Wenn es Jazz-Alben auf die höchsten Positionen der Albumcharts schaffen, sollte man aufhorchen. Die oft anspruchsvollen und reduzierten Arrangements locken nur selten den geneigten Pop-Hörer hinter seinen kostenlos dabei gelegten Handykopfhörern hervor und entzücken wohl eher die Vinyl-Experten mit High Fidelity-Soundanlage. Trotzdem schafften es Melody Gardot, Katie Melua, Beth Hart oder auch Gregory Porter dank eingängigen Melodielinien in den komplexeren Klanggefilden gleich mit mehreren Veröffentlichungen die Verkaufszahlen in den letzten zwei Dekaden beachtlich in die Höhe zu treiben. Norah Jones sprang zusätzlich sogar einige Male ins mainstreamige Musikfernsehen und in die Singlecharts. Das hingegen grenzt an ein kleines Wunder.
Die mittlerweile 41-jährige New Yorkerin kann zweifelsohne als Ikone des Soul-Jazz-Pop genannt werden. Unglaubliche 20 Millionen Mal ging ihr mittlerweile 18 Jahre altes Debüt „Come Away With Me“ über die Ladentheke. Fast drei Jahre lang konnten in den deutschen Albumcharts Plätze verbucht werden. Auch mit dem Nachfolger „Feels Like Home“ und der wohl erfolgreichsten Single „Sunrise“ waren 10 Millionen Verkäufe drin. Das sind zwar nur noch die Hälfte, aber weiterhin übernatürlich viel. Natürlich wurden die Zahlen aufgrund von Streamingdiensten geringer – trotzdem erreichte jedes der sechs Studioalben zwischen 2002 und 2016 die Top 3 aller relevanten Verkaufslisten weltweit.
Nach fast vier Jahren Wartezeit folgt nun mit Pick Me Up Off The Floor Longplayer Nr. 7. Norah Jones liefert auf ihrem neusten Werk in elf Songs eine Dreiviertelstunde gewohnte, solide, ästhetische Kost. Leichtfüßig und äußerst unaufdringlich bewegt sich die rauchige Altstimme zwischen Jazz, Blues, Lounge und Soul und verzichtet dabei nahezu komplett auf Überraschungen und leider auch auf Abwechslung. Böse Zungen würden womöglich von Fahrstuhlmusik sprechen – Fans hingegen sollten das Material bekommen, was sie erwarten und wollen.
Tatsächlich muss man Pick Me Up Off The Floor negativ ankreiden, dass sich äußerst wenig getraut wird. Das war auch schon oftmals anders. Kleine Experimente wie sie noch gehäuft auf „Little Broken Hearts“, zuletzt auf der „Begin Again“-EP oder besonders auf dem sensationellen Album „…Featuring Norah Jones“ voller wilder Kollaborationen zu finden waren, wirken wie weggeblasen und nie dagewesen. Schade eigentlich, machten sie das zunächst etwas überschaubare Jones-Universum doch breiter. Fans der ersten Stunde, die aber eben die sehr klassischen Arrangements vermisst haben, sollten mit dem neusten Output zufriedener sein.
Das Tempo bleibt durchgängig gedrosselt. Damit ist das neue Norah Jones eher genau die richtige Platte für einen Rotweinabend mit Freunden – und gewiss wird dieses Album wohl eher aufgelegt als angeklickt. Schließlich ist die elektronische Bearbeitung trotz 2020 überschaubar geblieben und gibt sowohl der Standardbandbesetzung Piano, Kontrabass und Drums als auch den wohlig dosierten Bläsern und Streichern genug Freiraum, um einfach richtig gut zu klingen. Das darf auch gern mal bis zu fünf Minuten pro Song dauern. Da sollte der Unterschied zur Liveperformance nur minimal ausfallen. Gesanglich zaubert die zigfache Grammy-Preisträgerin zaghaft Schauer ins Ohr, die einerseits herrlich warm und gleichzeitig lasziv-verführend klingen.
Anspieltipps sind bei dem doch homogenen Gesamteindruck nicht leicht zu nennen. Mag man trotzdem vorab reinhören, stechen das liebestrunkene „Heartbroken, Day After“ hervor, das sich hervorragend für einen sonnigen Sonntagmorgen mit Frühstück am Bett eignet, ebenso das treibende „Say No More“ mit elegantem Saxophon-Vibe und das zumindest zum Mitsummen anregende „Were You Watching?“.
Schlecht ist bei Norah Jones selbstverständlich nichts. Auch auf dem siebten Longplayer liefert die Frau aus Brooklyn 45 Minuten am Stück hochkarätige Musik, die eindeutig auf Trends pfeift, zum Entspannen anregt, aber auch ein wenig zu schleppend und berechenbar ausfällt. Unterm Strich bleiben aber dennoch gute Titel für die Liebhaberschar.
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