hälfte der Songs waren Sachen von mir, wo ich gesagt habe, da habe ich Bock drauf, aber die passen nicht auf mein Album. Und so sind dann eben diese zehn Songs und dieses Album entstanden. Ich finde, das Album hat mehr so einen Mixtape-Charakter. Man merkt, die Song haben eher so eine 16er Hook und fertig. Das Hauptalbum „Millennium“ ist doch schon sehr viel intensiver, auch darin, wie es entstanden ist.
minutenmusik: Das klingt alles auch so ein bisschen nach einer Reise in die Vergangenheit. Würdest du sagen, “Shibuya Crossing” oder “Millennium” decken eine glücklichere Zeit in deinem bisherigen Leben ab? Vielleicht sogar glücklicher als heute?
Juse Ju: Ja, „Shibuya Crossing“ auf jeden Fall. „Shibuya Crossing“ deckt ja meine Kindheit und Jugend ab. Das neue Album meine Zwanziger. Ich hatte zwar auch eine weirde Kindheit, weil ich ja sehr schnell sehr viel entwurzelt wurde und das nie so richtig thematisiert wurde. Ich wurde eingepackt, ins Flugzeug und dann weg. Aber dadurch hatte ich auch so eine super spannende Kindheit und das möchte ich auch nicht missen. Die Zwanziger, die sich jetzt auf „Millennium“ zeigen, die waren da so ein bisschen tougher. Einfach auch was Geldfragen angeht und so grundsätzlich die Frage, was man eigentlich machen will. Es war ja nicht immer ausgemacht, dass ich beruflich meinen Weg finde. Ich habe eine Geisteswissenschaft studiert und die 2000er waren jetzt nicht so eine „Hurra, alles wird ganz ganz toll“-Zeit. Was nicht heißt, dass die nicht auch ihre Höhen und geile Zeiten hatten, aber nicht zu vergleichen mit der Jugend. Es hat auch ganz viel mit verschiedenen Sachen zu tun. Also zum Beispiel in den 2000ern war ich eigentlich durchgehend broke, weil ich zwar BAföG gekriegt und als Barkeeper gearbeitet habe, aber da einfach nicht viel da war. Auch in Japan, als ich Work & Travel gemacht habe, habe ich in einem Café gearbeitet. Da hast du einfach nicht viel Geld. Mein Vater hat tatsächlich im Jahr 2000 seinen Job nicht mehr gehabt, er hat von sich aus gekündigt. Ab dem Zeitpunkt, als ich dann so 18/19 war und von Zuhause ausgezogen bin, konnte ich meinen Eltern dann auch nicht mehr auf der Tasche liegen, wie als ich noch Zuhause gewohnt habe. Ich sage jetzt nicht „buhuhu, boah, ist das schlimm“ oder so, aber letzten Endes muss man sich auch einfach daran gewöhnen, dass ich alles mit meinem Barkeeper-Job und BAföG bezahlen muss. Gleichzeitig war das auch so eine Zeit, wo meine Leidenschaft Musik überhaupt nicht als Berufsoption im Raum stand. Ich weiß noch, dass ich während des Studiums immer gedacht habe, ich werde nie große Chancen haben, Geld zu verdienen, weil ich aber auch keine Ahnung vom Arbeitsmarkt hatte. Heute weiß ich, du kannst als Geisteswissenschaftler easy deinen Weg machen, auch im sozialen Bereich. Das ist cool, aber als ich angefangen habe zu studieren, haben die Leute gesagt „du stehst vor der Arbeitslosigkeit“. Das ist alles nicht so dramatisch, ich hatte trotzdem coole Zwanziger, aber es ist trotzdem so, dass ich zurückblicke und denke, dass ich mir mit 20-28 viele Kopfficks gegeben und nie Geld gehabt habe. Ich habe immer gedacht, es wird nie besser, aber in Wirklichkeit war das Quatsch und so geht es einfach jedem, der studiert. Dann hast du halt deine zehn Jahre mit 700 Euro für alles im Monat, aber die Zeiten sind auch irgendwann vorbei. Für Studenten! Es gibt auch Leute, die andere Probleme haben. Mir ist schon klar, dass es immer noch privilegiert ist, zu studieren.
minutenmusik: Das war ja jetzt alles eher so zum Thema Vergangenheit. Wo siehst du dich denn in der Zukunft, vielleicht so in zehn Jahren? Oder hast du dir da noch gar keine Gedanken drüber gemacht?
Juse Ju: Es ist nicht gesund, sich Zehnjahrespläne zu machen. Es ist zwar gut, wenn man wie Tom Cruise in manchen Filmen ist, also dieser Character, der der beste Anwalt von Harvard ist und gefragt wird „wo siehst du dich in zehn Jahren?” – “Ich bin Multimillionär!“ Solche Figuren haben immer den Zehnjahresplan und ich bin sicher, der ist super gut, aber vor zehn Jahren hätte ich dir auch nicht sagen können, dass wir jetzt ein Interview zu meiner Musik führen. Vor zehn Jahren war mein allererstes Soloalbum herausgekommen, hat überhaupt niemanden interessiert und die ganze Musikindustrie lag komplett am Boden. Heute vor zehn Jahren saß ich in einem 8qm-Zimmer am Rande von Tokio und bin mit dem Fahrrad in ein Café gefahren, wo ich Tellerwäscher war. Man kann keine Zehnjahrespläne machen!
minutenmusik: Gutes Schlusswort. Danke für das Interview!
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