Jules Ahoi – Dear ____

„Dear ____“. Das neue Album von Jules Ahoi, Singer-Songwriter aus Köln, könnte genau an dich gerichtet sein. Oder an mich. An seine Mama, seinen Papa oder seine Ex-Freundin. Oder an ihn selbst. Man weiß es nicht, denn der ungewöhnliche Titel gibt diese Info nicht preis. Im Gegensatz dazu gibt das Album sehr wohl tiefe und emotionale Einblicke in die Welt des Musikers. Jules Ahoi nennt seinen Stil selbst Saltwater Folk, in Anlehnung an seine Zeit an der französischen und spanischen Küste und seine Leidenschaft für das Surfen. Und auch wenn „Dear ____“ nicht mehr ganz so viel Freiheitsliebe und Leichtigkeit versprüht wie seine drei Vorgänger-Alben / -EPs, wird es dieser Beschreibung doch im Großen und Ganzen gerecht. Trotzdem klingt die Platte in vielen Momenten nachdenklicher und melancholischer. Sie handelt von der Suche nach der eigenen Identität und dem eigenen Platz in der Welt, von persönlichen Erfahrungen und Erlebnissen, die der Wahl-Kölner in den letzten Jahren gesammelt hat. Verpackt werden diese Gefühle und Geschichten in ein experimentierfreudiges musikalisches Gewand, das gerne über Genregrenzen hinweg schielt und seinen eigenen Weg sucht.

Es gibt sie schon, die klassischen Singer-Songwriter-Songs auf „Dear ____“, zum Beispiel „to become“, „( void )“ oder „Mount IAM“. „Oviedo“ nimmt die Hörer*innen mit Gitarrenklängen und ein paar Bläsern mit auf einen entspannten Spaziergang durch die Gassen der namensgebenden spanischen Stadt. Aber irgendwie gibt es eben immer auch etwas, das aus dem Rahmen fällt. „Sonate du Courage (Cmaj / freckles pt. II)“ strotzt nur so vor Autotune. „januarysteps“ ist als Skit ein kleines Relikt aus Jules´ Hip-Hop-Vergangenheit und zeigt die Original-Geräuschkulisse, die sich ihm beim Besteigen des „Adam´s Peaks“ in Sri Lanka bot. Und „Strangest Thing.“ ist eigentlich gar kein fertiges Lied, sondern eine Demo-Version, die es im letzten Moment noch auf das Album geschafft hat und die durch ihre Einfach- und Unverfälschtheit besticht.

Was die Platte aber wirklich besonders macht, sind die Songs, die nicht ins 08/15-Schema passen. Gleich zu Beginn werden die Hörer*innen mit einem solchen Exemplar konfrontiert: Der Opener „3 am“ folgt keiner typischen Strophe-Refrain-Struktur, sondern ist eher eine einzige sehr lange Strophe, mehr spoken word als gesungen, mit dezenter instrumentaler Begleitung, bis es am Ende auf einmal zum großen, lauten, emotionalen Ausbruch kommt. Auch textlich ist der Track kein seichter Einstieg. Es geht um den Verlust von nahestehenden Personen und aus Zeilen wie „My smile is a lie“ oder „Can´t you see I´m waiting here“ sind Trauer, Verzweiflung und Schmerz so deutlich herauszuhören, dass sich gleich ein kleiner Kloß im Hals bildet.

Dass Jules Ahoi nicht viel von Konventionen hält, zeigt sich auch im Song „Oh, Agnes“ gleich in mehrerlei Hinsicht. Müssen Mädchen pink und Jungs blau mögen? Müssen Mädchen immer schön und Jungs immer stark sein? Natürlich nicht! Und auch – oder gerade – diejenigen, die sich nicht nach diesen vermeintlichen Normen richten, werden laut Jules Ahoi aufblühen. Genauso blüht auch der Song auf. Ein paar einsame Klaviertöne zu Beginn der ersten Strophen werden nach und nach zu einer tänzelnden Melodie ausgebaut, bevor dann im Refrain alles wieder bricht und neu zusammengesetzt wird. Das irritiert vielleicht erst einmal, hinterlässt dafür aber einen umso nachhaltigeren Eindruck.

Der Song mit dem größten Hit-Potential auf der Platte dürfte wohl „Someone“ / „Somebody“ sein. Ja, er hat zwei Namen und es gibt auf dem Album gleich drei Versionen davon. Alle drei entstanden zusammen mit der Singer-Songwriterin Luna Morgenstern. „Someone“ ist die Version, die am meisten den Sound von Jules Ahoi verkörpert: kein großer musikalischer Schnick-Schnack, sondern einfach schön dank seines eingängigen Refrain und toll harmonierender Stimmen, „Somebody“ wurde schon deutlich mehr mit Beats und Instrumenten hinterlegt und „Somebody (Radio Edit)“ ist dann so poppig, dass es mir tatsächlich gestern Abend in der Kneipe ins Ohr sprang. Man kann darüber streiten, ob es ein Mangel an Entscheidungsfreude oder eine schöne Idee ist, alle drei Versionen auf das Album zu packen und auch den Titel „to become“ noch mit einer zusätzlichen Akustikversion zu versehen. Da „Dear ____“ aber auch ohne diese Specials auf 11 Songs und ein gutes Maß an Abwechslung und Soundvielfalt kommt, nehme ich persönlich die Bonustracks gerne als kleines Gimmick an.

„Dear ____“ ist ein Album, bei dem man vermutlich auch beim fünfzigsten Hören noch Kleinigkeiten entdeckt und neue Lieblingsstellen findet. So hat Jules Ahoi zum Beispiel verraten, dass er auf dem gesamten Album kleinere oder größere Soundschnipsel versteckt hat, die er mit seinem Handy aufgenommen hat und die für ihn in irgendeiner Art in Verbindung zum jeweiligen Song stehen. Apropos, zerbricht da nicht irgendwas am Ende der zweiten Strophe von „Oh, Agnes“?

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Und hier geht´s zum Interview mit Jules Ahoi!

Und so hört sich das an:

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Die Rechte am Albumcover liegen bei Moon Blvd. Records (Tonpool).

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